Richard Nixons Blick in die Glaskugel

Richard Nixon war zweifelsfrei eine polarisierende Persönlichkeit. Infolgedessen ist es wenig verwunderlich, dass die Präsidentschaft des Republikaners negative wie positive Erinnerungen hervorruft. Einerseits trat Nixon im Rahmen der Watergate-Affäre als bisher einziger Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten von seinem Amt zurück. Andererseits stand der 37. US-Präsident für eine nahezu revolutionäre Außen- und Sicherheitspolitik.

Nixon war nämlich auch der erste US-Präsident, der zu Staatsbesuchen in die Sowjetunion und in die Volksrepublik China reiste. Im Jahr 1972 brachte er die Ping-Pong-Diplomatie zu einem Höhepunkt, als er sich zu Gesprächen mit Mao Zedong traf und die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und China vereinbarte. Mit dem sowjetischen Generalsekretär Leonid Breschnew unterzeichnete Nixon das Rüstungsbegrenzungsabkommen SALT I.

Mit seiner Entspannungs- und Abrüstungspolitik erwarb sich Nixon einen exzellenten außen- und sicherheitspolitischen Ruf. Eine Begebenheit, die ihm noch bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1994 zu einem gefragten Fachmann machte. In einem Fernsehinterview äußerte sich der damals 81-Jährige über das neue Russland, welches nach dem Zerfall der Sowjetunion erstmals ein demokratisches System mit expliziten Freiheitsrechten genoss.

Vor diesem Hintergrund sah Nixon Russland auf einem Scheideweg: „die Ideen der Freiheit (…) [würden nun] auf die Probe gestellt“. Könnten sich die Werte der Freiheit in Russland nicht durchsetzen, würde es laut Nixon zwar „keine Umkehr zum Kommunismus, der versagt hat,“ geben. Aber, so Nixon weiter, wäre es sehr wahrscheinlich, dass es zu einem neuen Despotismus kommt, „der eine tödliche Gefahr für den Rest der Welt darstellen würde“.

Nixon beschrieb diese Herausforderung explizit mit den Worten

eines Virus des russischen Imperialismus, der die Charakteristik russischer Außenpolitik seit Jahrhunderten darstellt.

Aus diesen Gründen hätte der Westen, so Nixon, großes Interesse am Erfolg von Demokratie und Freiheit in Russland. Ansonsten bestünde eine reelle Gefahr für den Weltfrieden. Weitere (ehemalige) kommunistische Staaten wie China könnten sich bei einem Scheitern des russischen Freiheitsprojekts zudem ermutigt fühlen Vertretern eines harten politischen Kurses wieder das Kommando zu geben.

Knapp 30 Jahre nach Nixons Analyse ist festzustellen, dass sich in Russland die Werte der Freiheit nicht durchsetzten, es entstand ein erneutes autoritäres System. Der Kreml bedient sodann den in der Bevölkerung historisch bedingten tief verwurzelten russischen Imperialismus unter anderem mit einem Angriffskrieg auf die Ukraine. Im kommunistischen China wiederum erklärte sich Xi Jinping quasi zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit und damit zum mächtigsten Mann seit Mao Zedong.

Gleichwohl es im Rückblick so anmuten mag, war es doch kein zufälliger Blick in die Glaskugel, den Richard Nixon im Jahr 1994 von sich gab. Aus Nixon sprach vielmehr dessen großer außen- und sicherheitspolitischer Erfahrungsschatz, gepaart mit einem breit angelegten Wissen über die Geschichte und Kultur anderer Länder. Qualifikationen, die insbesondere einem Großteil der deutschsprachigen Politik und Öffentlichkeit in Bezug auf Russland und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine abgingen und abgehen. Die heutigen Geschehnisse in Russland und China kommen mitnichten überraschend.

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Ukraine-Krieg: Ignorierte Warnungen

Weil niemand von uns gedacht hat, dass auf europäischem Boden jemals wieder Krieg geführt wird, ist es eben nicht so einfach, zu sagen, jetzt schickt man schweres Gerät in die Ukraine.

