HIGH-FIVE mit Armin Laschet MdB: „Abraham Accords sind eine echte Chance auf Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn“

Die Coronavirus-Pandemie erlebte ihren Höhepunkt in den Jahren 2020 und 2021. Russland startete seinen vollumfänglichen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022. Der Beginn der 2020er Jahre war und ist geprägt von weltweiten Krisen. Doch es gab auch positive Entwicklungen, im Nahen Osten zum Beispiel. Mit der Unterzeichnung der Abraham Accords normalisierten auf Initiative der USA mehrere muslimische Länder der arabischen Welt ihre Beziehungen zu Israel.

Vor diesem Hintergrund gründete sich in diesem Jahr der Parlamentskreis Abraham Accords im Deutschen Bundestag. Zu den Mitinitiatoren des fraktionsübergreifenden Parlamentskreises gehörte auch Armin Laschet. Auf „1600 Pennsylvania“ äußert sich der christdemokratische Bundestagsabgeordnete exklusiv zu diesem und weiteren Themen.

2021 führte der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen CDU und CSU in die Bundestagswahl. Seit der verlorenen Wahl ist Armin Laschet Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Im Parlament ist der gebürtige Aachener unter anderem Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Weitere Informationen zu Armin Laschet MdB gibt es auf seinen Social-Media-Präsenzen auf Facebook, Instagram und Twitter.

Die Präsidentschaft von Donald Trump (2017 – 2021) polarisierte und belastete die transatlantischen Beziehungen. Vor diesem Hintergrund trat die realistische Herangehensweise der Trump-Administration an die Herausforderungen des Nahen Ostens, die in der Unterzeichnung der Abraham Accords gipfelte, in den Hintergrund. Wie beurteilen Sie die diplomatische Annäherung Israels mit vier muslimischen Ländern der arabischen Welt unter Vermittlung der USA?

Die Unterzeichnung der Abraham Accords ist vielen in ihrer Tragweite noch nicht bewusst: Die Abkommen markieren einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Nahen Osten. Zuvor galt die Lösung des Israel – Palästina Konfliktes als Voraussetzung dafür, überhaupt erst Beziehungen zwischen Israel und seinen Nachbarn aufzunehmen. Im Angesicht der großen Zukunftsthemen in der Region, die Folgen des Klimawandels, volkswirtschaftliche Transformationen und Sicherheit, ist jetzt aber das oberste Ziel für die Abraham Staaten das Prinzip der Koexistenz und der Kooperation.

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung, weg von den „Drei Neins“ der Khartum Erklärung – Nein zu Frieden, Nein zu Verhandlungen, Nein zur Anerkennung – hin zu einem warmen Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn. Die Vertragsstaaten bekräftigen auf allen Feldern das erklärte Ziel, sich nicht nur gegenseitig als Staaten anzuerkennen, sondern ihre Gesellschaften in einer gemeinsamen Zukunft aufeinander zuzuführen. Wie ernst das gemeint ist, zeigt sich beispielsweise darin, dass die Vereinigten Arabischen Emirate seit Anfang des Jahres die Erinnerung an den Holocaust in ihre Schulcurricula aufgenommen haben. Damit sind die Abraham Accords eine echte Chance auf Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn und für eine stabile und prosperierende Zukunft und regionale Kooperation.

Dass die Abraham Accords in Europa zunächst kritisch beäugt wurden, liegt wohl daran, dass Präsident Trump sich mit ihrem Erfolg krönte. Und in der Tat ist dies ein Erfolg seiner Rolle als Vermittler. Doch diese historische Entwicklung parteipolitisch zu ignorieren wäre grob fahrlässig, denn der Normalisierungsprozess wurde schon weit früher von ihren Unterzeichnerstaaten selbst vorbereitet. Dass die Abraham Accords mehr sind, zeigt sich darin, dass die Biden-Administration weiter an ihnen festhält und die Unterzeichnerstaaten im Rekordtempo ihre neu eingegangene Beziehung durch weitere zwischenstaatliche Abkommen mit Leben füllen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die arabischen Länder, die ihre Beziehungen mit Israel normalisieren, heute noch in der Unterzahl sind. Der derzeitige Aufschwung erklärt sich auch zum Teil aus der Handlungsunfähigkeit von Staaten wie Syrien, Irak und Libyen.

Wir haben es also definitiv mit einem grundlegenden und historischen Wandel zu tun. Doch wie nachhaltig der ist, hängt einerseits von dem Erfolg der zahlreichen Kooperationsinitiativen ab und zweitens davon, ob die breite Bevölkerung in den Abraham Accords Staaten den Erfolg spürt und davon profitiert.

Steckbrief Armin Laschet MdB
Geburtsdatum18.02.1961
GeburtsortAachen, Nordrhein-Westfalen
AusbildungUniversitäten München und Bonn (Rechts- und Staatswissenschaften)
Politischer WerdegangBundestagsabgeordneter (seit 2021),
Bundeskanzlerkandidat CDU/CSU (2021),
Bundesvorsitzender CDU (2021 – 2022),
Ministerpräsident NRW (2017 – 2021),
Landtagsabgeordneter NRW (2010 – 2021),
Minister NRW (2005 – 2010),
Europaabgeordneter (1999 -2005),
Bundestagsabgeordneter (1994 – 1998),
Ratsherr der Stadt Aachen (1989 – 2004)

Ende März hat sich der fraktionsübergreifende Parlamentskreis Abraham Accords im Deutschen Bundestag gegründet. Was hat es mit dieser Initiative explizit auf sich?

