Ukraine-Krieg: Ignorierte Warnungen

Weil niemand von uns gedacht hat, dass auf europäischem Boden jemals wieder Krieg geführt wird, ist es eben nicht so einfach, zu sagen, jetzt schickt man schweres Gerät in die Ukraine.

Annalena Baerbock, Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, im Interview mit BR24 am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2023.

Mit dieser Aussage unterstrich Außenministerin Baerbock nicht nur die naive sicherheitspolitische Position der Bundesrepublik Deutschland der vergangenen Jahrzehnte, die teils bis heute anhält. Sie stellte hiermit ebenso eine verengte westeuropäische Sichtweise zur Schau. Der Osten Europas wird nämlich unentwegt von Russland bedroht.

Russland führt seit Jahrzehnten Krieg

Seit dem Jahr 2014 führen russische Soldaten Krieg im Donbas, um diesen aus der Ukraine herauszulösen und in die Russische Föderation völkerrechtswidrig einzugliedern. Die ukrainische Krim wurde schon annektiert. Sechs Jahre zuvor kam es zum Kaukasuskrieg, als die russische Armee die international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien gegen Georgien unterstützte. Zuvor vergab Moskau, wie später in der Ostukraine, russische Staatsbürgerschaften an die eigentlich zu Georgien gehörenden Südossetier und Abchasier.

Zwischen den Jahren 1999 und 2009 dauerte der Zweite Tschetschenienkrieg an, welcher sich an den Ersten Tschetschenienkrieg zwischen 1994 und 1996 anschloss. Zwischen 50.000 und 90.000 Zivilisten und Soldaten wurden getötet. Moskau installierte nach einem militärischen Erfolg, bei dem unter anderem Grosny komplett zerstört wurde, Achmad Kadyrow als Präsidenten der autonomen Republik der Russischen Föderation. Nach der Tötung von Achmad folgte dessen Sohn Ramsan Kadyrow nach. Gegenwärtig führt Kadyrow eigene Einheiten beim Ukraine-Feldzug Russlands an.

Auf europäischem Boden herrscht folglich nicht erst seit dem 24. Februar 2022 wieder Krieg. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine stellt lediglich die Intensivierung der imperialistischen Bestrebungen Moskaus dar. Der Kreml hat mehrmals klargestellt die ukrainische Nation, Sprache, Kultur und generell das ukrainische Volk zerstören zu wollen. Gleichwohl führende Politiker aus den USA jahrelang vor solch einem Szenario warnten, war es doch insbesondere Deutschland, welches sich aus ökonomischen und ideologischen Gründen gegen die Anerkennung der herausfordernden Realitäten strebte.

2008: Bush plädiert für NATO-Mitgliedschaft der Ukraine

Die USA unter Präsident George W. Bush wollten im Jahr 2008 die Ukraine und Georgien in den Membership Action Plan, welcher letztendlich zu einer NATO-Mitgliedschaft geführt hätte, aufnehmen. Der Plan scheiterte jedoch am Widerstand der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU). 14 Jahre später hat die Ukraine offiziell einen Antrag auf Mitgliedschaft im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis gestellt. Eine frühere Aufnahme in die NATO hätte der Ukraine die nötigen realen Sicherheitsgarantien gegenüber einer russischen Invasion gegeben.

2012: Romney sieht Russland als größte Bedrohung

Im Rahmen des Wahlkampfes teilte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney im März 2012 bei Wolf Blitzer auf CNN seine Auffassung mit, dass „Russland (…) ohne Frage, unser geopolitischer Gegner Nummer eins“ sei. Der demokratische Amtsinhaber Barack Obama kritisierte Romneys Position ebenso wie deutschsprachige Medien. Das Hamburger Abendblatt schrieb beispielsweise über das Duell um das Weiße Haus, dass Obama „als Friedenstaube, Romney als aggressiver Falke“ erscheinen würde (29.10.2012). 

Obamas Neustart mit Russland scheiterte bekanntlich. Nur zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl 2012 annektierte Russland die ukrainische Krim und begann den Krieg im Donbas. Dabei hätte Präsident Obama, wie Romney, die Expansionsbestrebungen des russischen Präsidenten Vladimir Putin, der eine Nostalgie nach der alten Sowjetunion mit den Großmachtfantasien des Zarenreichs verbindet, erahnen können, ja müssen.

