Amerikas dunkler Tag

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die am längsten bestehende Demokratie der Welt. Seit 1789 werden alle vier Jahre am Dienstag nach dem ersten Montag im November Präsidentschaftswahlen abgehalten. Zahlreiche innenpolitische Herausforderungen setzten die US-Demokratie schon unter Druck, doch diese hat immer aufs Neue ihre Stärke bewiesen. Selbst der Sezessionskrieg zwischen 1861 und 1865 konnte der Musterdemokratie keinen langfristigen Schaden zufügen.

Das Erfolgsrezept ist eine Verfassung, die als eine der am besten herausgearbeiteten der Welt gilt. Andere Länder, Deutschland oder Nigeria seien exemplarisch genannt, haben sich bei der Ausarbeitung ihrer Verfassungen nicht umsonst an den USA ein Beispiel genommen. So ist es nicht verwunderlich, dass jüngst Präsident Donald Trump die US-amerikanische Demokratie zwar vor eine Belastungsprobe stellte, diese aber erneut obsiegte.

Dennoch wird der 06. Januar 2021 als ein dunkler Tag in die Geschichte der Vereinigten Staaten eingehen. Tausende Anhänger des 45. Präsidenten demonstrierten in Washington D.C. gegen die Zertifizierung des Wahlergebnisses durch den U.S. Kongress. Aufgeheizt wurden diese durch monatelange haltlose Verschwörungstheorien, dass die US-Präsidentschaftswahl zugunsten der Demokraten gefälscht worden sei, durch Präsident Trump. Dass eine Gruppe republikanischer U.S. Senatoren zudem Einspruch gegenüber der Ratifizierung der Wahlergebnisse einlegte, motivierte Trumps Anhänger zudem.

Präsident Trump adressierte sogar vor dem Weißen Haus seine Anhänger, forderte diese zum Marsch auf das U.S. Kapitol auf. Es folgten Auseinandersetzungen mit den überforderten, da viel zu wenige abbestellten, Sicherheitskräften. Das Parlamentsgebäude wurde von Extremisten gestürmt, die im Haus verweilenden Politiker mussten evakuiert werden.

Die Bilanz: Fünf Todesopfer (eine Demonstrantin wurde von der Polizei erschossen, ein Polizist erlag seinen Verletzungen sowie drei Tote auf Grund medizinischer Notfälle wie Schlaganfall und Herzinfarkt), 90 Festnahmen, mindestens 50 verletzte Sicherheitskräfte.

Doch die US-Demokratie bewies einmal mehr ihre Standhaftigkeit. Noch in der selben Nacht kam der U.S. Kongress erneut zusammen, um mit der Ratifizierung der Präsidentschaftswahlergebnisse fortzufahren. Der republikanische Vizepräsident Mike Pence, der sich schon zuvor von Präsident Trump distanzierte, verkündete sodann das Ergebnis.

Am 20. Januar 2021 wird Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt werden. Einen Beitrag zur Verminderung der sich seit Jahrzehnten intensivierenden gesellschaftlichen und politischen Spaltung zu leisten wird Bidens größte Herausforderung sein. An seinen Taten, nicht nur seinen Worten, wird sich der Demokrat messen lassen müssen. Ansonsten wird es in naher Zukunft noch weitere dunkle Tage in der Geschichte dieses doch eigentlich so großartigen Landes geben.

ITV News wartet mit einer 7-minütigen Reportage
zum Sturm auf das Kapitol auf:

 

Trumps langer Schatten

Am 06. Januar 2021 tritt der U.S. Kongress zusammen, um die Stimmzettel der Wahlleute zur US-Präsidentschaftswahl auszuzählen. Der Sieger wird durch diesen Akt offiziell bestätigt. Der amtierende Vizepräsident verkündet sodann das Ergebnis. Ein formaler Vorgang ohne jeden Höhepunkt. Eigentlich.

In der jüngeren Vergangenheit wartete lediglich die Präsidentschaftswahl 2000 mit einer Besonderheit auf. Vizepräsident Al Gore, der zugleich Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei war, verkündete nach der Auszählung seine eigene Niederlage. Ansonsten war auch diese Bestätigung des Wahlergebnisses wenig spektakulär.

Anders in diesem Jahr. Eine Vielzahl von Republikanern im U.S. Senat sowie im U.S. Repräsentantenhaus planen Einspruch gegen die Zertifizierung  der einzelnen Wahlergebnisse aus einigen Bundesstaaten einzulegen. Begründet wird dies mit Wahlbetrugsvorwürfen, welche wohlgemerkt weitestgehend unbegründet sind wie schon diverse Gerichte unterstrichen.