Eine regionale Neuordnung in unserer unmittelbaren europäischen Nachbarschaft von den Ausmaßen der Abraham Accords kann der Deutsche Bundestag nicht ignorieren. Daher engagiere ich mich gemeinsam mit den Abgeordneten Aydan Özoğuz (SPD), Lamya Kaddor (Bündnis 90/ Die Grünen) und Alexander Graf Lambsdorff (FDP) für den parteiübergreifenden Parlamentarierkreis Abraham Accords. Ähnliche Kreise gibt es auch im Unterhaus des Vereinigten Königreichs, dem Senat der Vereinigten Staaten von Amerika und im Europäischen Parlament.

Wir setzten uns dafür ein, dass Deutschland den Abraham Prozess aktiv unterstützt und darauf hinwirkt, dass sich neue Länder diesem visionären Aufbruch anschließen. Gemeinsam flankieren wir Entwicklungen, die den Aufbau von vertieften Beziehungen zwischen Israel und seinen Nachbarn fördern. Außerdem haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die positiven Entwicklungen im Nahen Osten der deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Menschen dafür zu begeistern.

Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland einen besonderen Beitrag zum Gelingen der Abraham Accords leisten kann. Deutschland pflegt enge Beziehungen sowohl zu Israel als auch zu den arabischen Staaten und hat eine besondere Verpflichtung sich für die Sicherheit Israels einzusetzen. Aus unserer historischen Verantwortung heraus hat sich eine lebendige Erinnerungskultur zum Holocaust entwickelt und eine vielfältige Kultur der Vergangenheitsbewältigung und Versöhnungsarbeit. Mit diesen Potentialen kann Deutschland konstruktiv zur Verständigung der Abraham Accords Staaten und zu einer gelebten Kultur der Koexistenz im Nahen Osten beitragen.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/ Die Grünen) äußerte gegenüber dem Deutschlandfunk die Worte, dass “der letzte, der einmal einen Siedlungsstopp in Israel erreicht hat (…) Trump [war], und zwar damit, dass er den Israelis was bieten konnte, nämlich die Abraham Accords”. Wie könnten Ihrer Meinung nach die USA und/oder die EU einen weiteren Siedlungsstopp und damit mehr Frieden im Nahen Osten erreichen?

Volker Beck spricht damit eine Kernfrage der Nachhaltigkeit der Abraham Accords an, der Fokus auf gemeinsame Interessen. Israel, auch mit der derzeitigen Regierung, hat ein großes Interesse daran, dass der Abraham Prozess zu einem Erfolg wird.

Dazu würde ich gerne ein wichtiges vorgetragenes Bedenken gegen die Abraham Accords ansprechen, nämlich die Sorge, dass die Palästinenser in dem Prozess außen vorgelassen werden. Der Abraham Prozess ist nämlich mitnichten ein Übergehen der Palästinenser und ein Ignorieren des Nahostkonfliktes. Ganz im Gegenteil haben wir hier die Chance die festgefahrenen, derzeit nicht existierenden Gespräche über eine Zukunft für die Palästinenser wieder zu beleben. Und zwar auf eben genau auf der Grundlage von Koexistenz und gegenseitiger Anerkennung.

Die arabischen Unterzeichnerstaaten haben 2020 die Abraham Accords nur unter der Voraussetzung unterzeichnet, dass Israel das Vorhaben einer Annexion von besetzten Gebieten suspendiert. Eine Wiederaufnahme dieser Pläne würde dementsprechend die Grundvoraussetzung, unter der die Accords zustande kamen, brechen. Das ist definitiv nicht im israelischen Interesse. Und sowohl die Emirate als auch Bahrain bekräftigen, dass eine Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern durch die Accords nicht ersetzen kann.

Über den transatlantischen Beziehungen hängt das Damoklesschwert einer US-Administration, die sich erneut vermehrt dem Isolationismus verschreiben könnte. Wie sollte sich die Europäische Union auf solch ein mögliches Szenario, insbesondere in Zeiten des Krieges in Europa, bestmöglich vorbereiten?

Ich teile nicht die Meinung, dass die USA in einen harten Isolationismus verfallen werden. Die grundlegenden Neuorientierungen der USA haben bereits unter Barack Obama begonnen und haben sich auch unter Joe Biden nicht geändert. Namentlich, der Umschwung nach Asien, eine gerechtere Verteilung der Sicherheitsanstrengungen und eine Wirtschaftspolitik der gedrosselten Globalisierung. Diese Debatten existierten bereits vor Trump und beschäftigen uns auch heute.

Die USA beweisen aber gerade in der Ukraine, dass sie verlässliche Partner sind und grundlegend auf ein Bündnis mit Europa zählen. Die westliche Staatengemeinschaft ist geschlossen wie lange nicht mehr, aber wir bewegen uns damit auch auf eine Zeit von Partnerschaft auf Augenhöhe zu. Damit meine ich, dass eine Entwicklung der Welt hin zu einer multipolaren Ordnung für Europa bedeutet, sich nicht weiter unter den ausgebreiteten Flügeln einer einzelnen Hegemoniemacht ausruhen zu können. Wir sind gefragt uns aktiv für ein Europa und eine Welt zu engagieren, in denen unsere Werte und Visionen bestehen können.

Ich plädiere daher dazu, nicht jede Konfrontation als Krise wahrzunehmen, sondern als eine Entwicklung hin zu einer lebendigen Partnerschaft. Dafür müssen wir uns zum Teil unangenehmen Fragen stellen und Anstrengungen in Bereichen unternehmen, die wir zuvor vernachlässigt haben. Aber wenn wir diese Anstrengungen anpacken, bin ich zuversichtlich, dass unsere Verbundenheit mit den USA nur stärker wird.