Denn schon im Jahr 2005 hatte Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Drei Jahre später ließ Putin seinen Worten Taten folgen und marschierte, wie oben schon erwähnt, in Georgien ein. 

Der Beitrag „Vor zehn Jahren hatte Mitt Romney eine Vorahnung“ hat sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt (Klick hier).

2014: McCain prognostiziert russische Invasion der Ukraine

Nach der illegalen Annexion der Krim sagte im Jahr 2014 John McCain, republikanischer Präsidentschaftskandidat 2008 und zum damaligen Zeitpunkt U.S. Senator, voraus, dass Putin in einem nächsten Schritt mindestens die Ostukraine einverleiben würde, um eine Landverbindung zur Krim herzustellen.

Laut McCain sei Putins Ambition die Wiederherstellung des alten Russischen Reichs, so dass neben der Ukraine auch die Republik Moldau sowie die baltischen Staaten vor einer russischen Invasion nicht geschützt seien. Infolgedessen konnte auch das Minsker Friedensabkommen (Minsk II), welches insbesondere von Deutschland und Frankreich forciert wurde, nicht erfolgreich sein.

Seit 2014: USA drängen auf Erhöhung der Verteidigungsausgaben

Die NATO-Mitgliedsländer vereinbarten gemeinsam auf ihrem Gipfel in der tschechischen Hauptstadt Prag im Jahr 2002 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, um für mögliche zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen abwehrbereit zu sein. Beim NATO-Gipfel in Wales 2014 wurde noch einmal konkretisiert festgeschrieben, dass die Mitgliedsländer „darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen“.

Nachdem insbesondere Deutschland dieser Vereinbarung nicht folgte, versuchte Präsident Obama mit einer wohlfühlenden, Präsident Donald Trump mit einer rustikaleren und Präsident Joe Biden mit einer klassisch diplomatischen Art, Berlin doch noch zu einem Umdenken zu bewegen. Erst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 brachte Bewegung in die deutsche Verteidigungspolitik. Doch das von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete große Wort der „Zeitenwende“ wartet weiterhin darauf mit expliziten Taten und Inhalten gefüllt zu werden.

Ab 2014: Obama und Trump warnen vor Abhängigkeit von russischen Energieträgern

Die energiepolitische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland wurde während der Kanzlerschaften von Gerhard Schröder (SPD) und Dr. Merkel, entgegen dem Protest osteuropäischer Länder, stark ausgebaut. Die USA warnten daraufhin von einer gefährlichen Abhängigkeit, da Russland ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen würde. Deutschland nahm diese Warnungen freilich nicht ernst.

Präsident Obama bot Dr. Merkel an, LNG-Terminals zu errichten, damit die Abhängigkeit von russischem Gas minimiert werden könnte. Die Bundeskanzlerin lehnte ab. Erst nach anhaltendem Druck durch Präsident Trump entschied sich Bundeskanzlerin Dr. Merkel Ende 2018 für die Förderung des Baus von Terminals für Flüssiggas. Und dennoch passierte zunächst nichts.

Zuvor lachte die deutsche Delegation um Außenminister Heiko Maas (SPD) und Christoph Heusgen, damals Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen und heute Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, den US-Präsidenten sogar bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung zu dessen Ausführungen über die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas öffentlichkeitswirksam aus (siehe Video).

Erst mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine reagierte Deutschland und baute eigene LNG-Terminals. Zwei solcher Terminals konnten innerhalb eines Jahres in Betrieb gehen, weitere sind in Planung. Die Kosten für diese späte Entscheidung und die mangelnde Diversifizierung bei Gasimporten zahlt jedoch der Verbraucher.

2018: Bolton warnt vor russischen Expansionsbestrebungen

Auch John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von Donald Trump, warnte schon vor Jahren vor den russischen Expansionsbestrebungen. Bolton sah beispielsweise frühzeitig die territoriale Integrität und Souveränität der Republik Belarus unter einer enormen Bedrohung durch den russischen Imperialismus ausgesetzt.