Annalena Baerbock, Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, im Interview mit BR24 am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2023.

Mit dieser Aussage unterstrich Außenministerin Baerbock nicht nur die naive sicherheitspolitische Position der Bundesrepublik Deutschland der vergangenen Jahrzehnte, die teils bis heute anhält. Sie stellte hiermit ebenso eine verengte westeuropäische Sichtweise zur Schau. Der Osten Europas wird nämlich unentwegt von Russland bedroht.

Russland führt seit Jahrzehnten Krieg

Seit dem Jahr 2014 führen russische Soldaten Krieg im Donbas, um diesen aus der Ukraine herauszulösen und in die Russische Föderation völkerrechtswidrig einzugliedern. Die ukrainische Krim wurde schon annektiert. Sechs Jahre zuvor kam es zum Kaukasuskrieg, als die russische Armee die international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien gegen Georgien unterstützte. Zuvor vergab Moskau, wie später in der Ostukraine, russische Staatsbürgerschaften an die eigentlich zu Georgien gehörenden Südossetier und Abchasier.

Zwischen den Jahren 1999 und 2009 dauerte der Zweite Tschetschenienkrieg an, welcher sich an den Ersten Tschetschenienkrieg zwischen 1994 und 1996 anschloss. Zwischen 50.000 und 90.000 Zivilisten und Soldaten wurden getötet. Moskau installierte nach einem militärischen Erfolg, bei dem unter anderem Grosny komplett zerstört wurde, Achmad Kadyrow als Präsidenten der autonomen Republik der Russischen Föderation. Nach der Tötung von Achmad folgte dessen Sohn Ramsan Kadyrow nach. Gegenwärtig führt Kadyrow eigene Einheiten beim Ukraine-Feldzug Russlands an.

Auf europäischem Boden herrscht folglich nicht erst seit dem 24. Februar 2022 wieder Krieg. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine stellt lediglich die Intensivierung der imperialistischen Bestrebungen Moskaus dar. Der Kreml hat mehrmals klargestellt die ukrainische Nation, Sprache, Kultur und generell das ukrainische Volk zerstören zu wollen. Gleichwohl führende Politiker aus den USA jahrelang vor solch einem Szenario warnten, war es doch insbesondere Deutschland, welches sich aus ökonomischen und ideologischen Gründen gegen die Anerkennung der herausfordernden Realitäten strebte.

2008: Bush plädiert für NATO-Mitgliedschaft der Ukraine

Die USA unter Präsident George W. Bush wollten im Jahr 2008 die Ukraine und Georgien in den Membership Action Plan, welcher letztendlich zu einer NATO-Mitgliedschaft geführt hätte, aufnehmen. Der Plan scheiterte jedoch am Widerstand der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU). 14 Jahre später hat die Ukraine offiziell einen Antrag auf Mitgliedschaft im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis gestellt. Eine frühere Aufnahme in die NATO hätte der Ukraine die nötigen realen Sicherheitsgarantien gegenüber einer russischen Invasion gegeben.

2012: Romney sieht Russland als größte Bedrohung

Im Rahmen des Wahlkampfes teilte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney im März 2012 bei Wolf Blitzer auf CNN seine Auffassung mit, dass „Russland (…) ohne Frage, unser geopolitischer Gegner Nummer eins“ sei. Der demokratische Amtsinhaber Barack Obama kritisierte Romneys Position ebenso wie deutschsprachige Medien. Das Hamburger Abendblatt schrieb beispielsweise über das Duell um das Weiße Haus, dass Obama „als Friedenstaube, Romney als aggressiver Falke“ erscheinen würde (29.10.2012). 

Obamas Neustart mit Russland scheiterte bekanntlich. Nur zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl 2012 annektierte Russland die ukrainische Krim und begann den Krieg im Donbas. Dabei hätte Präsident Obama, wie Romney, die Expansionsbestrebungen des russischen Präsidenten Vladimir Putin, der eine Nostalgie nach der alten Sowjetunion mit den Großmachtfantasien des Zarenreichs verbindet, erahnen können, ja müssen.

