Gastbeitrag: Annalena Baerbock – Demokratische Realistin

Die USA üben infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ihre Führungsrolle der freien, demokratischen Welt wieder aktiver aus. Neben Präsident Joe Biden treten insbesondere Verteidigungsminister Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken international positiv in Erscheinung. Aus deutscher Sicht konnte sich Außenministerin Annalena Baerbock im In- und Ausland Respekt verschaffen. Tobias P. Fella vom Institut für internationale Politik und Wirtschaft HAUS RISSEN hat sich in einem Gastbeitrag für „1600 Pennsylvania“ mit Baerbocks außenpolitischer Rolle befasst:

Tobias P. Fella

Außenministerin Baerbock prägt die deutsche Außenpolitik. Vom Baltikum und Butscha bis zum G7-Treffen in Schleswig-Holstein propagiert sie einen demokratischen Realismus, der Macht als ein Fundament von Politik und den Regimetyp als Triebfeder von Außenpolitik herausstellt. Damit er gelingt, sollte sie mit drei Schritten um die Unterstützung der Bevölkerung werben.

Erstens, sollte sie ihr reinen Wein einschenken: Putin ist ein Mann auf einer historischen Mission. Er strebt eine imperiale Weltordnung an, in der Großmächte das Schicksal ihrer Anrainer bestimmen. Er agiert dabei in seiner Logik rational. In ihn die Irrationalität oder Ideologie zu verbannen, führt daher nicht weiter. Es ebnet den Weg in die nächste Verständniskrise, etwa der chinesischen Politik.

Zweitens, sollte sie das Bewusstsein für nationale Interessen schärfen. Hierzu könnte sie die Herausforderungen von Deutschland als Handelsnation und Macht in der geografischen Mittellage skizzieren. Besonders wichtig wäre das Eingeständnis, dass die internationale Ordnung die Interessen und Überzeugungen der stärksten Mächte spiegelt, sie in ihrem liberalen Kern also kontingent ist und u.a. gegen das Chaos verteidigt werden muss.

Drittens, sollte Baerbock zu diesem Unterfangen auf ein „Konzert der Demokratien“ setzen. Sie sollte jenen eine Absage erteilen, die die unter den Deckmänteln von Geopolitik und Multilateralismus für eine Welt der Einflusssphären plädieren, in der es keinen Unterschied macht, ob Außenpolitik von einer Demokratie oder Autokratie praktiziert wird.

Solche Positionen stellen infrage, ob Ideen politisch relevant sind oder sein sollten. Sie künden von der Bereitschaft eigene Werte aus materialen Imperativen zu verkaufen. Sie sind keine Manifestationen von Realpolitik, auch keine achtsamer Geopolitik, sondern Ausdrücke von Großmannssucht, die Welt am Kartentisch des Hinterzimmers zu ordnen.

Die Außenministerin kann das Land mit starker Hand durch die raue See steuern, indem sie forciert, was sie begonnen hat: eine Außenpolitik des demokratischen Realismus.

Tobias P. Fella (@tobiaspfella) ist Referent für Sicherheitspolitik am Institut für internationale Politik und Wirtschaft HAUS RISSEN in Hamburg und wartete schon mit Beiträgen in der taz, Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung auf.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; Tobias Fella; eigene Grafiken.

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