Westliche Sanktionen gegenüber den belarusischen Diktator Alexander Lukashenko seien vor diesem Hintergrund laut Bolton kontraproduktiv, würden diese das Regime in Minsk doch wieder näher an Moskau heranführen. Russland würde hierdurch seinem Ziel, die Republik Belarus zu übernehmen, näherbringen. Im Februar 2023 wurde sodann ein Geheimdokument veröffentlicht, welche die Pläne einer schleichenden Annexion der Republik Belarus durch Russland bestätigt.

Gehört wurden Boltons Warnungen, insbesondere von den West- und Mitteleuropäern, freilich nicht. Es folgte die russische Invasion der Ukraine auch über belarusisches Staatsgebiet. Diktator Lukashenko blieb letztendlich keine andere Wahl, als sein Territorium der russischen Armee zur Verfügung zu stellen, da er keinen Ausweg mehr nach Westen hatte. Nach der Annexion der Krim 2014 sah dies noch anders aus, unternahm Lukashenko doch einiges, um von Russland auf Abstand zu gehen.

Der Beitrag „Boltons ungehörte Warnung“ wartet mit weiteren Hintergründen zur Thematik auf (Klick hier).

2023: Rice und Gates warnen vor Verhandlungen

Condoleezza Rice und Robert Gates, ehemalige Minister für Äußeres und Verteidigung, wiesen in einem Gastbeitrag für The Washington Post darauf hin, dass Putin weiterhin die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle bringen will, um das Russische Reich auferstehen zu lassen. Eine Waffenruhe oder sogar teilweise Abgabe von ukrainischen Gebieten an Russland würde dem Kreml nur Zeit zu einer späteren erneuten Offensive verschaffen.

Da eine Niederlage keine Option sei, plädierten Rice und Gates für die Lieferung von schwereren Waffen, die zudem schneller geliefert werden müssten. Darunter sollten sich auch Raketen mit einer längeren Reichweite und Drohnen befinden. Die mittel- und westeuropäischen Länder treten dennoch weiter auf die Bremse. 

Der Gastbeitrag ist im Original auf der Website von The Washington Post nachzulesen (Klick hier).

Zeitenwende herrscht, wenn alte Denkmuster wegfallen

Erst wenn insbesondere in Mittel- und Westeuropa aus vergangenen Fehleinschätzungen gelernt, aus ängstlichen Verhaltensweisen entstandene Schwächen sowie ein in Teilen vorherrschender Anti-Amerikanismus abgelegt und die daraus nötigen Konsequenzen gezogen werden, ist ein nachhaltiger und langfristiger Frieden in Europa möglich. Ein erster Schritt ist hierbei die naive Haltung abzulegen, dass es sich in der Ukraine lediglich um „Putins Krieg“ handeln würde. Im eingangs erwähnten Interview sprach Außenministerin Baerbock beispielsweise davon, dass alleine der „russische Präsident (…) Morden“ würde.

Vielmehr ist es ein tief im Gedankengut der russischen Bevölkerung verwurzelter historisch gewachsener Imperialismus, der zum größten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Im Gegensatz zu den europäischen Mächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurde Russland nämlich nie von seinen imperialistischen Bestrebungen geheilt. 

Eine stabile Mehrheit von 75 Prozent der Russen unterstützt infolgedessen auch nach einem Jahr weiterhin den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putins Zustimmungswerte stiegen laut dem unabhängigen Levada Institut signifikant an: 82 Prozent der Russen beurteilten im Januar 2023 die Arbeit ihres Präsidenten als positiv.

Die Ukraine ist nur der Anfang. Wenn wir fallen, werden wir nicht die Ersten und nicht die Letzten sein.

Wladimir Klitschko im Interview bei Sandra Maischberger am 22.02.2023 (siehe untenstehendes Video)

Expansionsbestrebungen Russlands sind zudem keine Erfindung Putins, unterjochte Moskau doch schon unter der roten Flagge der Sowjetunion die osteuropäischen Länder und bedrohte seine Nachbarn unter Führung des Zaren. Politisch Verantwortliche wären gut beraten, sich an den Worten des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu orientieren, als dieser in einem Interview mit Zeit Online folgende weise Worte von sich gab:

Wir sollten aufhören mit dem Wunschdenken, Russland sei durch Freundlichkeit zu beeindrucken.

