Ukraine-Krieg: Ignorierte Warnungen

Weil niemand von uns gedacht hat, dass auf europäischem Boden jemals wieder Krieg geführt wird, ist es eben nicht so einfach, zu sagen, jetzt schickt man schweres Gerät in die Ukraine.

Annalena Baerbock, Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, im Interview mit BR24 am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2023.

Mit dieser Aussage unterstrich Außenministerin Baerbock nicht nur die naive sicherheitspolitische Position der Bundesrepublik Deutschland der vergangenen Jahrzehnte, die teils bis heute anhält. Sie stellte hiermit ebenso eine verengte westeuropäische Sichtweise zur Schau. Der Osten Europas wird nämlich unentwegt von Russland bedroht.

Russland führt seit Jahrzehnten Krieg

Seit dem Jahr 2014 führen russische Soldaten Krieg im Donbas, um diesen aus der Ukraine herauszulösen und in die Russische Föderation völkerrechtswidrig einzugliedern. Die ukrainische Krim wurde schon annektiert. Sechs Jahre zuvor kam es zum Kaukasuskrieg, als die russische Armee die international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien gegen Georgien unterstützte. Zuvor vergab Moskau, wie später in der Ostukraine, russische Staatsbürgerschaften an die eigentlich zu Georgien gehörenden Südossetier und Abchasier.

Zwischen den Jahren 1999 und 2009 dauerte der Zweite Tschetschenienkrieg an, welcher sich an den Ersten Tschetschenienkrieg zwischen 1994 und 1996 anschloss. Zwischen 50.000 und 90.000 Zivilisten und Soldaten wurden getötet. Moskau installierte nach einem militärischen Erfolg, bei dem unter anderem Grosny komplett zerstört wurde, Achmad Kadyrow als Präsidenten der autonomen Republik der Russischen Föderation. Nach der Tötung von Achmad folgte dessen Sohn Ramsan Kadyrow nach. Gegenwärtig führt Kadyrow eigene Einheiten beim Ukraine-Feldzug Russlands an.

Auf europäischem Boden herrscht folglich nicht erst seit dem 24. Februar 2022 wieder Krieg. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine stellt lediglich die Intensivierung der imperialistischen Bestrebungen Moskaus dar. Der Kreml hat mehrmals klargestellt die ukrainische Nation, Sprache, Kultur und generell das ukrainische Volk zerstören zu wollen. Gleichwohl führende Politiker aus den USA jahrelang vor solch einem Szenario warnten, war es doch insbesondere Deutschland, welches sich aus ökonomischen und ideologischen Gründen gegen die Anerkennung der herausfordernden Realitäten strebte.

2008: Bush plädiert für NATO-Mitgliedschaft der Ukraine

Die USA unter Präsident George W. Bush wollten im Jahr 2008 die Ukraine und Georgien in den Membership Action Plan, welcher letztendlich zu einer NATO-Mitgliedschaft geführt hätte, aufnehmen. Der Plan scheiterte jedoch am Widerstand der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU). 14 Jahre später hat die Ukraine offiziell einen Antrag auf Mitgliedschaft im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis gestellt. Eine frühere Aufnahme in die NATO hätte der Ukraine die nötigen realen Sicherheitsgarantien gegenüber einer russischen Invasion gegeben.

2012: Romney sieht Russland als größte Bedrohung

Im Rahmen des Wahlkampfes teilte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney im März 2012 bei Wolf Blitzer auf CNN seine Auffassung mit, dass „Russland (…) ohne Frage, unser geopolitischer Gegner Nummer eins“ sei. Der demokratische Amtsinhaber Barack Obama kritisierte Romneys Position ebenso wie deutschsprachige Medien. Das Hamburger Abendblatt schrieb beispielsweise über das Duell um das Weiße Haus, dass Obama „als Friedenstaube, Romney als aggressiver Falke“ erscheinen würde (29.10.2012). 