Die physischen und psychischen Belastungen von Wahlkämpfen sind, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen, enorm. Würden Sie vor diesem Hintergrund Personen mit fortgeschrittenem Alter, wie dies beispielsweise bei US-Präsident Biden mit seinen mittlerweile 80 Jahren der Fall ist, zu den Strapazen eines erneuten Wahlkampfes raten?

Grundlegend sollte das Alter eines Kandidaten nicht das ausschlaggebende Kriterium für eine Kandidatur sein. Vielmehr müssen die Fähigkeiten und die politische Erfahrung der Kandidatin oder des Kandidaten im Vordergrund stehen. Allerdings sollten ältere Bewerberinnen und Bewerber auf ein Amt sich natürlich ihrer eigenen Belastbarkeit bewusst sein und gegebenenfalls ihre Entscheidung, erneut zu kandidieren, darauf abstimmen.

Präsident Biden ist ein in der Einschätzung seiner Fähigkeiten sehr geübter Mensch. Er weiß aus vielen Wahlkämpfen und Ämtern, worauf er sich einlässt und wird von hervorragenden Menschen beraten. Da Präsident Biden erneut antritt, dürfen wir auch darauf vertrauen, dass er sich geistig und körperlich in der Lage dazu sieht. In dem Fall dürfen wir uns dann auch auf seine Inhalte konzentrieren und nicht auf sein Alter.

Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.

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Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken; Armin Laschet MdB.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

HIGH-FIVE mit Hubert Hüppe MdB: „Von Bidens Versprechen, US-Amerikaner zusammenzuführen, ist nichts geblieben!“

Das seit dem Jahr 1973 bestandene landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gehört seit der Entscheidung des Supreme Court im Fall der Abtreibungsgesetzgebung in Mississippi der Geschichte an. Bundesstaaten haben ab sofort das Recht, eigenverantwortlich in dieser Thematik zu entscheiden. Ein Urteil, welches weit über die USA hinaus für Diskussionen sorgte.

Insbesondere aus Deutschland kam es von Seiten vieler Medien und aus der Politik zu Kritik am Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten. Gleichwohl gibt es auch deutsche Stimmen, die sich erfreut über die Stärkung des Lebensschutzes zeigten. Vor diesem Hintergrund führte „1600 Pennsylvania“ nachfolgendes Interview mit dem christdemokratischen Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe.

Als einer von nur wenigen Bundestagsabgeordneten haben Sie sich offen über das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, die Abtreibungsgesetzgebung den Bundesstaaten zukommen zu lassen und damit das Grundsatzurteil Roe vs. Wade außer Kraft zu setzen, gefreut. Was sind Ihre Beweggründe?

Ich freue mich, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten klargestellt hat, dass die Verfassung der USA kein Recht auf Tötung eines ungeborenen Kindes enthält. Das ist ein großer Sieg für das Recht auf Leben und natürlich auch für die weltweite Pro-Life-Bewegung.

Trotz massiven Drucks der sogenannten Pro-Choice-Anhänger, Anschlägen auf Pro-Life Einrichtungen und sogar einem geplanten Attentat auf Richter Brett Kavanaugh, hatte die deutliche Mehrheit der Richterinnen und Richter des Supreme Court den Mut, das 1973 ausschließlich von Männern gefällte Urteil Roe vs. Wade endlich aufzuheben. Wie im berüchtigten Dred-Scott-Urteil zur Sklaverei hat Roe vs. Wade es bestimmten Menschen erlaubt, anderen ihre Menschenrechte abzusprechen.

Die meisten US-Bundesstaaten weisen weiterhin eine liberalere Abtreibungsgesetzgebung als Deutschland auf. Entgegen dieser Realität wird hierzulande häufig eine “Rückkehr der USA in das Mittelalter” behauptet. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied beziehungsweise was hat es damit auf sich?

Viele Staaten der USA haben bereits Gesetze mit denen ungeborene Kinder geschützt werden. Sicher werden jetzt nach dem Urteil weitere folgen. Das ist kein Rückfall in das Mittelalter, sondern die Wiederherstellung der Menschenrechte. Es ist barbarisch, die eigenen Kinder teilweise, wie in einigen Staaten der USA erlaubt, bis zur Geburt zu töten.

Im Übrigen entspricht das jetzige Urteil grundsätzlich auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland. Es hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass auch das ungeborene Kind ein Lebensrecht hat, welches durch den Staat zu schützen ist.

Weder in Deutschland noch in den USA gibt es ein „Recht auf Abtreibung.“ Das ist kein Rückfall ins Mittelalter, sondern Realität moderner Rechtsstaaten, die die Menschenrechte schützen. Das Prinzip der Menschenwürde besagt, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, allein weil er Mensch ist.

Der ZDF-Journalist Elmar Theveßen beschrieb das Abtreibungsurteil mit den Worten der “Talibanisierung Amerikas”. Ihre Entgegnung zu Herrn Theveßen?

Das ist eine unentschuldbare zynische Entgleisung, die ich nur als Hate Speech [Hassrede; Anmerkung des Interviewers] bezeichnen kann. Die Wiederherstellung des Rechts auf Leben mit den Verbrechen der Taliban zu vergleichen, zeigt wie unseriös und tendenziös die Berichterstattung in Deutschland ist. Es ist ein Skandal, dass man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk so eine Hetze verbreiten darf. Leider ist er da nicht allein. In den deutschen Medien wurden auch die Anschläge von Pro-Choice-Sympathisanten kaum erwähnt.