In genau diese Kerbe stoß auch Lloyd Austin, als er die Kriegsziele klar definierte. Laut dem US-Verteidigungsminister müsste Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine so stark geschwächt werden, dass es über Jahrzehnte seine Nachbarn nicht mehr bedrohen könne. Bleibt zu hoffen, dass die West- und Mitteleuropäer zumindest diese Mitteilung aus Übersee erfasst und verstanden haben sowie danach handeln werden. Die erfolgreiche militärische Verschiebung von Grenzen wäre nämlich die Öffnung der Büchse der Pandora, Europa würde in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückversetzt werden.

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Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Auszeit von Europa

In den außenpolitischen Zielen setzte Joe Biden zu Beginn seiner Präsidentschaft auf Kontinuität zu seinen unmittelbaren beiden Vorgängern. Die USA sollten auch unter dem 46. US-Präsidenten ihren Blick verstärkt auf Asien richten. An der langfristigen „Hinwendung zu Asien“ (Präsident Barack Obama) hat sich auch nichts geändert. Doch das Hauptaugenmerk des politischen Tagesgeschäfts richtet sich einmal mehr auf Europa. 

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ließ die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der Biden-Administration zunichte machen. Fortan schrieben sich insbesondere Präsident Biden, Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Llyod Austin die Schaffung einer Koalition befreundeter Staaten zur Unterstützung der Ukraine auf ihre Fahnen.

Die Koordinierung militärischer Hilfen für Kyiv und umfassender Sanktionen gegenüber den russischen Aggressor bei gleichzeitiger Verhinderung der Ausbreitung des Krieges über die ukrainischen Landesgrenzen hinaus bestimmen seitdem die Agenda der letzten verbliebenen Supermacht. Im vierten Kriegsmonat nahm sich die Regierung Biden jedoch eine kurze Auszeit von den Geschehnissen auf dem alten Kontinent, um sich verstärkt den Herausforderungen auf anderen Kontinenten zu widmen.

Präsident Biden als Gastgeber des Amerika-Gipfels

Begab sich Präsident Biden Ende Mai noch auf seine erste Asienreise, agierte er zwischen dem 06. und 10. Juni 2022 als Gastgeber des neunten Gipfels der Organisation Amerikanischer Staaten in Los Angeles, Kalifornien. Da die USA die autoritären Staaten Kuba, Venezuela und Nicaragua nicht einluden, sagte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador seine Teilnahme ebenso ab wie der bolivarische Regierungschef Luis Arce und die honduranische Präsidentin Xiomara Castro sowie Vertreter weiterer Nationen. 

Der Amerika-Gipfel war lediglich ein Gipfel von einigen Ländern Amerikas. (Politico)

Eine Begebenheit, welche für die Bestrebung der Biden-Administration, die illegale Migration aus Mittelamerika in die USA einzuhegen, einen weiteren Rückschlag bedeutete. Doch der Einsatz für die Werte der Demokratie und Freiheit haben für Präsident Biden einen höheren Stellenwert wie er auch bei seiner Eröffnungsrede deutlich machte.

Eine sichere und geordnete Migration ist gut für alle unsere Volkswirtschaften, auch für die Vereinigten Staaten. (Präsident Biden)

Letztendlich konnten sich dennoch zwanzig Länder auf eine, wenngleich wenig bahnbrechende, Erklärung zur Migration einigen. Die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern sollen verbessert, Aufnahmeländer verstärkt unterstützt, Arbeitsmigration erleichtert sowie illegale Einwanderung stärker bekämpft werden. Bei letzterem Punkt knüpfte Präsident Biden im weitestgehenden Sinne an seinen Vorgänger an:

Wir müssen die gefährlichen und illegalen Migrationswege stoppen. Dies ist nicht akzeptabel und wir werden unsere Grenzen sichern – auch durch innovative, koordinierte Maßnahmen mit unseren regionalen Partnern. (Präsident Biden)

Verteidigungsminister Austin beim Shangri-La Dialog

Nahezu zum gleichen Zeitpunkt machte sich Verteidigungsminister Austin auf die Reise nach Singapur zur wichtigsten Sicherheitskonferenz in der Region Asien-Pazifik, dem Shangri-La Dialog. Der vom International Institute for Strategic Studies ausgerichtete Gipfel, an dem 42 Nationen teilnahmen, fand erstmals seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie statt.