Obamas Neustart mit Russland scheiterte bekanntlich. Nur zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl 2012 annektierte Russland die ukrainische Krim und begann den Krieg im Donbas. Dabei hätte Präsident Obama, wie Romney, die Expansionsbestrebungen des russischen Präsidenten Vladimir Putin, der eine Nostalgie nach der alten Sowjetunion mit den Großmachtfantasien des Zarenreichs verbindet, erahnen können, ja müssen.

Denn schon im Jahr 2005 hatte Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Drei Jahre später ließ Putin seinen Worten Taten folgen und marschierte, wie oben schon erwähnt, in Georgien ein. 

Der Beitrag „Vor zehn Jahren hatte Mitt Romney eine Vorahnung“ hat sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt (Klick hier).

2014: McCain prognostiziert russische Invasion der Ukraine

Nach der illegalen Annexion der Krim sagte im Jahr 2014 John McCain, republikanischer Präsidentschaftskandidat 2008 und zum damaligen Zeitpunkt U.S. Senator, voraus, dass Putin in einem nächsten Schritt mindestens die Ostukraine einverleiben würde, um eine Landverbindung zur Krim herzustellen.

Laut McCain sei Putins Ambition die Wiederherstellung des alten Russischen Reichs, so dass neben der Ukraine auch die Republik Moldau sowie die baltischen Staaten vor einer russischen Invasion nicht geschützt seien. Infolgedessen konnte auch das Minsker Friedensabkommen (Minsk II), welches insbesondere von Deutschland und Frankreich forciert wurde, nicht erfolgreich sein.

Seit 2014: USA drängen auf Erhöhung der Verteidigungsausgaben

Die NATO-Mitgliedsländer vereinbarten gemeinsam auf ihrem Gipfel in der tschechischen Hauptstadt Prag im Jahr 2002 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, um für mögliche zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen abwehrbereit zu sein. Beim NATO-Gipfel in Wales 2014 wurde noch einmal konkretisiert festgeschrieben, dass die Mitgliedsländer „darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen“.

Nachdem insbesondere Deutschland dieser Vereinbarung nicht folgte, versuchte Präsident Obama mit einer wohlfühlenden, Präsident Donald Trump mit einer rustikaleren und Präsident Joe Biden mit einer klassisch diplomatischen Art, Berlin doch noch zu einem Umdenken zu bewegen. Erst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 brachte Bewegung in die deutsche Verteidigungspolitik. Doch das von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete große Wort der „Zeitenwende“ wartet weiterhin darauf mit expliziten Taten und Inhalten gefüllt zu werden.

Ab 2014: Obama und Trump warnen vor Abhängigkeit von russischen Energieträgern

Die energiepolitische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland wurde während der Kanzlerschaften von Gerhard Schröder (SPD) und Dr. Merkel, entgegen dem Protest osteuropäischer Länder, stark ausgebaut. Die USA warnten daraufhin von einer gefährlichen Abhängigkeit, da Russland ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen würde. Deutschland nahm diese Warnungen freilich nicht ernst.

Präsident Obama bot Dr. Merkel an, LNG-Terminals zu errichten, damit die Abhängigkeit von russischem Gas minimiert werden könnte. Die Bundeskanzlerin lehnte ab. Erst nach anhaltendem Druck durch Präsident Trump entschied sich Bundeskanzlerin Dr. Merkel Ende 2018 für die Förderung des Baus von Terminals für Flüssiggas. Und dennoch passierte zunächst nichts.

Zuvor lachte die deutsche Delegation um Außenminister Heiko Maas (SPD) und Christoph Heusgen, damals Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen und heute Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, den US-Präsidenten sogar bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung zu dessen Ausführungen über die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas öffentlichkeitswirksam aus (siehe Video).

Erst mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine reagierte Deutschland und baute eigene LNG-Terminals. Zwei solcher Terminals konnten innerhalb eines Jahres in Betrieb gehen, weitere sind in Planung. Die Kosten für diese späte Entscheidung und die mangelnde Diversifizierung bei Gasimporten zahlt jedoch der Verbraucher.