Denn schon im Jahr 2005 hatte Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Drei Jahre später ließ Putin seinen Worten Taten folgen und marschierte, wie oben schon erwähnt, in Georgien ein. 

Der Beitrag „Vor zehn Jahren hatte Mitt Romney eine Vorahnung“ hat sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt (Klick hier).

2014: McCain prognostiziert russische Invasion der Ukraine

Nach der illegalen Annexion der Krim sagte im Jahr 2014 John McCain, republikanischer Präsidentschaftskandidat 2008 und zum damaligen Zeitpunkt U.S. Senator, voraus, dass Putin in einem nächsten Schritt mindestens die Ostukraine einverleiben würde, um eine Landverbindung zur Krim herzustellen.

Laut McCain sei Putins Ambition die Wiederherstellung des alten Russischen Reichs, so dass neben der Ukraine auch die Republik Moldau sowie die baltischen Staaten vor einer russischen Invasion nicht geschützt seien. Infolgedessen konnte auch das Minsker Friedensabkommen (Minsk II), welches insbesondere von Deutschland und Frankreich forciert wurde, nicht erfolgreich sein.

Seit 2014: USA drängen auf Erhöhung der Verteidigungsausgaben

Die NATO-Mitgliedsländer vereinbarten gemeinsam auf ihrem Gipfel in der tschechischen Hauptstadt Prag im Jahr 2002 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, um für mögliche zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen abwehrbereit zu sein. Beim NATO-Gipfel in Wales 2014 wurde noch einmal konkretisiert festgeschrieben, dass die Mitgliedsländer „darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen“.

Nachdem insbesondere Deutschland dieser Vereinbarung nicht folgte, versuchte Präsident Obama mit einer wohlfühlenden, Präsident Donald Trump mit einer rustikaleren und Präsident Joe Biden mit einer klassisch diplomatischen Art, Berlin doch noch zu einem Umdenken zu bewegen. Erst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 brachte Bewegung in die deutsche Verteidigungspolitik. Doch das von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete große Wort der „Zeitenwende“ wartet weiterhin darauf mit expliziten Taten und Inhalten gefüllt zu werden.

Ab 2014: Obama und Trump warnen vor Abhängigkeit von russischen Energieträgern

Die energiepolitische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland wurde während der Kanzlerschaften von Gerhard Schröder (SPD) und Dr. Merkel, entgegen dem Protest osteuropäischer Länder, stark ausgebaut. Die USA warnten daraufhin von einer gefährlichen Abhängigkeit, da Russland ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen würde. Deutschland nahm diese Warnungen freilich nicht ernst.

Präsident Obama bot Dr. Merkel an, LNG-Terminals zu errichten, damit die Abhängigkeit von russischem Gas minimiert werden könnte. Die Bundeskanzlerin lehnte ab. Erst nach anhaltendem Druck durch Präsident Trump entschied sich Bundeskanzlerin Dr. Merkel Ende 2018 für die Förderung des Baus von Terminals für Flüssiggas. Und dennoch passierte zunächst nichts.

Zuvor lachte die deutsche Delegation um Außenminister Heiko Maas (SPD) und Christoph Heusgen, damals Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen und heute Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, den US-Präsidenten sogar bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung zu dessen Ausführungen über die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas öffentlichkeitswirksam aus (siehe Video).

Erst mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine reagierte Deutschland und baute eigene LNG-Terminals. Zwei solcher Terminals konnten innerhalb eines Jahres in Betrieb gehen, weitere sind in Planung. Die Kosten für diese späte Entscheidung und die mangelnde Diversifizierung bei Gasimporten zahlt jedoch der Verbraucher.

2018: Bolton warnt vor russischen Expansionsbestrebungen

Auch John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von Donald Trump, warnte schon vor Jahren vor den russischen Expansionsbestrebungen. Bolton sah beispielsweise frühzeitig die territoriale Integrität und Souveränität der Republik Belarus unter einer enormen Bedrohung durch den russischen Imperialismus ausgesetzt.