Im Mittelpunkt standen die sich immer weiter intensivierenden Spannungen zwischen den USA und China. Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe und sein US-amerikanischer Amtskollege Austin telefonierten bislang erst einmal miteinander, in Singapur trafen sie sich erstmals persönlich. Ein Aufeinandertreffen, welches für Schlagzeilen sorgte, drohte Fenghe doch offen mit Krieg, sollte sich der Inselstaat Taiwan offiziell als unabhängig vom Festland erklären: 

Falls es irgendjemand wagt, Taiwan von China zu trennen, wird die chinesische Armee definitiv nicht zögern – koste es, was es wolle – einen Krieg zu beginnen.

Die Republik China (Taiwan) ist seit dem chinesischen Bürgerkrieg und der Machtergreifung der Kommunisten über Festland China de facto unabhängig, wird jedoch von wenigen Ländern offiziell anerkannt und von der kommunistischen Volksrepublik als abtrünnige Provinz betrachtet. Die USA gaben Taipeh jedoch Sicherheitsgarantien gegenüber den imperialistischen Bestrebungen Pekings, welche Präsident Biden zuletzt mit Worten und weiteren Militärhilfen erneuerte. China erhöhte daraufhin verbal, wie nun Fenghe in Singapur, und Militärübungen das Säbelrasseln in der Region.

Vor diesem Hintergrund äußerte sich Austin beim Shangri-La Dialog kritisch über das aggressive Verhalten Chinas gegenüber Taiwan. Die Ziele des nachhaltigen Friedens und der Stabilität in der Pazifikregion gehörten für den pensionierten General zur Kernbotschaft gegenüber China, welches zuletzt auch immer aktiver um bilaterale „Sicherheitsabkommen“ mit pazifischen Ländern wie den Salomonen und Kambodscha geworben hatte.

Unsere Politik hat sich nicht geändert [die Ein-China-Politik; Anm. d. Verf.], aber das scheint leider nicht für die Volksrepublik China zu gelten. (Verteidigungsminister Austin)

Der ukrainische Präsident Wolodymir Zelensky adressierte virtuell ebenso den Shangri-La Dialog. Eine Ansprache, welche Verteidigungsminister Austin trotz seines Aufenthaltes in Asien daran erinnerte, dass die dringendste gegenwärtige Herausforderung in Europa auf die USA wartet. Präsident Biden wird infolgedessen schon am 25. Juni 2022 nach Bayern reisen, um auf Schloss Elmau dem G7-Gipfel beizuwohnen. Die US-Regierung konnte in den vergangenen Tagen somit nur eine kurze Auszeit vom europäischen Brandherd nehmen. 

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Gastbeitrag: Annalena Baerbock – Demokratische Realistin

Die USA üben infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ihre Führungsrolle der freien, demokratischen Welt wieder aktiver aus. Neben Präsident Joe Biden treten insbesondere Verteidigungsminister Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken international positiv in Erscheinung. Aus deutscher Sicht konnte sich Außenministerin Annalena Baerbock im In- und Ausland Respekt verschaffen. Tobias P. Fella vom Institut für internationale Politik und Wirtschaft HAUS RISSEN hat sich in einem Gastbeitrag für „1600 Pennsylvania“ mit Baerbocks außenpolitischer Rolle befasst:

Tobias P. Fella

Außenministerin Baerbock prägt die deutsche Außenpolitik. Vom Baltikum und Butscha bis zum G7-Treffen in Schleswig-Holstein propagiert sie einen demokratischen Realismus, der Macht als ein Fundament von Politik und den Regimetyp als Triebfeder von Außenpolitik herausstellt. Damit er gelingt, sollte sie mit drei Schritten um die Unterstützung der Bevölkerung werben.

Erstens, sollte sie ihr reinen Wein einschenken: Putin ist ein Mann auf einer historischen Mission. Er strebt eine imperiale Weltordnung an, in der Großmächte das Schicksal ihrer Anrainer bestimmen. Er agiert dabei in seiner Logik rational. In ihn die Irrationalität oder Ideologie zu verbannen, führt daher nicht weiter. Es ebnet den Weg in die nächste Verständniskrise, etwa der chinesischen Politik.