2018: Bolton warnt vor russischen Expansionsbestrebungen

Auch John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von Donald Trump, warnte schon vor Jahren vor den russischen Expansionsbestrebungen. Bolton sah beispielsweise frühzeitig die territoriale Integrität und Souveränität der Republik Belarus unter einer enormen Bedrohung durch den russischen Imperialismus ausgesetzt.

Westliche Sanktionen gegenüber den belarusischen Diktator Alexander Lukashenko seien vor diesem Hintergrund laut Bolton kontraproduktiv, würden diese das Regime in Minsk doch wieder näher an Moskau heranführen. Russland würde hierdurch seinem Ziel, die Republik Belarus zu übernehmen, näherbringen. Im Februar 2023 wurde sodann ein Geheimdokument veröffentlicht, welche die Pläne einer schleichenden Annexion der Republik Belarus durch Russland bestätigt.

Gehört wurden Boltons Warnungen, insbesondere von den West- und Mitteleuropäern, freilich nicht. Es folgte die russische Invasion der Ukraine auch über belarusisches Staatsgebiet. Diktator Lukashenko blieb letztendlich keine andere Wahl, als sein Territorium der russischen Armee zur Verfügung zu stellen, da er keinen Ausweg mehr nach Westen hatte. Nach der Annexion der Krim 2014 sah dies noch anders aus, unternahm Lukashenko doch einiges, um von Russland auf Abstand zu gehen.

Der Beitrag „Boltons ungehörte Warnung“ wartet mit weiteren Hintergründen zur Thematik auf (Klick hier).

2023: Rice und Gates warnen vor Verhandlungen

Condoleezza Rice und Robert Gates, ehemalige Minister für Äußeres und Verteidigung, wiesen in einem Gastbeitrag für The Washington Post darauf hin, dass Putin weiterhin die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle bringen will, um das Russische Reich auferstehen zu lassen. Eine Waffenruhe oder sogar teilweise Abgabe von ukrainischen Gebieten an Russland würde dem Kreml nur Zeit zu einer späteren erneuten Offensive verschaffen.

Da eine Niederlage keine Option sei, plädierten Rice und Gates für die Lieferung von schwereren Waffen, die zudem schneller geliefert werden müssten. Darunter sollten sich auch Raketen mit einer längeren Reichweite und Drohnen befinden. Die mittel- und westeuropäischen Länder treten dennoch weiter auf die Bremse. 

Der Gastbeitrag ist im Original auf der Website von The Washington Post nachzulesen (Klick hier).

Zeitenwende herrscht, wenn alte Denkmuster wegfallen

Erst wenn insbesondere in Mittel- und Westeuropa aus vergangenen Fehleinschätzungen gelernt, aus ängstlichen Verhaltensweisen entstandene Schwächen sowie ein in Teilen vorherrschender Anti-Amerikanismus abgelegt und die daraus nötigen Konsequenzen gezogen werden, ist ein nachhaltiger und langfristiger Frieden in Europa möglich. Ein erster Schritt ist hierbei die naive Haltung abzulegen, dass es sich in der Ukraine lediglich um „Putins Krieg“ handeln würde. Im eingangs erwähnten Interview sprach Außenministerin Baerbock beispielsweise davon, dass alleine der „russische Präsident (…) Morden“ würde.

Vielmehr ist es ein tief im Gedankengut der russischen Bevölkerung verwurzelter historisch gewachsener Imperialismus, der zum größten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Im Gegensatz zu den europäischen Mächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurde Russland nämlich nie von seinen imperialistischen Bestrebungen geheilt. 

Eine stabile Mehrheit von 75 Prozent der Russen unterstützt infolgedessen auch nach einem Jahr weiterhin den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putins Zustimmungswerte stiegen laut dem unabhängigen Levada Institut signifikant an: 82 Prozent der Russen beurteilten im Januar 2023 die Arbeit ihres Präsidenten als positiv.