Die deutsche Abtreibungsgesetzgebung ist sicherlich nicht perfekt, kann sie bei solch einem schwierigen und ethischen Thema auch nicht sein. Wäre Ihrer Meinung nach die deutsche Gesetzgebung dennoch ein guter Kompromiss für die USA?

Ich halte die deutsche Gesetzgebung für keinen guten Kompromiss. Es ist diskriminierend, dass in Deutschland ungeborene Kinder mit Behinderungen faktisch bis zur Geburt getötet werden können. Es ist schlicht nicht möglich, zwischen Leben und Tod einen Kompromiss zu finden.

Bei Präsident Joe Biden und den Demokraten sehe ich überhaupt kein Einlenken. Selbst bei Abtreibungen in späten Stadien, wo das Kind außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre, soll es keine Einschränkungen geben. Von dem Versprechen des Präsidenten, das Volk der USA zusammenzuführen, ist nichts geblieben. Er lässt sich da von den Pro-Choice-Hardlinern führen.

Die Bundesregierung hat den Paragraf 219a StGB, das Werbeverbot für Abtreibungen, aufgehoben. Befürchten Sie damit das Öffnen der Büchse der Pandora, sprich den Beginn einer in Deutschland ähnlich stark polarisierten und emotional geführten Debatte wie in den USA?

Die Büchse der Pandora ist schon längst geöffnet. Erschreckend ist nicht nur die jetzt freigegebene Werbung für die Tötung ungeborener Kinder, sondern auch die brutale Argumentation. Die Aufhebung des § 219a StGB war nur Mittel zum Zweck. Wer in der Debatte Familienministerin Lisa Paus gehört hat, weiß, dass sie eigentlich die völlige Freigabe der Abtreibung ohne jegliche Einschränkungen bis zur Geburt will. Und sie war in der Debatte nicht allein.

Von dem Druck, den Männer und Familienangehörige auf Frauen ausüben, ihr Kind abtreiben zu lassen, war nichts zu hören. Ebenso nicht von Hilfen für Frauen in Konfliktsituationen, von der Liebe zum Kind, verantwortungsbewusster Sexualität und Unterstützung von Frauen, die ihr Kind bekommen wollen. Damit beginnt nicht der Kulturkampf, sondern wir sind schon mittendrin: der Kampf der Kultur des Lebens gegen die Kultur des Todes. 

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


Hubert Hüppe ist seit 1974 Mitglied der CDU und seit 2021 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. In der aktuellen Legislaturperiode hat er den Vorsitz des Ausschusses für Gesundheit kommissarisch inne. Bereits von 1991 bis 2009 und von 2012 bis 2017 gehörte Hüppe dem Deutschen Bundestag an. Von 2009 bis 2013 amtierte er als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung. Hüppe engagiert sich in der Lebensrechtsbewegung und ist seit 1986 stellvertretender Bundesvorsitzender der Christdemokraten für das Leben. 2008 wurde Hüppe das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Weitere Informationen zu Hubert Hüppe gibt es auf seiner Website (Klick hier) und auf Facebook (Klick hier).

Bildquellen: Website Hubert Hüppe MdB (Fotograf: René Golz); Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com

HIGH-FIVE mit Jakob Wöllenstein: „USA haben große Bandbreite an Möglichkeiten zur Unterstützung des belarusischen Volkes“

Die Welt schaut in diesen Tagen nach Afghanistan. Die radikalislamischen Taliban haben das Land nach zwanzig Jahren zurückerobert, der Rückzug westlicher Truppen unter Führung von US-Präsident Joe Biden ist zum Fiasko geraten. Andere Krisen rücken vor diesem Hintergrund freilich zunächst wieder in den Hintergrund.

Vor einem Jahr stand das belarusische Volk beispielsweise gegen ihren Diktator Alexander Lukashenko auf, der mit massiven Repressionen antwortete. Mit Jakob Wöllenstein, Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz im litauischen Vilnius, sprach „1600 Pennsylvania“, um eine aktuelle Lageeinschätzung zu bekommen sowie die Rolle der USA einzuordnen. 

Im vergangenen Jahr wurde in der Republik Belarus eine Präsidentschaftswahl abgehalten, die einmal mehr gefälscht wurde. Die teilnehmerstärksten und am längsten andauernden Demonstrationen in der Geschichte des Landes folgten. Lukashenko reagierte mit massiver Gewalt und willkürlichen Verhaftungen. Die Repressionsspirale dreht sich seitdem unentwegt weiter. Wie sieht die Situation für Belarusen, die gegen Lukashenko auf die Straße gingen, heute, ein Jahr später, aus?

Ein Jahr nach der gefälschten Wahl ist Belarus kaum noch wiederzuerkennen – vor allem im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren, als sich das Land im Inneren einige Räume gesellschaftlicher und unternehmerischer Freiheit eröffnete und seine Außenpolitik diversifizierte, auch mit dem Ziel pragmatisch-guter Beziehungen mit dem Westen inklusive, wenn nicht allen voran, den USA.

Schon während allerdings die Demonstrationen letzten Herbst noch allwöchentlich die Zentralstraßen von Minsk und vielen Provinzstädten in Belarus sowie die Hauptnachrichten rund um den Globus füllten, wiesen Analysten daraufhin, dass trotz des beeindruckenden und bewegenden Ausdrucks friedlichen Widerstands eine Strategie und politische Führerschaft nötig sei, um der bei der Wahl betrogenen Mehrheit zu ihrem Recht zu verhelfen und einen Machtwechsel einzuleiten. Andernfalls würde das Regime mit allen seinen Mitteln zurückschlagen und all diejenigen bestrafen, die es wagten, sie offen „aufzulehnen“.