Zweitens, sollte sie das Bewusstsein für nationale Interessen schärfen. Hierzu könnte sie die Herausforderungen von Deutschland als Handelsnation und Macht in der geografischen Mittellage skizzieren. Besonders wichtig wäre das Eingeständnis, dass die internationale Ordnung die Interessen und Überzeugungen der stärksten Mächte spiegelt, sie in ihrem liberalen Kern also kontingent ist und u.a. gegen das Chaos verteidigt werden muss.

Drittens, sollte Baerbock zu diesem Unterfangen auf ein „Konzert der Demokratien“ setzen. Sie sollte jenen eine Absage erteilen, die die unter den Deckmänteln von Geopolitik und Multilateralismus für eine Welt der Einflusssphären plädieren, in der es keinen Unterschied macht, ob Außenpolitik von einer Demokratie oder Autokratie praktiziert wird.

Solche Positionen stellen infrage, ob Ideen politisch relevant sind oder sein sollten. Sie künden von der Bereitschaft eigene Werte aus materialen Imperativen zu verkaufen. Sie sind keine Manifestationen von Realpolitik, auch keine achtsamer Geopolitik, sondern Ausdrücke von Großmannssucht, die Welt am Kartentisch des Hinterzimmers zu ordnen.

Die Außenministerin kann das Land mit starker Hand durch die raue See steuern, indem sie forciert, was sie begonnen hat: eine Außenpolitik des demokratischen Realismus.

Tobias P. Fella (@tobiaspfella) ist Referent für Sicherheitspolitik am Institut für internationale Politik und Wirtschaft HAUS RISSEN in Hamburg und wartete schon mit Beiträgen in der taz, Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung auf.

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Reisen nach Kyiv

Eigentlich wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kyiv reisen. Doch seine Nähe zu Russland machte das deutsche Staatsoberhaupt für die Ukraine in Kriegszeiten quasi zur Persona non grata. Gewünscht ist indes ein Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz, doch dieser weigert sich weiterhin in die ukrainische Hauptstadt zu reisen. Ein Besuch ohne die Ankündigung expliziter weiterer Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine im Krieg gegen die russischen Aggressoren wäre für den deutschen Regierungschef freilich auch eine Bloßstellung.

In das Vakuum dieses traurigen deutschen Schauspiels tritt nun der Fraktionsvorsitzende der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz. Schon Tage vor seiner Reise nach Kyiv wurde sein Vorhaben an die Medien durchgestochen. Der Parteivorsitzende der CDU, der im Bundestag lediglich stellvertretendes Mitglied des Verteidigungsausschusses ist, will damit seine Solidarität mit der Ukraine bekunden. Eine Reise mit hohem Symbolcharakter. 

Doch in Tagen des russischen Angriffskrieges benötigt die Ukraine mehr als Symbolpolitik. Im Gegensatz zu deutschen haben US-amerikanische Politiker schon mehrmals ihre Reisen in die ukrainische Hauptstadt für die Ankündigung expliziter Unterstützungsmaßnahmen genutzt. Nie offenbarten sich die Unterschiede zwischen den oftmals von Angst und/ oder Selbstinszenierung geprägten deutschen Politikern und ihren tatkräftigen US-Kollegen so sehr wie im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. 

Erst am vergangenen Wochenende empfing der ukrainische Präsident Wolodymir Zelensky die Demokratin Nancy Pelosi in Kyiv. Der gemeinsame Besuch der Sprecherin des U.S. Repräsentantenhauses mit einer Delegation des U.S. Kongresses, der unter anderem Gregory Meeks, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, und Adam Schiff, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, angehörten, wurde nicht im Voraus angekündigt. Der Zeitpunkt der Reise überraschte zudem, da nahezu gleichzeitig in Washington D.C. das White House Correspondents Dinner, eines der wichtigsten Events des Jahres, mit Präsident Joe Biden stattfand.