Die Ukraine ist nur der Anfang. Wenn wir fallen, werden wir nicht die Ersten und nicht die Letzten sein.

Wladimir Klitschko im Interview bei Sandra Maischberger am 22.02.2023 (siehe untenstehendes Video)

Expansionsbestrebungen Russlands sind zudem keine Erfindung Putins, unterjochte Moskau doch schon unter der roten Flagge der Sowjetunion die osteuropäischen Länder und bedrohte seine Nachbarn unter Führung des Zaren. Politisch Verantwortliche wären gut beraten, sich an den Worten des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu orientieren, als dieser in einem Interview mit Zeit Online folgende weise Worte von sich gab:

Wir sollten aufhören mit dem Wunschdenken, Russland sei durch Freundlichkeit zu beeindrucken.

In genau diese Kerbe stoß auch Lloyd Austin, als er die Kriegsziele klar definierte. Laut dem US-Verteidigungsminister müsste Russland bei seinem Angriffskrieg auf die Ukraine so stark geschwächt werden, dass es über Jahrzehnte seine Nachbarn nicht mehr bedrohen könne. Bleibt zu hoffen, dass die West- und Mitteleuropäer zumindest diese Mitteilung aus Übersee erfasst und verstanden haben sowie danach handeln werden. Die erfolgreiche militärische Verschiebung von Grenzen wäre nämlich die Öffnung der Büchse der Pandora, Europa würde in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückversetzt werden.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Die Konsequenzen aus den Zwischenwahlen für Präsident Biden

In der am 03. Januar 2023 beginnenden neuen Legislaturperiode wird sich das Regieren für Präsident Joe Biden grundlegend ändern. Während seine Demokratische Partei nach den Zwischenwahlen formell weiterhin eine Mehrheit im U.S. Senat stellen wird, kontrollieren in den kommenden zwei Jahren Republikaner das U.S. Repräsentantenhaus.

Die Parteizugehörigkeiten des Präsidenten und der Mehrheit in mindestens einer Kongresskammer ist somit auseinandergefallen, es herrscht ein divided government („geteilte Regierung“) vor. Der nachfolgende Beitrag analysiert vor diesem Hintergrund die daraus resultierenden Konsequenzen für Präsident Biden.

Demokratische Mehrheit im U.S. Senat

Stichwahl in Georgia beeinflusst Ausrichtung des U.S. Senats

Demokraten werden mindestens 50 U.S. Senatoren, inklusive ihnen wohlgesonnener zweier unabhängiger U.S. Senatoren, an den Capitol Hill entsenden. Die am 06. Dezember 2022 stattfindende Stichwahl in Georgia zwischen dem demokratischen Amtsinhaber Raphael Warnock und Herschel Walker hat folglich keine direkte Auswirkung darauf, welche Partei die Mehrheit in dieser Kongresskammer stellen wird. Vizepräsidentin Kamala Harris kann bekanntlich ein Patt zugunsten der Demokraten auflösen.

Ein gewichtiger Bezugspunkt für das Abstimmungsverhalten eines amerikanischen Abgeordneten bildet auch heute noch – trotz der wachsenden Bedeutung der Fraktionssolidarität – die von ihm perzipierte Meinung der ihm und seiner Partei nahestehenden Wählerschaft in seinem eigenen Wahlkreis. Wer wiedergewählt werden will, legt sich (…) in Europa nicht mit seiner Partei, in Amerika nicht mit den potentiellen Wählern im eigenen Wahlkreis an.