Westliche Sanktionen gegenüber den belarusischen Diktator Alexander Lukashenko seien vor diesem Hintergrund laut Bolton kontraproduktiv, würden diese das Regime in Minsk doch wieder näher an Moskau heranführen. Russland würde hierdurch seinem Ziel, die Republik Belarus zu übernehmen, näherbringen. Im Februar 2023 wurde sodann ein Geheimdokument veröffentlicht, welche die Pläne einer schleichenden Annexion der Republik Belarus durch Russland bestätigt.

Gehört wurden Boltons Warnungen, insbesondere von den West- und Mitteleuropäern, freilich nicht. Es folgte die russische Invasion der Ukraine auch über belarusisches Staatsgebiet. Diktator Lukashenko blieb letztendlich keine andere Wahl, als sein Territorium der russischen Armee zur Verfügung zu stellen, da er keinen Ausweg mehr nach Westen hatte. Nach der Annexion der Krim 2014 sah dies noch anders aus, unternahm Lukashenko doch einiges, um von Russland auf Abstand zu gehen.

Der Beitrag „Boltons ungehörte Warnung“ wartet mit weiteren Hintergründen zur Thematik auf (Klick hier).

2023: Rice und Gates warnen vor Verhandlungen

Condoleezza Rice und Robert Gates, ehemalige Minister für Äußeres und Verteidigung, wiesen in einem Gastbeitrag für The Washington Post darauf hin, dass Putin weiterhin die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle bringen will, um das Russische Reich auferstehen zu lassen. Eine Waffenruhe oder sogar teilweise Abgabe von ukrainischen Gebieten an Russland würde dem Kreml nur Zeit zu einer späteren erneuten Offensive verschaffen.

Da eine Niederlage keine Option sei, plädierten Rice und Gates für die Lieferung von schwereren Waffen, die zudem schneller geliefert werden müssten. Darunter sollten sich auch Raketen mit einer längeren Reichweite und Drohnen befinden. Die mittel- und westeuropäischen Länder treten dennoch weiter auf die Bremse. 

Der Gastbeitrag ist im Original auf der Website von The Washington Post nachzulesen (Klick hier).

Zeitenwende herrscht, wenn alte Denkmuster wegfallen

Erst wenn insbesondere in Mittel- und Westeuropa aus vergangenen Fehleinschätzungen gelernt, aus ängstlichen Verhaltensweisen entstandene Schwächen sowie ein in Teilen vorherrschender Anti-Amerikanismus abgelegt und die daraus nötigen Konsequenzen gezogen werden, ist ein nachhaltiger und langfristiger Frieden in Europa möglich. Ein erster Schritt ist hierbei die naive Haltung abzulegen, dass es sich in der Ukraine lediglich um „Putins Krieg“ handeln würde. Im eingangs erwähnten Interview sprach Außenministerin Baerbock beispielsweise davon, dass alleine der „russische Präsident (…) Morden“ würde.

Vielmehr ist es ein tief im Gedankengut der russischen Bevölkerung verwurzelter historisch gewachsener Imperialismus, der zum größten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Im Gegensatz zu den europäischen Mächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurde Russland nämlich nie von seinen imperialistischen Bestrebungen geheilt. 

Eine stabile Mehrheit von 75 Prozent der Russen unterstützt infolgedessen auch nach einem Jahr weiterhin den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putins Zustimmungswerte stiegen laut dem unabhängigen Levada Institut signifikant an: 82 Prozent der Russen beurteilten im Januar 2023 die Arbeit ihres Präsidenten als positiv.

Die Ukraine ist nur der Anfang. Wenn wir fallen, werden wir nicht die Ersten und nicht die Letzten sein.

Wladimir Klitschko im Interview bei Sandra Maischberger am 22.02.2023 (siehe untenstehendes Video)

Expansionsbestrebungen Russlands sind zudem keine Erfindung Putins, unterjochte Moskau doch schon unter der roten Flagge der Sowjetunion die osteuropäischen Länder und bedrohte seine Nachbarn unter Führung des Zaren. Politisch Verantwortliche wären gut beraten, sich an den Worten des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu orientieren, als dieser in einem Interview mit Zeit Online folgende weise Worte von sich gab:

Wir sollten aufhören mit dem Wunschdenken, Russland sei durch Freundlichkeit zu beeindrucken.