Die düstere Prophezeiung sollte wahr werden. Nachdem es Lukashenko mit Hilfe seiner Sicherheitskräfte und politischer sowie finanzieller Hilfe Russlands gelungen war, die Proteste von der Straße zu drängen, indem wichtige Anführer und viele Aktivisten das Land verlassen mussten oder ins Gefängnis kamen und der Rest eingeschüchtert wurde, begann im Sommer 2021 eine neue Phase. Nun werden nicht nur Oppositionelle, sondern allgemein die unabhängige Zivilgesellschaft in die Zange genommen.

Dutzende NGOs aus allen möglichen Bereichen, von Menschenrechtsbeobachtern bis hin zu Umweltvereinen, wurden geschlossen, hunderte könnten folgen. Die unabhängigen Medien stehen besonders im Fokus der Repression, sodass freie Berichterstattung über die Vorgänge in Belarus nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Die Unzufriedenheit des letzten Jahres ist dadurch zwar aus dem Blickfeld, nicht aber in der Sache verschwunden. Doch während es immer gefährlich wird, Dissens auszudrücken, auch innerhalb des Systems und selbst bei Sachfragen, wächst auch innerhalb der Gesellschaft die Polarisierung.

Die auf Grund der Verhaftung ihres Mannes ungewollt in die Rolle der (ehemaligen) Präsidentschaftskandidatin geschlüpfte und bekannteste Oppositionelle Svetlana Tsikhanouskaya befindet sich im litauischen Exil. Seitdem ersucht Tsikhanouskaya die Regierungen westlicher Länder um Hilfe im Kampf gegen Lukashenko. Wie erfolgreich ist sie in ihrem Bestreben der Bildung einer Koalition gegen den Diktator?

Innerhalb des vergangenen Jahres hat Tsikhanouskaya auf ihren internationalen Reisen, vor allem durch die „westliche Welt“, 31 Staats- und Regierungschefs sowie zahllose Spitzenpolitiker getroffen, darunter Angela Merkel, Boris Johnson, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron und zuletzt Joe Biden. In derselben Zeit traf Lukashenko lediglich die politischen Führer Russlands, Tadschikistans und Aserbaidschans.

Das Ziel, Lukashenko und sein Regime international zu isolieren und stattdessen sichtbare Unterstützung für die demokratischen Kräften einzuwerben, gelingt ihr und ihrem Team somit bislang gut – viele Staaten wie auch die EU erkennen den „letzten Diktator Europas“ nicht mehr als legitimen Präsidenten an und zeigen in Worten und Taten Solidarität für die Zivilgesellschaft und politische Gefangene.

Insbesondere nach der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine im Mai waren die Reaktionen des Westens schnell und deutlich. Die Europäische Union und die USA, aber auch etwa Kanada, Großbritannien und die Ukraine haben ähnliche Sanktionspakete wie auch Hilfspakete für die Zivilgesellschaft geschlossen, die sich auch explizit aufeinander beziehen. Insofern kann durchaus von einer breiten Koalition gesprochen werden.

Doch auch wenn Initiativen aus der belarusischen Demokratiebewegung eine wichtige Rolle dabei zukommt, etwa Belege von Verbrechen und Namen für Sanktionslisten zu sammeln, so leistet doch auch Lukashenkos Handeln selbst einen ganz entscheidenden Beitrag darin, die Sanktionen gegen sein Regime voranzutreiben. Der Ryanair-Fall wurde bereits genannt, ebenso scheint wahrscheinlich, dass die Instrumentalisierung von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten zur Schürung einer Grenzkrise mit Litauen zu neuen Sanktionen führen könnte.

Doch wenngleich die Zahl der besuchten Staats- und Regierungschefs beeindruckt, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tsikhanouskaya für den Kreml ein rotes Tuch ist. Angesichts des hohen und zuletzt auch deutlich gewachsenen Einflusses, den Russland in Belarus ausübt, wird jedoch eine Lösung aus der Krise kaum zu erreichen sein, wenn Russland dieser nicht – mindestens stillschweigend – zustimmt.

Zuletzt besuchte Tsikhanouskaya die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort traf sie unter anderem auf Außenminister Antony Blinken, den Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan und Präsident Joe Biden. Wie können die USA dem unterdrückten belarusischen Volk explizit helfen?

Prinzipiell ist die Bandbreite an Möglichkeiten zur Unterstützung sehr groß und reicht von Förderprogrammen für die Zivilgesellschaft und freien Medien über Stipendien und Trainings für Aktivisten bis hin zu humanitärer Hilfe für Opfer der Gewalt des Regimes. In der jetzigen Lage kommt den Gruppen im Exil eine besondere Rolle zu, da sie wesentlich mehr Möglichkeiten haben, sich frei zu organisieren. Dies könnte womöglich über Jahre nötig werden und eine entsprechende Unterstützung kann dabei helfen, dass die Exilierten ihre Arbeit fortzusetzen im Stande sind. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass letztlich entscheidend ist, was in Belarus selbst passiert.

Im Gespräch mit Außenminister Blinken forderte Tsikhanouskaya die USA auf, Russland darum zu bitten, eine konstruktive Rolle bei der Lösung der Krise zu spielen. Handelt es sich hierbei nicht um einen naiven Gedanken, dass Washington einen ernsthaften Einfluss auf Moskaus geopolitische Interessen hätte?