Emil Hübner: Das politische System der USA, S. 122

Die Wahl beeinflusst jedoch die Ausrichtung des U.S. Senats: Entsenden wie bisher beide Parteien jeweils 50 U.S. Senatoren, können moderate Demokraten wie Joe Manchin oder Kyrsten Sinema, deren Abstimmungsverhalten sich sehr stark an der Meinung der eigenen Wählerschaft in ihren jeweiligen Bundesstaaten orientiert, weiterhin großen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Bei einem Sieg Warnocks schwindet hingegen die Macht der Senatoren Manchin und Sinema, beide könnten nur noch gemeinsam ein Veto einlegen. Progressive Senatoren wären gestärkt.

Demokraten weiter mit Mehrheit für Nominierungen

Mit einem Sieg Warnocks würden Demokraten erstmals in der Ära Biden die Ausschüsse kontrollieren. Die Republikanische Partei könnte infolgedessen keine Untersuchungsausschüsse einberufen. Der bei den Zwischenwahlen wiedergewählte republikanische U.S. Senator Ron Johnson plante beispielsweise einen Ausschuss über die Finanzgebaren von Hunter Biden, Sohn des Präsidenten. Eine schnellere Verabschiedung von Gesetzen wäre ebenso – theoretisch – möglich.

Die für Präsident Biden bedeutendste Auswirkung des für seine Partei positiven Ausgangs der Senatswahlen ist die, wie schon in seinen ersten beiden Amtsjahren, Hoheit über Nominierungen von Richtern, Regierungsmitgliedern und zustimmungspflichtiger Verwaltungsbeamter. Präsident Biden kann damit mögliche Personalwechsel in seiner Administration beruhigter entgegensehen, als dies bei einer republikanischen Senatsmehrheit der Fall gewesen wäre.

Bis zum November diesen Jahres nominierte Präsident Biden schon 84 Richter erfolgreich. Damit sind gegenwärtig nur noch zehn Prozent der Richterposten vakant, die Präsident Biden nun nach seinem Wunsch besetzen kann. Zum gleichen Zeitpunkt ihrer jeweiligen Präsidentschaften kamen Donald Trump auf 84, Barack Obama auf 43, George W. Bush auf 80 und George H.W. Bush auf 71 erfolgreich nominierte Richter. Nur Bill Clinton hatte mit 143 erfolgreichen Nominierungen eine bessere Bilanz als Präsident Biden beziehungsweise Trump vorzuweisen.

Republikanische Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus

Republikaner werden Untersuchungsausschüsse einsetzen

Im Gegensatz zum U.S. Senat bereiten die neuen Mehrheitsverhältnisse im U.S. Repräsentantenhaus dem Weißen Haus Kopfzerbrechen. Nachdem die Kontrolle dieser Kongresskammer auf die Republikanische Partei übergehen wird, ist davon auszugehen, dass die Konservativen diverse Untersuchungsausschüsse einsetzen werden.

Was im U.S. Senat auf Grund der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich ist, wird wohl im U.S. Repräsentantenhaus geschehen: Ein Untersuchungsausschuss zu den Geschäftsbeziehungen, insbesondere mit/in der Ukraine und China, von Hunter Biden. Hierbei dürfte den Fragen nachgegangen werden, ob Präsident Biden a) von den Geschäften seines Sohnes wusste, b) durch ausländisches Geld kompromittiert worden sei und ob er c) eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. Eine Vielzahl an Bankunterlagen und Informantenaussagen dürften unter dem Vorsitz des Republikaners James Comer ausgewertet werden.

Geist eines Impeachment kehrt nach D.C. zurück

Mit einem Amtsenthebungsverfahren gegenüber Präsident Biden könnte sich das U.S. Repräsentantenhaus, auch als Folge des Untersuchungsausschusses zu Hunter Biden, ebenso beschäftigen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies, wenn überhaupt, zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen würde. Wahrscheinlicher ist ein Impeachment gegen den Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas, welches nach der Untersuchung der Grenzpolitik der Biden-Administration von statten gehen könnte.

55 Prozent der Republikaner wollen, dass sich der U.S. Kongress mit einer möglichen Amtsenthebung von Präsident Biden beschäftigt. Sechs Prozent der Demokraten und 28 Prozent der Gesamtbevölkerung stimmen dem zu.