In genau diese Kerbe stoß auch Lloyd Austin, als er die Kriegsziele klar definierte. Laut dem US-Verteidigungsminister müsste Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine so stark geschwächt werden, dass es über Jahrzehnte seine Nachbarn nicht mehr bedrohen könne. Bleibt zu hoffen, dass die West- und Mitteleuropäer zumindest diese Mitteilung aus Übersee erfasst und verstanden haben sowie danach handeln werden. Die erfolgreiche militärische Verschiebung von Grenzen wäre nämlich die Öffnung der Büchse der Pandora, Europa würde in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückversetzt werden.

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Präsident Biden in der Ukraine und in Polen

Sonntage sind dem Katholiken Joe Biden heilig. Üblicherweise verbringt er diese Tage gemeinsam mit seiner Familie in seinem Heimat-Bundesstaat Delaware und besucht einen Gottesdienst. Am Sonntag des 19. Februar 2023 reiste Präsident Biden jedoch heimlich nach Polen, einen Tag früher als geplant. Von dort aus sollte er am Montag mit dem Zug in die ukrainische Hauptstadt Kyiv reisen.

In Kyiv angekommen, besuchte Präsident Biden gemeinsam mit seinem ukrainischen Amtskollegen Volodymir Zelensky die St. Michaels Kathedrale, gedachte den im Krieg Gefallenen und führte bilaterale Gespräche. Dabei verkündete Präsident Biden zusätzliche Militärhilfen in Höhe von $500 Millionen.

Putin dachte, dass die Ukraine schwach und der Westen gespalten sei. Er dachte, er könnte uns überrumpeln. Aber da lag er völlig falsch (…) Ein Jahr später stehen wir hier zusammen – gemeinsam mit dem ukrainischen Volk. Die Ukraine steht. Die Demokratie steht.

Präsident Joe Biden in Kyiv, Ukraine, am 20.02.2023

Biden ist der erste amtierende US-Präsident, der ein Kriegsgebiet besucht, welches nicht von US-Streitkräften kontrolliert wird. Während Bidens Besuch ertönte in Kyiv Luftalarm, da russische Kampfflugzeuge über belarusischem Territorium aufstiegen. Dabei wurde Russland laut Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater des US-Präsidenten, kurz vor dem Überraschungsbesuch über die Reise informiert.

Der Besuch des US-Präsidenten kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine brachte vor allem einen hohen Symbolcharakter mit sich. Für die Ukraine dürfte dieser Besuch einen weiteren enormen Motivationsschub in ihrem Freiheitskampf gegen die russischen Aggressoren mit sich bringen.

Tags darauf traf sich Präsident Biden in Warschau mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Präsident Biden bedankte sich hierbei unter anderem für die Aufnahme von mehr als 1,5 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge. Ebenso angesprochen wurden die Themen der bilateralen Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Energiepolitik sowie gemeinsamer demokratischer Werte, um die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Des Weiteren führte Präsident Biden Gespräche mit den „Bukarest Neun“, die sich aus den osteuropäischen NATO-Mitgliedern zusammensetzen, sowie mit Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau.

Präsident Biden hielt zudem am Warschauer Königsschloss eine viel beachtete öffentliche Rede zum bevorstehenden Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine ab. Dabei betonte er den Wert der Freiheit, welcher gegenwärtig in der Ukraine verteidigt werden müsste. Die freie Welt stehe so geschlossen zusammen wie nie zuvor, um die russischen Aggressoren zurückzuschlagen. Autokraten verstehen, so Präsident Biden, nur ein Wort:

Nein, nein, nein. Nein, ihr bekommt nicht mein Land. Nein, ihr bekommt nicht meine Freiheit!

Präsident Biden bedankte sich ebenso erneut für die Unterstützung Polens und der gesamten freien Welt und betonte, dass die „Ukraine niemals ein Sieg für Russland“ werden wird. Mit seiner Ansprache in Warschau konnte US-Präsident Biden dem russischen Präsidenten Vladimir Putin, der am gleichen Tag seine (Hass-)Rede zur Lage der Nation hielt, einen rhetorischen Niederschlag verpassen.