Genannte republikanische Gruppe fordert die Einsetzung einer Untersuchungskommission, welchen den Vorwürfen auf den Grund gehen soll. Besagte Republikaner berufen sich hierbei auf das Jahr 1877, als ein überparteilicher Ausschuss die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in drei Bundesstaaten überprüfte.

Wird solch ein Einspruch von mindestens einem U.S. Senator und einem Abgeordneten des U.S. Repräsentantenhauses eingebracht, muss die Legislative darüber eine zweistündige Debatte ansetzen. Dass es hierzu kommt, ist so gut wie sicher. Denn bislang haben sich ein Dutzend U.S. Senatoren, angeführt von Ted Cruz, sowie 140 Abgeordnete im U.S. Repräsentantenhaus öffentlich dazu bekannt, den Sieg von Joe Biden nicht anzuerkennen.

Nach solch einer Debatte folgt eine Abstimmung in beiden Kammern des U.S. Kongresses über die Anerkennung des Wahlergebnisses. Solch ein Einspruch wird zwar nicht von Erfolg gekrönt sein und wird die offizielle Bestätigung von Bidens Wahlsieg nur um einige Stunden verzögern.

Selbst Senator Lindsey Graham, einer der lautstärksten Unterstützer von Präsident Donald Trump, sieht in diesem Vorgang „null Chance“ sowie ein wenig förderliches Anliegen zur Verteidigung der Positionen des Amtsinhabers. Die Gruppe um Senator Cruz weiß eigener Aussage zufolge auch darum: „Wir sind nicht naiv, wir wissen, dass wir kaum Erfolg haben werden.“

Primär geht es eben nicht um die Umkehrung des Wahlergebnisses, sondern um eine Loyalitätsbekundung gegenüber Präsident Trump. Dieser scheidet zwar in wenigen Tagen aus dem Amt. Doch Präsident Trump ist seit Beginn der Umfrageaufzeichnungen nach wie vor so beliebt bei der republikanischen Basis wie kein anderer Präsident zuvor. Zudem erreichte er so viele absoluten Stimmen bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 wie keiner seiner Vorgänger. Dass Biden noch mehr Wähler für sich gewinnen konnte, ist hierbei zweitrangig.

Präsident Trump hat somit weiterhin die Hausmacht in der Republikanischen Partei inne. Politiker, die sich in den kommenden Jahren einer innerparteilichen Vorwahl stellen müssen oder sogar mit einer Präsidentschaftskandidatur liebäugeln, fürchten nichts mehr als negative öffentliche Äußerungen des 45. US-Präsidenten über die eigene Person.

Erst in der vergangenen Woche rief Präsident Trump die Gouverneurin von South Dakota, Kristi Noem, dazu auf den republikanischen Senator John Thune herauszufordern. Senator Thune kritisierte seine Parteikollegen für deren Haltung den Wahlsieg Bidens nicht anzuerkennen. Gouverneurin Noem wird auch als mögliche Präsidentschaftkandidatin für das Jahr 2024 gehandelt, die den Trumpismus fortführen würde. Trumps Worte finden bei der republikanischen Basis, siehe oben, Gehör. Entscheidend für jede innerparteiliche Vorwahl.

Die Folge ist eine Art innerparteilicher Bürgerkrieg zwischen Trump-Loyalisten und Realisten, welche die bestehenden Umstände und Wahlausgänge anerkennen. Selbst Mitch McConnell, mächtiger republikanischer Mehrheitsführer im U.S. Senat, hat es nicht geschafft, seiner Fraktion in diesen Fragen Disziplin einzuschärfen.

Wie schon am 16. November 2020 auf dieser Seite angedeutet (Klick hier), ist der Einfluss Trumps auf die republikanischen Wähler und somit auf Mandatsträger, die sich zukünftig Wiederwahlen stellen wollen und/oder müssen sowie eine ähnliche politische Richtung wie der Präsident vertreten, gegenwärtig  – noch – zu groß.

Trump wirft schon vor dem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt seinen langen Schatten auf die Republikanische Partei. Senator Tom Cotton, konservativer Hoffnungsträger für das Weiße Haus in vier Jahren, tritt hingegen aus Trumps Schatten heraus und stellt sich gegen die Gruppe Republikaner, welche das Wahlergebnis anfechten. Anfang vom Ende der eigenen politischen Karriere oder Anfang einer Republikanischen Partei nach Trump?

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); U.S. Congress; eigene Grafiken