Morning Consult

Die Republikanische Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus könnte des Weiteren einen Untersuchungsausschuss zum chaotischen Abzug aus Afghanistan einsetzen. Die Einsetzung solcher Ermittlungen könnte, je nach thematischer Ausrichtung, sogar überparteilich erfolgen. Als weitere mögliche Ausschüsse gelten Untersuchungen zum Ursprung des Coronavirus, die Rolle von Dr. Anthony Fauci bei der Pandemiebekämpfung sowie Untersuchungen über den Zustand des FBI.

Der Ausschuss zur Erstürmung des U.S. Kapitols könnte beendet oder zumindest modifiziert werden. Den Republikanern unliebsame demokratische Abgeordnete wie Ilhan Omar, die durch ihren antizionistischen Aktivismus auch über die USA hinaus bekannt wurde, könnten von Ausschüssen verbannt werden.

Politische Ziele der House-Republikaner

Die Republikanische Partei im U.S. Repräsentantenhaus wird sich für eine Schuldenobergrenze und für eine dauerhafte Implementierung der einst von Präsident Trump initiierten Steuersenkungen stark machen. Eine stärkere Ausgabenkontrolle wird sich auch bei den US-Hilfen für die Ukraine bemerkbar machen (Hintergründe klick hier). Das Gesetz zur Inflationsbekämpfung wollen Republikaner teilweise rückgängig machen.

Damit eine Gesetzesvorlage dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden kann, muss sie in beiden Kammern in identischer Form verabschiedet werden.

Josef Braml: Das politische System der USA, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 349/2021, S. 16

Für viele dieser republikanischen Vorhaben wird allerdings der U.S. Senat mit seiner demokratischen Mehrheit oftmals im Weg stehen. Republikaner, die bei den diesjährigen Zwischenwahlen in Bezirken gewählt wurden, die 2020 Präsident Biden für sich entschied, werden zudem einen moderaten Kurs einschlagen wollen und folglich auf Demokraten zugehen.

Der US-amerikanische Kongress übernimmt (…) nicht automatisch die politische Agenda der Exekutive/des Präsidenten, selbst wenn im Fall des unified government das Weiße Haus und Capitol Hill von der gleichen Partei „regiert“ werden. Noch weniger ist dies der Fall, wenn bei einem divided government Präsident und Kongress von unterschiedlichen Parteien „kontrolliert“ werden.

Josef Braml: Das politische System der USA, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 349/2021, S. 14

Zu Kompromissen müssen jedoch auch Demokraten bereit sein, liegt fortan doch die Finanzhoheit bei Republikanern. Präsident Biden benötigt folglich republikanische Stimmen, um die Regierungsgeschäfte weiter finanzieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist die demokratische Führung gut darin beraten, sofern überhaupt möglich, ein gutes Verhältnis zum kommenden republikanischen Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses aufzubauen. Kevin McCarthy dürfte in dieser Position auf Nancy Pelosi folgen.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Die Zwischenwahlen 2022 – Vorschau

Können Demokraten ihre knappen Mehrheiten in beiden Kammern des U.S. Kongresses verteidigen? Oder wird das Regieren für Präsident Joe Biden noch herausfordernder als ohnehin schon? Am Dienstag, 08.11.2022, entscheiden US-Amerikaner über genau diese Fragen. Auf deren Antworten könnte auf Grund der zu erwartenden hohen Briefwahlbeteiligung jedoch auf sich warten lassen. Im nachfolgenden Beitrag gibt es die Vorschau zur Wahl des Jahres mit vielen unaufgeregten, tiefgründigen Informationen. 

Was sind Zwischenwahlen?