Speaker Pelosi dankte Präsident Zelensky für den ukrainischen „Kampf für die Freiheit“ und sicherte ihm weitere US-Unterstützung zu. Explizit kündigte die nach dem Präsidenten und der Vizepräsidentin drittwichtigste US-Politikerin die erfolgreiche legislative Durchsetzung der neuesten von Präsident Biden vorgeschlagenen Ukrainehilfen in Höhe von $33 Milliarden (!) an. 

Schon in der Woche zuvor machten Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin am Rande ihrer Kyiv-Reise zusätzliche Militärhilfen in Höhe von $300 Millionen für die Ukraine öffentlich. Der Besuch der US-Amerikaner hatte jedoch nicht „nur“ Hilfen militärischer, humanitärer und finanzieller Art parat. Insbesondere Austin fand auch motivierende Worte für die tapfer kämpfenden Ukrainer. Vor diesem Hintergrund formulierte der Verteidigungsminister offensiv die Ziele der US-Unterstützung für die Ukraine:

Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass sie zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage sind.

Dafür versprach Austin die Ukraine mit der „richtigen Ausrüstung“ auszustatten. Die Ukrainer hätten zudem, so Austin, die richtige Einstellung, um einen Krieg mit Russland erfolgreich gestalten zu können:

Ich glaube daran, dass man [die Ukraine; Anm. d. Verf.] gewinnen kann.

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Austin sprach, wie auch andere Mitglieder der Biden-Administration sowie des U.S. Kongresses, den Ukrainern Mut zu. Gepaart mit expliziten Unterstützungsleistungen für die Ukraine setzt sich kein anderes Land so stark für Demokratie und Freiheit ein. Ohne die USA wäre die freie, westliche Welt nur bedingt verteidigungsbereit.

Diese Erkenntnis sollte insbesondere deutsche Politiker, welche sich parteiübergreifend für das jahrzehntelange Herunterwirtschaften der Bundeswehr und für die Abhängigkeit von russischen Energieimporten verantwortlich zeichneten, erden. Für das Fortbestehen eines souveränen, unabhängigen ukrainischen Staates sind Diskussionen um politische Reisen nach Kyiv irrelevant. Für die Ukraine ist nur entscheidend, welche explizite Unterstützung das Land von Außen bekommt. Politiker der Vereinigten Staaten haben diesbezüglich definitiv geliefert. 

Prominente Unterstützung für die Ukraine

Der britische Sänger Ed Sheeran hat gemeinsam mit der ukrainischen Band Antytila, die sich bis vor kurzem noch als Soldaten an der Front befanden, ein wirkmächtiges Musikvideo über die Erfahrungen im Krieg aufgenommen.

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Präsident Biden in Europa: Putin ist ein Schlächter!

Seit mehr als einem Monat führt die Russische Föderation einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Vor diesem Hintergrund begab sich US-Präsident Joe Biden zwischen dem 23. und 26. März 2022 auf einen außerordentlichen Besuch Europas, um seine Solidarität mit dem freiheitsliebenden Volk der Ukraine sowie mit den europäischen Verbündeten persönlich zu zeigen.

Kurz vor Bidens Europareise machten die Regierungschefs Polens, Sloweniens und Tschechiens sowie Minister weiterer osteuropäischer Länder auf sich aufmerksam, als sie ihre Solidarität mit der Ukraine direkt im ukrainischen Kriegsgebiet bekundeten. Gleichwohl die US-amerikanische Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen Druck für einen Besuch Bidens in Kiew aufbaute, folgte der US-Präsident dem Beispiel der osteuropäischen Regierungschefs wenig überraschend nicht. 

In Brüssel nahm Präsident Biden an den Gipfeln der NATO, der G7 sowie der EU teil. Ein ungewöhnlicher Dreiklang, der die Gefahrenlage durch die russische Aggression in der Ukraine widerspiegelte. Bei diesen Zusammentreffen wurde die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der NATO sowie die Hilfsleistungen für die Ukraine diskutiert. Präsident Biden verkündete zudem weitere Sanktionen gegenüber Russland. 

Wir hatten mehr Mut erwartet. Wir hatten kräftigere Entscheidungen erwartet (Ukrainischer Präsident Wolodymir Zelensky über den Gipfelmarathon in Brüssel).