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Zelensky dankt den USA

Erstmals seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24.02.2022 hat Volodymir Zelensky sein Land für eine kurze Auslandsreise verlassen. In Washington D.C. dankte der ukrainische Präsident „dem US-amerikanischen Volk, dem Präsidenten und dem Kongress für die nötigen Hilfen“ im Kampf gegen die russischen Aggressoren.

Im Weißen Haus empfing US-Präsident Joe Biden Zelensky zu bilateralen Gesprächen. Die USA verkündeten vor diesem Hintergrund zusätzliche Hilfen für die Ukraine in Höhe von $1,85 Milliarden. Die Vereinigten Staaten werden fortan die Ukraine auch mit dem schon seit längerer Zeit von Kyiv gewünschten Flugabwehrraketensystem Patriot ausstatten. Die nötige Schulung für das ukrainische Militär wird jedoch mehrere Monate benötigen, so ein Offizieller des US-Verteidigungsministeriums.

Wir werden weiterhin die Fähigkeit der Ukraine stärken, sich selbst zu verteidigen, insbesondere die Luftverteidigung, und deshalb werden wir der Ukraine Patriot-Raketenbatterien bereitstellen (…) Wir werden euch unterstützen. Wir werden euch unterstützen so lange es nötig ist (…) Russland versucht den Winter als eine Waffe zu benutzen.

Präsident Joe Biden

Am Tag vor seiner Reise in die USA besuchte Zelensky die Frontstadt Bachmut und zeichnete ukrainische Soldaten aus. Ein ukrainischer Kämpfer bat Zelensky darum, dessen Heldenauszeichnung an Präsident Biden weiterzugeben: „Er ist sehr mutig und er sagte, ich solle es an einen sehr mutigen Präsidenten weitergeben.“

Nach seinem Treffen mit Präsident Biden hielt Zelensky eine emotionale und historische Ansprache vor dem U.S. Kongress. In seiner 22 Minuten andauernden Rede dankte der ukrainische Präsident den USA erneut für die andauernde Unterstützung. Des Weiteren beschrieb Zelensky das Durchhaltevermögen seiner Landsleute, die Ukraine sei stark, auch dank westlicher Hilfen.

Es ist eine große Ehre für mich, im U.S. Kongress zu sein und zu Ihnen und allen Amerikanern zu sprechen. Entgegen allen Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen. (…) Wir kämpfen und wir werden gewinnen, weil wir vereint sind (…) Die Ukraine hat die amerikanischen Soldaten nie gebeten, an unserer Stelle auf unserem Land zu kämpfen. Ich versichere Ihnen, dass ukrainische Soldaten amerikanische Panzer und Flugzeuge perfekt selbst bedienen können (…) Ihr Geld ist keine Wohltätigkeit, es ist eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie, mit der wir auf höchst verantwortungsvolle Weise umgehen.

Volodymir Zelensky, Präsident der Ukraine

Zelensky wurde nicht müde zu betonen, dass es sich beim Ukraine-Krieg auch um einen Kampf zwischen allen freien Gesellschaften und dem Totalitarismus handelt. Die iranische Unterstützung für den russischen Vernichtungskrieg nannte Zelensky explizit. Eine Begebenheit, die insbesondere bei republikanischen Abgeordneten gut angekommen sein dürfte. Zelenskys Rede wurde durch zahlreiche stehende Ovationen unterbrochen.

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Was ist den Republikanern die Freiheit der Ukraine wert?

O sagt, weht dieses
sternenbesetzte Banner noch immer
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen?

Im Jahr 1814 schrieb Francis Scott Key diese Zeilen nieder, welche seit 1931 einen Teil der Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika darstellen. Die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der unendlichen Freiheit. Seit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg stehen die USA für den Wert der Freiheit auch weltweit ein.