Bei den Zwischenwahlen, im Englischen als “midterms” bekannt, wird zu einem Drittel der U.S. Senat sowie das komplette U.S. Repräsentantenhaus neu gewählt. Des Weiteren finden zahlreiche Gouverneurswahlen sowie Voten auf Bundesstaatsebene statt. Die Zwischenwahlen finden alle zwei Jahre nach beziehungsweise vor einer Präsidentschaftswahl statt. Ein eigener Beitrag erklärt die Zwischenwahlen ausführlich (Klick hier).

Zwischenwahlen herausfordernd für Partei des Präsidenten

Bei Zwischenwahlen verliert in der Regel die Partei des Präsidenten. Seit dem Ende des US-amerikanischen Bürgerkrieges konnte diese lediglich in den Jahren 1934, 1998 und 2002 Sitze hinzugewinnen. Im U.S. Repräsentantenhaus hat die Partei des Präsidenten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchschnittlich 26 Sitze sowie im U.S. Senat im Durchschnitt vier Sitze verloren. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Wähler der Partei, die gerade nicht den Präsidenten stellt, motivierter sind, an den Wahlen teilzunehmen. 

Bei ihren ersten Zwischenwahlen haben die Präsidenten Ronald Reagan 26, Bill Clinton 52, Barack Obama 63 und Donald Trump 40 Sitze im U.S. Repräsentantenhaus verloren. Lediglich George W. Bush gewann acht Sitze hinzu – bei den Wahlen im Jahr 2002 solidarisierten sich US-Amerikaner nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch mit ihrem Commander-in-chief

Wahlmathematik begünstigt Demokraten bei Senatswahlen

Bei den Wahlen zum U.S. Kongress treten insgesamt 55 Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl an. Das U.S. Repräsentantenhaus verlassen definitiv 49 bislang amtierende Abgeordnete nach Ende der Legislaturperiode. Darunter gehen zehn Republikaner und 22 Demokraten in den Ruhestand. 17 Abgeordnete bewerben sich für ein anderes Amt. 

Für den U.S. Senat werden 35 Sitze neu gewählt. Während Republikaner 21 Sitze verteidigen müssen, ist dies bei Demokraten nur bei 14 Sitzen der Fall. Sechs U.S. Senatoren treten nicht zur Wiederwahl an, davon gehören Fünf der Republikanischen Partei an. Die Wahlmathematik favorisiert also die Demokratische Partei. Über die wichtigsten Senatsduelle informiert ein eigener Beitrag (Klick hier).

Senatswahl verspricht Hochspannung

Gegenwärtig herrscht ein Patt im U.S. Senat vor, welches zugunsten der Demokraten durch Vizepräsidentin Kamala Harris aufgelöst werden kann. Gleichwohl die Wahlmathematik wie oben beschrieben die Demokratische Partei favorisiert, verspricht die Senatswahl Hochspannung. Republikanische Kandidaten konnten in den vergangenen Wochen in den Umfragen aufholen, die Wählermobilisierung wird letztendlich über die Kontrolle des U.S. Senats entscheiden. Viele repräsentative Umfragen rund um die Zwischenwahlen gibt es in einem eigenen Beitrag (Klick hier).

Inflation und Wirtschaft wichtigste Themen

Im September stiegen die Verbraucherpreise um 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Kernrate des Verbraucherpreisindex, sprich die Teuerung ohne volatile Preise für Energie und Nahrungsmittel, liegt mit 6,6 Prozent auf dem höchsten Niveau seit 40 Jahren. Die wichtigsten überregionalen Themen bei den diesjährigen Zwischenwahlen sind folgerichtig die Inflationsbekämpfung sowie die Wirtschaftspolitik.

Laut einer repräsentativen Erhebung von Morning Consult nennen explizit 81 Prozent der US-Amerikaner die Wirtschaftspolitik als wichtiges Wahlthema. 46 Prozent der US-Amerikaner vertrauen vor diesem Hintergrund in die wirtschaftspolitischen Lösungsansätze der Republikanischen Partei, 39 Prozent der Bevölkerung präferieren die Wirtschaftspolitik der Demokraten.