In Warschau traf Präsident Biden auf seinen polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Beide Staatschefs sind sich in Bezug auf möglichst harte Sanktionen gegenüber Russland und der nötigen humanitären Hilfe für das ukrainische Volk einig. Differenzen gab es jedoch zuletzt auf Grund unterschiedlicher Auffassungen militärischer Hilfen respektive aktiver westlicher Unterstützung für die Ukraine.

Während Präsident Biden die NATO „unter allen Umständen“ von einer möglichen direkten Konfrontation mit Russland fernhalten will, und mit dieser politischen Kommunikation ungewollt den russischen Aggressor stärkt, forderten Polen sowie andere osteuropäische Länder zuletzt eine Friedensmission sowie die Lieferungen von Kampfjets für die Ukraine. Differenzen, die weiterhin nicht ausgeräumt sind und eine gewisse Spaltung zwischen den USA und Westeuropa auf der einen sowie Osteuropa auf der anderen Seite darstellen. Präsident Biden versicherte Polen abermals die Bündnistreue der USA.

Erstmals in der Geschichte haben sich auch die Außen- und Verteidigungsminister der USA und der Ukraine gemeinsam getroffen. Präsident Biden nahm daran ebenso teil. Bei den Gesprächen zwischen US-Außenminister Antony Blinken, US-Verteidigungsminister Llyod Austin und ihren ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba und Oleksii Rezniko ging es über die gegenwärtige politische und militärische Kooperation.

Was in der Ukraine passiert, verändert das 21. Jahrhundert. Russlands Krieg gegen die Ukraine ist eine Tyrannei gegenüber der ganzen Welt. Die USA werden die Ukraine bis zu ihrem Sieg unterstützen (Präsident Biden bei seinem Treffen mit ukrainischen Ministern in Warschau).

Schon mehr als zehn Millionen Ukrainer, sprich 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, mussten auf Grund des Krieges bereits ihr Zuhause verlassen. Davon fanden bislang laut dem Pew Research Center 3,7 Millionen Ukrainer Zuflucht im nahen Ausland, Tendenz weiter steigend. Alleine Polen nahm bis zum jetzigen Zeitpunkt mehr als zwei Millionen Vertriebene auf. Infolgedessen besuchte Präsident Biden im Nationalstadion in Warschau ukrainische Flüchtlinge. Im Gespräch mit der Presse gab Präsident Biden zudem zu verstehen, dass für ihn der russische Diktator Vladimir Putin „ein Schlächter“ sei.

Seine Europareise beendete Präsident Biden mit einer historischen Rede im Innenhof des Königlichen Schlosses von Warschau. Der zweite katholische US-Präsident besann sich auf seinen christlichen Glauben und zitierte gleich zu Beginn seiner Rede den Heiligen Papst Johannes Paul II., der als erster Pole auf dem Heiligen Stuhl in die Geschichte einging. „Habt keine Angst“ rief Präsident Biden, wie einst der unter dem bürgerlichen Namen bekannte Karol Wojtyła, seinen Zuhörern zu.

Präsident Biden stimmte die westliche Welt auf einen lange andauernden Konflikt zwischen dem Licht und der Dunkelheit, zwischen Freiheit und Autoritarismus, ein. Der US-Präsident erinnerte dabei an den erfolgreichen Freiheitskampf der Osteuropäer während des Kalten Krieges. Bidens Rede dürfte insbesondere in Polen gut angekommen sein. In der Ukraine wurden Bidens öffentliche Ausführungen indes kritischer gesehen, beinhalteten diese doch keine expliziten neuen Unterstützungsmaßnahmen. 

Die historische Rede des US-Präsidenten wurde kurze Zeit später von einer Richtigstellung des Weißen Hauses überschattet. Mit Bidens Ausspruch „um Gottes Willen, dieser Mann [Putin] darf nicht an der Macht bleiben“sei kein Regimewechsel, sondern lediglich der russische Einfluss auf ausländische souveräne Staaten gemeint gewesen. Die USA bestätigten damit einmal mehr ihre ausbaufähige politische Kommunikation im Ukraine-Krieg. Der ukrainische Präsident Zelensky äußerte sich daraufhin frustriert: „Wer führt die euro-atlantische Gemeinschaft? Ist es immer noch Moskau durch Einschüchterung?“

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.