Die Vereinigten Staaten spielen als die führende (Militär-)Macht der Welt im Denken des Kreml eine kaum zu unterschätzende Rolle. Einerseits werden sie in den Staatsmedien als dekadent und im Niedergang begriffen abgewertet, andererseits gibt es eine tiefe Sehnsucht danach, mit den USA weltpolitisch auf Augenhöhe zu spielen, wie man es zu Zeiten des Kalten Krieges tat.

Nicht selten wurde die aggressivere außenpolitische Gangart Putins mit der als tiefe Kränkung empfundene Aussage Obamas vom Jahr 2008 in Verbindung gebracht, als er sagte, Russland sei lediglich eine „Regionalmacht“. Die EU hingegen wird in Moskau als Machtblock deutlich weniger ernst genommen.

Doch ist die Frage, wie Washington das Ernst-genommen-werden im Fall von Belarus politisch nutzen kann. Die Ausrufung einer neuen „Jalta-Konferenz“, wie sie sich mancher in Moskau bereits zur Zeit der Krim-Krise wünschte, um unter gleichberechtigten Großmächten jeweilige „Einflusssphären“ abzustecken, scheidet jedenfalls aus. Ein solcher Ansatz widerspräche fundamental dem Recht auf freie Bündniswahl, wie es etwa in der Charta von Paris auch für Belarus fixiert wurde.

Die amerikanische Politik sollte daher einerseits klarmachen, dass sie nicht vom Prinzip abrücken wird, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Andererseits sollten sie die Sorgen der russischen Seite ernst nehmen und versuchen, diese abzubauen. Immer wieder betont Moskau etwa, dass es sich durch das Vorrücken der NATO an seine Grenze bedroht sieht und in mehreren postsowjetischen Staaten unterstützt es direkt oder indirekt territoriale Konflikte, um seinen politischen Einfluss zu sichern und deren innen- wie außenpolitischen „Gang nach Westen“ zu unterbinden. 

Lukashenko wurde in Moskau als eine Garantie dafür wahrgenommen, dass sich Belarus nicht auf Westkurs begeben würde, da mit ihm letztlich immer die Frage nach Demokratie und Menschenrechten ein Hindernis bleiben würde. Bei einem Machtwechsel in Minsk stellt sich aus Moskauer Sicht die Frage, wie die eigenen Interessen gewahrt werden können. Eine Mehrheit der Belarusen wünscht sich Umfragen zufolge, dass ihr Land geopolitisch eine neutrale Position einnimmt, wie es auch die Verfassung vorsieht. In direkten Gesprächen zwischen Moskau und Washington könnte es Thema sein, wie diese Neutralität von beiden Seiten garantiert werden kann. Dies wäre eine wichtige Voraussetzung, um den Weg zu einem friedlichen Machtwechsel in Belarus zu ebnen.

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


Jakob Wöllenstein ist Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Vilnius, Litauen. Wöllenstein vermittelt politische Bildung unter anderem per Rap, wie im obigen Video zu sehen ist. Er informiert (klick hier) ebenso wie die KAS Belarus (klick hier) auf Twitter über die Lage in Belarus. Auf der Website der Stiftung finden sich des Weiteren lesenswerte Analysen (klick hier). Auf dem YouTube-Kanal der KAS Belarus gibt es zudem sehenswerte Videos (klick hier).

Bildquellen: Konrad-Adenauer-Stiftung; Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com

HIGH-FIVE mit David McAllister MdEP: „Schutz und militärische Kooperation mit den USA sind unverzichtbar!“

Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten war für die transatlantischen Beziehungen gleichbedeutend mit einer Zeitenwende. Gehört die Freundschaft zwischen den USA und Europa der Vergangenheit an? Sollten die Europäer mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen wie es der amtierende US-Präsident verlangt und wie würden sich die Beziehungen unter einem Präsidenten Joe Biden gestalten?  Über diese Themen sprach „1600 Pennsylvania“ mit dem CDU-Politiker David McAllister, Mitglied des Europäischen Parlaments und ehemaliger niedersächsischer Ministerpräsident.

Die transatlantische Partnerschaft wurde durch die Präsidentschaft von Donald Trump in den vergangenen knapp vier Jahren einer Belastungsprobe ausgesetzt. Doch schon unter den Präsidenten Barack Obama und George W. Bush wurden die Beziehungen durch die NSA-Affäre und durch den Irak-Krieg belastet. Sind die transatlantischen Beziehungen ein Relikt aus alten Tagen?

Nein. Die transatlantischen Beziehungen zwischen der USA und der Europäischen Union unterliegen zweifelsohne einem Stresstest – und das nicht erst seit Donald Trump Präsident wurde. Seit einigen Jahren zieht sich die USA aus ihrer Rolle als Verteidiger und Wahrer der internationalen Weltordnung zurück. Angesichts des rapiden Aufstiegs Chinas verlagert sie ihr Engagement weg aus Europa in den indopazifischen Raum.

Dies bedeutet nicht, dass die transatlantische Partnerschaft in Vergessenheit gerät. Europa hat den USA sehr viel zu verdanken – Frieden, Freiheit und Wohlstand. Seit über 70 Jahren sind die beiden Teile unserer Welt wirtschaftlich, politisch und militärisch eng verbunden. Wir brauchen einander. Es gilt, sich auch weiterhin klar zu dieser Partnerschaft zu bekennen und den transatlantischen Austausch weiterhin beidseitig zu fördern.

Im Jahr 2014 wurde beim NATO-Gipfel in Wales festgeschrieben, dass sich die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsländer innerhalb von zehn Jahren in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegen sollen. Präsident Trump kritisierte mehrmals insbesondere Deutschland, sich nicht an diese Abmachung zu halten. Sollten Deutschland und die EU (nicht alle Länder der EU sind auch Mitglied der NATO) einen höheren Beitrag im Rahmen der NATO erbringen?