Vorbereitet wurde dieser Kursschwenk von der einstigen außenpolitischen Zurückhaltung zu einer offensiveren Ausrichtung von Präsident Franklin D. Roosevelt am 06.01.1941. In seiner Rede zur Lage der Nation definierte er vier Freiheiten, für die sich die USA fortan einsetzen wollten: Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Not (z. B. Ökonomie, Krieg) und Freiheit von Furcht (z.B. Angst vor Waffengewalt durch einen benachbarten Staat). Grundprinzipien, die später maßgeblich zur Bildung einer Anti-Hitler-Koalition sowie zur Gründung der Vereinten Nationen beitrugen. 

Im Systemwettbewerb des Kalten Krieges zwischen Demokratie und Marktwirtschaft versus Kommunismus/Sozialismus und Planwirtschaft waren die USA sodann der Garant für die Werte der Freiheit schlechthin. Gerade im geteilten Deutschland waren die Auswirkungen des Kalten Krieges, der wie bei der Berlin-Krise zwischen 1958 und 1961 nicht nur einmal kurz davor stand heiß ausgetragen zu werden, alltäglich spürbar.

Allen voran die US-Präsidenten John F. Kennedy und Ronald Reagan mit ihren Besuchen in West-Berlin 1963 beziehungsweise 1987 gaben der Hoffnung auf Frieden in Freiheit in Europa mit ihren historischen Reden neue Nahrung.

Ich bin ein Berliner.
(Kennedy am 26.06.1963 vor dem Rathaus Schöneberg)

Reißen Sie diese Mauer nieder!
(Reagan am 12.06.1987 in West-Berlin in Sichtweite des Brandenburger Tores)

Der Einsatz für die Freiheit definierte über Jahrzehnte hinweg US-amerikanische Außenpolitik, freilich nicht immer mit unumstrittenen Mitteln. Unumstritten war dieser außenpolitische Grundsatz hingegen weitestgehend innerhalb beider großer Parteien. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wird auch diese Übereinkunft vermehrt in Frage gestellt. 

Schon im Mai diesen Jahres stimmten 57 der 211 republikanischen Abgeordneten des U.S. Repräsentantenhauses gegen die $40 Milliarden schweren Unterstützungsleistungen für die Ukraine. Zu diesem Viertel aller House-Republikaner gesellten sich zudem weitere Abgeordnete, die zwar für die Hilfen votierten, jedoch dies laut eigenen Aussagen letztmalig taten. 

Bei den im November stattfinden Zwischenwahlen ist die Republikanische Partei favorisiert die Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus zu gewinnen. Von den insgesamt 552 republikanischen Kandidaten für den U.S. Kongress, Gouverneursposten sowie Außen- und Justizminister auf Bundesstaatsebene zweifeln 201 Republikaner die Legitimität der Präsidentschaftswahl 2020 an. Eine politische Einstellung, die wiederum mit mangelnder Solidarität mit dem ukrainischen Freiheitskampf einhergeht. 

Eine republikanische Mehrheit im neugewählten U.S. Repräsentantenhaus, welches sich am 03.01.2023 konstituieren wird, könnte folglich die Finanzierung von militärischer, humanitärer und ökonomischer Hilfen für die Ukraine in Frage stellen, diese reduzieren oder pausieren lassen. Diverse Faktionen innerhalb der Republikanischen Partei treten in den Tagen vor der Wahl offensiv gegen weitere Hilfsleistungen für die Ukraine auf.

Konservative Organisationen wie beispielsweise die Heritage Foundation oder Freedom Works betreiben diesbezüglich aggressive Lobbyarbeit. Das Mantra klingt hierbei immer ähnlich: Die USA könnten keine weltweite Führungsrolle übernehmen, wenn das eigene Land im Innern zu viele Schwächen aufweist. Der republikanische Abgeordnete Jim Banks verdeutlicht dieses Denken mit der Aussage, dass zuerst die eigenen Staatsgrenzen gesichert und die Inflation bekämpft werden müssten. Dass zumindest Letzteres direkt mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun hat, klammert Banks freilich aus.

