Präsident Joe Biden spielt auf Zeit

Mit 10.285 Zuschauern war die Wunderino Arena zu Kiel restlos ausverkauft. Die Stimmung war ohrenbetäubend, ging es doch in der Handball-Bundesliga zwischen dem THW Kiel und den Füchsen Berlin um eine mögliche Vorentscheidung um die Deutsche Meisterschaft. Die Heimmannschaft lag in Führung, war in Ballbesitz, doch gab es bei beschriebenem Angriff keinen erkennbaren Versuch ein weiteres Tor erzielen zu wollen. Die Berliner Gästefans skandierten daraufhin lautstark „Zeitspiel, Zeitspiel“. Die Schiedsrichter hoben den Arm, um passives Spiel anzuzeigen…

Biden lässt sich traditionell Zeit mit seinen Entscheidungen

Ein passives Spiel ist Teil eines jeden Handballspiels. Doch auch in der Politik ist „Zeitspiel“ kein Fremdwort. Der amtierende US-Präsident gilt in Bezug auf seine Wahlambitionen als Musterbeispiel. Zur US-Präsidentschaftswahl 2016 wurde Joe Biden lange Zeit als Mitfavorit auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur gehandelt. Doch der damalige Vizepräsident zögerte aus privaten Gründen lange mit einer Kandidatur. Zu lange. Hillary Clinton nutzte das Vakuum und gewann die Vorwahlen.

In den Monaten nach der denkwürdigen Präsidentschaftswahl 2016 hatte Biden den Schicksalsschlag des Todes seines Sohnes Beau so gut es überhaupt geht verarbeitet. Die Spekulationen über eine nach 1988 und 2008 dritte Präsidentschaftskandidatur kochten infolgedessen während der gesamten Ära von Donald Trump hoch, die Biden auch selbst nährte. Und dennoch ließ sich Biden bis zum 25.04.2019 mit einer offiziellen Ankündigung per Videobotschaft in Bezug auf seine Ambitionen auf das Weiße Haus Zeit. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon 21 (!) Demokraten ihre Teilnahme an den demokratischen Vorwahlen verkündet.

Wann kündigt Biden seine Wiederwahlkandidatur an?

Als amtierender US-Präsident ist Biden für das Wahljahr 2024 in einer weitaus komfortableren Position als bei der letzten Präsidentschaftswahl. Solange Präsident Biden mit einer Entscheidung über seine politische Zukunft warten lässt, ist das demokratische Kandidatenfeld quasi eingefroren. Mögliche ernstzunehmende Kandidaten werden nämlich freilich nicht an den innerparteilichen Vorwahlen teilnehmen, sollte sich ihr Parteikollege und 46. US-Präsident für eine Wiederwahlkampagne entscheiden.

Doch bei den Demokraten steigt so langsam die Nervosität. Mit seinen 80 Jahren ist Biden bereits der älteste amtierende Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Am Ende einer zweiten Amtsperiode wäre er 86 Jahre alt. Die altersbedingte Skepsis wird durch die Entscheidungsunfreudigkeit des Präsidenten nochmals verstärkt. Gleichwohl Biden immer wieder betonte, zuletzt beim alljährlichen White House Easter Egg Roll (siehe untenstehendes Video), eine Wiederwahlkampagne zu planen, lässt deren offizielle Bekanntmachung nämlich weiter auf sich warten.

Zunächst sollte der Startschuss für Bidens 2024er Kampagne auf die Tage rund um den Dr. Martin Luther King Junior Day, der jedes Jahr zwischen dem 15. und 21.01. begangen wird, fallen. Offiziell wurde dieses Vorhaben nicht eingehalten, da Präsident Biden zu stark mit sicherheitspolitischen Herausforderungen rund um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und um die imperialistischen Bestrebungen Chinas beschäftigt gewesen sein soll.

Daraufhin verkündete das Team von Präsident Biden, dass kurz nach der Rede zur Lage der Nation am 01.03.2022 die Wiederwahlkampagne offiziell gemacht werden soll. Doch auch dieser Termin verstrich ebenso ereignislos wie die von Mitarbeitern des Weißen Hauses durchgestossene Information, dass die Kampagne für die Präsidentschaftswahl 2024 Anfang April beginnen würde. Die Begründung: Die mediale Aufmerksamkeit um die Anklage gegen Trump sowie dessen offen ausgetragene Rivalität mit Floridas Gouverneur Ron DeSantis solle nicht genommen werden.

Bidens Vorgänger kündigten früher ihre Wiederwahlambitionen an

Laut CBS, der Fernsehsender beruft sich auf Gespräche mit Biden-Beratern, plant der US-Präsident nun seine Wiederwahlkampagne im Frühsommer diesen Jahres offiziell zu machen. Doch ob dies Mitte Mai, Juni oder gar erst im Juli sein wird, steht offen. Präsident Biden hat sich bislang diesbezüglich ebenso wenig festgelegt wie über den Standort eines (möglichen) Wahlkampfhauptquartiers (Philadelphia, Pennsylvania, und Wilmington, Delaware, stehen zur Auswahl), einen Wahlkampfmanager, Finanzchef oder einen neuen Super PAC.

In dieser Hinsicht entscheidungsfreudiger war Bidens Vorgänger Trump. Der ehemalige Immobilienmogul reichte schon am ersten Tag als US-Präsident seine Unterlagen für eine Wiederwahlkampagne bei den zuständigen Behörden ein. Barack Obama wiederum machte am 03.04.2011 seine Wiederwahlambitionen offiziell, George W. Bush am 16.05.2003.

Gerüchteküche brodelt

Zögert Präsident Biden die Entscheidung über seine politische Zukunft wirklich wegen oben genannten Gründen hinaus? Falls ja, stellt sich die Frage, weshalb bezüglich einer Wahlkampagne noch keine grundlegenden Entscheidungen getroffen wurden. Oder stecken hinter Bidens Zögern doch altersbedingte und gesundheitliche Abwägungen?

Oder soll gar Vizepräsidentin Kamala Harris ein Startvorteil bei offenen demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen verschafft werden? In Amerikas Hauptstadt brodelt jedenfalls die Gerüchteküche ob des passiven Spiels von Präsident Biden. Das Zeitspiel des THW Kiel war indes erfolgreich: Die Zebras schlugen die Füchse mit 36 zu 29.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
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