Die NATO ist die tragende Säule der transatlantischen Partnerschaft. Angesichts neuer militärischer, technologischer und politischer Herausforderungen muss die Brücke über den Atlantik gestärkt werden. Die Europäische Union ist ein globales Schwergewicht, wenn es um Handel und internationale Entwicklungszusammenarbeit geht. Doch außen- und sicherheitspolitisch müssen wir in Europa mehr Verantwortung übernehmen. Die EU muss weltpolitikfähig werden.

Dazu wollen wir die gemeinsamen militärischen Fähigkeiten in Europa besser und effizienter machen, indem wir bestehende und neue strategisch relevante PESCO-Projekte engagiert vorantreiben. Gleichzeitig bleibt die militärische Kooperation mit den USA unverzichtbar. Es geht vielmehr darum, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken. Wir müssen transatlantisch bleiben und dafür europäischer werden.

Wir wollen die Streitkräfte in Europa besser und effizienter machen, aber der Schutz und die militärische Kooperation mit den USA sind unverzichtbar. Die EU soll nie gegen die NATO arbeiten, sondern Europa innerhalb der NATO stärken.

Der ehemalige Vizepräsident Joe Biden hat gute Chancen auf den Wahlsieg am
03. November. Erhoffen Sie sich durch dessen – mögliche – Wahl eine Verbesserung der transatlantischen Beziehungen?

Ein Wechsel im Weißen Haus könnte den transatlantischen Beziehungen einen neuen Impuls geben. Unter einem Präsident Biden dürfte sich die multilaterale Zusammenarbeit verbessern. Wir würden einen Partner für eine stärkere regelbasierte globale Ordnung zurückgewinnen. In einigen Fragen wird es allerdings weiterhin Konfliktpotenzial geben. Das betrifft zum Beispiel den Umgang mit China oder die protektionistischen Tendenzen in der Handelspolitik.

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


David McAllister (CDU) gehört seit 2014 der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament an. Er leitet den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Zwischen 2010 und 2013 amtierte McAllister als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. McAllister besitzt die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft. Offizielle Website (Klick hier).

Bildquellen: Europäisches Parlament (David McAllister); Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com

HIGH-FIVE mit Bastian Hermisson: „Trump ist der Traum-Präsident der fossilen und energieintensiven Lobbygruppen“

In den ersten Bundesstaaten können US-Amerikaner schon ihre Stimme für die anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen abgeben. Mit den Wahlen neigt sich auch die Legislaturperiode von Präsident Trump dem Ende entgegen. Ein guter Zeitpunkt, um eine erste Bilanz aus einem klimapolitischen Blickwinkel zu ziehen. „1600 Pennsylvania“ konnte hierfür Bastian Hermisson, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C., gewinnen.

Die – erste – Amtszeit von Präsident Trump neigt sich dem Ende entgegen. Wie fällt Ihre Bilanz hinsichtlich der Klimapolitik der Trump-Administration aus?

Aus Sicht einer wissenschaftsbasierten Klimapolitik und künftiger Generationen war die bisherige Klimapolitik der Trump-Regierung katastrophal. Trump stellt öffentlich den menschengemachten Klimawandel infrage und verweigert sich wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er entzieht sich jeder nationalen und internationalen Verantwortung, diese Herausforderung zu adressieren.

Stattdessen hat die Regierung frühere klima-, umwelt- und energiepolitische Regulierungen in einem atemberaubenden Tempo rückabgewickelt, vom Clean Power Plan der Obama-Regierung, dem klimapolitischen Herzstück der bisherigen US-Politik, über Methangas-Normen bis hin zu Emissionsstandards von Automobilen. Die vom republikanischen Präsidenten Richard Nixon gegründete US-Umweltbehörde EPA ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.

International haben sich die USA von einem Unterstützer der UN-Klimaverhandlungen in der zweiten Obama-Legislatur zu einem Bremser und Blockierer entwickelt. Symbolisch stehen dafür der Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen und die Einstellung von Zahlungen im Rahmen der internationalen Klimafinanzierungsverpflichtungen der USA. Gleichzeitig haben die extremen Wetterereignisse innerhalb der USA massiv zugenommen, die Rekord-Hurrikan-Saison dieses Jahres und die historischen Waldbrände sprechen für sich.

Aus Sicht der Interessen vieler Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf fossilen Energien basiert, waren die letzten Jahre hingegen goldene Jahre. Trump ist der Traum-Präsident der fossilen und energieintensiven Lobbygruppen, von denen viele auf weitere vier Jahre hoffen.

Wie unabhängig sind die einzelnen Bundesstaaten in ihren klimapolitischen Entscheidungen von Washington D.C. und was können diese explizit zur Bekämpfung des Klimawandels unternehmen?

Schon lange vor der Trump-Regierung waren es einzelne Bundesstaaten, welche ambitionierte energie- und klimapolitische Standards etablierten und damit zu einer Art Energiewende von unten beitrugen. Die Effekte dessen, kombiniert mit landesweiten Initiativen der Obama-Regierung, sind heute sichtbar.

Die USA verzeichnen trotz der rückwärtsgewandten Politik der Bundesregierung Jahr für Jahr ein Rekordwachstum an Erneuerbaren Energien und haben zu Beginn der Trump-Zeit sogar ihre CO2-Emissionen reduziert. Investitionen in Erneuerbare Energien sind heute bereits kostengünstiger als fossile Alternativen, weshalb auch alleine aufgrund der Logik des Marktes in diese investiert wird. Das gilt übrigens keineswegs nur in Bundesstaaten, welche von Demokraten regiert werden, sondern betrifft Texas oder Utah ebenso wie Kalifornien oder New York.