Abgeordnete Kelly Armstrong pflichtet ihrem Parteikollegen bei:

Wenn die Leute eine Preissteigerung von 13 Prozent bei Lebensmitteln sehen (…) rücken die Anliegen der Ukraine so weit in ihren Gedanken zurück wie nichts anders.

Kevin McCarthy, amtierender Minderheitsführer der Republikanischen Partei im U.S. Repräsentantenhaus, ist sich der Stimmungslage vieler seiner Parteikollegen bewusst. Nachdem sich McCarthy berechtigte Hoffnungen auf die Position des Sprechers nach der Wahl machen kann und seinen Karrieresprung durch innerparteiliche Streitereien nicht gefährden will, bedient sich der Kalifornier zunehmend den Argumentationslinien der lautstarken und wohl nach den Zwischenwahlen weiter anwachsenden Gruppierung der Isolationisten:

Ich denke, dass es eine Rezession geben wird und die Leute daraufhin der Ukraine keinen Blankoscheck ausstellen werden. 

McCarthy relativierte kurz darauf seine Aussage leicht, indem er primär eine bessere Ausgabenkontrolle bezüglich der Unterstützung für die Ukraine forderte. Schließlich, so McCarthy, „sind wir mit $31 Billionen verschuldet“. Eine berechtige Kritik an Joe Biden schloss sich daran an:

Biden handelt immer zu spät. Nach meiner Ukraine-Reise 2015 plädierte ich dafür Javelin Missiles an die Ukraine zur Selbstverteidigung zu schicken. Ich erinnere mich, dass der damalige Vizepräsident Biden mir gesagt hat, dass dies Deutschland nicht mögen würde.

Gegen eine smartere, vorausschauendere Außen- und Sicherheitspolitik ist sicherlich nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Doch das gegenwärtige politische Klima führt bei solchen, aus wahltaktischen Gründen öffentlichkeitswirksam vorgetragenen, Äußerungen des Zweifels zu weiteren Rissen in der einstigen überparteilichen Einigkeit im Einsatz für die Freiheit. 

Neben Mitch McConnell, republikanischer Minderheitsführer im U.S. Senat und im Mai noch zu Gast beim ukrainischen Präsidenten Wolodymir Zelensky in Kyiv, kritisierte auch schon der ehemalige Vizepräsident Mike Pence, möglicher Präsidentschaftskandidat für 2024, die zahlreichen „neuen Stimmen“, gemeint sind primär Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, bei den Konservativen: 

Es kann keinen Raum in der konservativen Bewegung für Putin-Verteidiger geben. Es kann in dieser Bewegung nur einen Raum für die Vorkämpfer der Freiheit geben.

Appeasement hat noch nie funktioniert, niemals in der Geschichte.

Wir müssen die Ukraine weiter mit allen Hilfsmitteln ausstatten, um sich selbst verteidigen zu können. Wir müssen als mächtigste Wirtschaftsnation der Welt den ökonomischen Druck auf Russland aufrechterhalten. 

Pence hat seinen Worten schon frühzeitig Taten folgen lassen. Schon im März 2022 besuchte er ukrainisches Grenzgebiet, um mit den zahlreichen Vertriebenen in Kontakt zu kommen. Er steht, wie der ansonsten innenpolitisch umstrittene McConnell, für eine traditionelle außen- und sicherheitspolitische Position der Grand Old Party: Nämlich der einer USA als Weltpolizisten.  

Ungewöhnlicherweise sind die Zwischenwahlen 2022 auch für die weitere sicherheitspolitische Ausrichtung der Republikanischen Partei, aber auch der Vereinigten Staaten, von Relevanz. Ausgerechnet die zu erwartende anwachsende Parlamentariergruppe der Trumpisten könnte die einstige Forderung der Friedensbewegung, der Außerparlamentarischen Opposition und vieler Linker in Deutschland einen Schritt näherkommen lassen: „Ami – go home!“ Von einem „Land der Freien“ kann sich dann allerdings die Ukraine genauso verabschieden wie viele weitere  europäische Nationen und die USA selbst. 

Vielen Dank für deine Spende für unaufgeregte, tiefgehende Berichterstattung rund um US-Politik. 


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