Gleichzeitig greift die Trump-Regierung eben diese Befugnisse von Bundesstaaten, eigene Standards zu setzen, nun an. Konkret geht es um die Auseinandersetzung mit Kalifornien bezüglich der Emissionsstandards von Automobilen. Kalifornien als größter US-interner Markt hatte, im Einvernehmen mit großen Teilen der Automobilindustrie, auf hohe Standards gesetzt. Trump und die Republikaner, welche in anderen politischen Fragen immer gerne die Unabhängigkeit von Bundesstaaten betonen, gehen nun hiergegen gerichtlich vor. Sollte dies erfolgreich sein, könnte es das bisherige System infrage stellen, nach dem in den USA oft die Bundesstaaten die zentralen Treiber politischer Veränderung waren.

In den ersten 3,5 Jahren wartete die Regierung Trump mit der Deregulierung von Umweltstandards auf. Kurz vor der Präsidentschaftswahl die – eingeschränkte – Kehrtwende, als Präsident Trump die Verlängerung und Erweiterung des Moratoriums für Ölbohrungen vor der Küste Floridas um zehn Jahre verkündete. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung aus Sicht des Umweltschutzes und was hat Präsident Trump hierzu bewegt?

Das scheint mir nicht mehr als ein plumpes Wahlkampfmanöver zu sein. Florida ist ein zentraler Swing State, regiert vom republikanischen Gouverneur Ron DeSantis, der sich gegen Ölbohrungen vor der Küste Floridas ausgesprochen hat. Die „Deepwater Horizon“-Ölpest ist vielen in Florida noch stark präsent. Das hat damals die stark vom Tourismus abhängige Wirtschaft des Staates heftig getroffen.

Ich kann aber nicht erkennen, dass dies darüber hinaus etwas mit einem umweltpolitischen Sinneswandel der Regierung zu tun hätte. Denn erst Mitte August hat die Regierung entschieden, Beschränkungen für Ölbohrungen in Alaska, in der Arktis, aufzuheben, trotz der massiven Proteste von Umweltorganisationen und Naturschützern.

Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden will sich bei seinen politischen Entscheidungen auch beim Klimaschutz wieder vermehrt an der Wissenschaft orientieren. Wie sehen Bidens Klimaschutzpläne kurz zusammengefasst aus?

Bidens klimapolitischer Aktionsplan ist für US-Maßstäbe sehr ambitioniert. Das hängt auch damit zusammen, dass Biden nach seiner Nominierung in einen intensiven Dialog mit den klimapolitischen Vorreitern in seiner Partei eingetreten ist, wie beispielsweise Senator Bernie Sanders oder Jay Inslee, der Gouverneur Washingtons. Das Ergebnis ist ein Kompromiss.

Einerseits bekennt sich Biden weiter zur Atomkraft und wendet sich gegen ein landesweites Moratorium für das Fracking von Erdgas. Gleichzeitig plant er, den Elektrizitätssektor der USA bis 2035 CO2-neutral zu machen und das Energiesystem insgesamt bis 2050. Dazu sollen alleine während der kommenden Jahre $2 Billionen in Erneuerbare Energien, Gebäudesanierung und andere Klimaschutzmaßnahmen investiert werden, 40 Prozent davon in historisch benachteiligten Gemeinden.

Neben der Bekämpfung der Pandemie, der Bewältigung der Wirtschaftskrise und der Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe des strukturellen Rassismus, ist die Adressierung der Klimakrise die vierte Säule in Bidens Wahlkampf. Das ist ein radikaler Unterschied zur Trump-Kampagne.

Was erhoffen Sie sich von der US-Administration, die am 20. Januar 2021 ihre Arbeit aufnehmen wird?

Die Klimakrise ist eine globale Herausforderung. Sie ist gleichzeitig eine Krise, für die manche Länder mehr historische Verantwortung tragen als andere, und für deren Bewältigung manche Länder mehr Kapazitäten haben als andere. Die USA sind in dieser Hinsicht ein zentraler Akteur. Ohne ein starkes Engagement der USA und Chinas wird die Krise nicht zu meistern sein, das Gleiche gilt im Übrigen für die Europäische Union.

Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir von der kommenden US-Administration einerseits eine heimische Klimapolitik, welche sich an der Wissenschaft orientiert und das ungeheure Potential der USA nutzt, um das Land zu einem klimapolitischen Vorreiter zu machen. Ich würde mir gleichzeitig eine konstruktive Rückkehr der USA in die globalen Klimaverhandlungen wünschen und eine Führungsrolle innerhalb dieser.

Und nicht zuletzt sind die USA ebenso wie Europa gefragt, diejenigen Länder bei Anpassungsmaßnahmen und CO2-Vermeidung zu unterstützen, die am Wenigsten eigene Mittel haben, um dies zu tun, und die bereits heute am Meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden.

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


Bastian Hermisson ist Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C. Davor leitete er das Büro Brüssel und das Referat EU / Nordamerika der Stiftung und verantwortete als Referent den Themenbereich Außen- und Sicherheitspolitik. Vor seiner Tätigkeit in Berlin leitete er das Programm Transatlantische Beziehungen der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C. Bevor er in die Stiftung eintrat, arbeitete er drei Jahre lang als Berater für Außen-, Sicherheits- und Umweltpolitik für die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag. Die Internetseite der Heinrich-Böll-Stiftung Washington D.C. (Klick hier).

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