Die Inflationsbekämpfung wird von 80 Prozent der US-Amerikaner als bedeutend eingestuft. 61 Prozent der Bevölkerung denken, dass die Inflation weiter ansteigt. Als weitere wahlentscheidende Themen werden die Kriminalitätsbekämpfung (64 Prozent), das Abtreibungsrecht (59 Prozent), Recht auf das Tragen von Waffen/ Waffenkontrolle (57 Prozent) und Migration (55 Prozent) genannt. Die Abschlussargumente ausgewählter Politiker sind in einem eigenen Beitrag zusammengestellt (Klick hier).

Weitere Radikalisierung der GOP im Kongress erwartet

Von den insgesamt 552 republikanischen Kandidaten für den U.S. Kongress, Gouverneursposten sowie Secretary of State und Justizminister auf Bundesstaatsebene zweifeln 201 Republikaner die Legitimität der Präsidentschaftswahl 2020 an. Davon hinterfragten laut dem Cook Political Report 70 Prozent der republikanischen Kandidaten für den U.S. Kongress die Wahl Bidens zum Präsidenten. Zwei Drittel dieser Gruppe sind favorisiert ihre Wahlen zu gewinnen und als Abgeordnete nach Washington D.C. entsandt zu werden. 

Des Weiteren wurden acht der zehn republikanischen Abgeordneten im U.S. Repräsentantenhaus, die nach der Stürmung des Kapitols für Trumps Amtsenthebung gestimmt haben, bei ihren innerparteilichen Vorwahlen geschlagen oder traten nicht zur Wiederwahl an. In der nächsten Legislaturperiode werden somit vor allem im U.S. Repräsentantenhaus vermehrt Republikaner zu finden sein, die loyal zu Ex-Präsident Trump stehen. Dies könnte wiederum eine Herausforderung für die Verabschiedung zukünftiger US-Hilfen für die Ukraine darstellen, wie ein eigener Beitrag herausgearbeitet hat (Klick hier).

Trumps Einfluss auf die Republikanische Partei

Ehemalige US-Präsidenten haben, insbesondere nach unmittelbarem Ausscheiden aus ihrem Amt, einen weiterhin großen Einfluss auf ihre Partei. Bei Trump ist dieser umso größer, da er im Jahr 2024 einen erneuten Anlauf auf das Weiße Haus wagen könnte. Seine Unterstützung war für zahlreiche Personen bei den innerparteilichen Senatsvorwahlen mitentscheidend, so dass sich teils prominente, teils umstrittene Kandidaten durchsetzen konnten (Weitere Informationen klick hier).

Bei den Vorwahlen zum U.S. Repräsentantenhaus unterstützte Trump 270 Kandidaten. Hiervon konnten sich 216 Republikaner durchsetzen, ein Drittel hiervon hatten keinen innerparteilichen Gegenkandidaten. 17 von Trump unterstützte Republikaner verloren ihre Vorwahlen. 

EIn FünfteL der Kandidaten haben Militärerfahrung

21 Prozent der cirka 1.000 Kandidaten für den U.S. Kongress und für die Gouverneursposten weisen laut dem Pew Research Institute Militärerfahrung auf. Explizit dienten 191 der 858 Kandidaten für das U.S. Repräsentantenhaus im Militär. Die Republikanische Partei (29 Prozent) stellt mehr Kandidaten mit Militärgeschichte als die Demokratische Partei (15 Prozent). Um einen Senatorensitz bewerben sich insgesamt elf Kandidaten mit Militärerfahrung, sechs Kandidaten gehören dabei den Demokraten und Fünf den Republikanern an. 

Hoffnung der Parteien liegt auf Ex-Präsidenten

Auf Grund der ausbaufähigen Umfragewerte für Biden nahm der amtierende Präsident nur an wenigen Wahlkampfveranstaltungen teil. Die demokratische Wählerschaft sollte primär durch den ehemaligen Präsidenten Obama motiviert werden, der in den vergangenen Wochen die Bundesstaaten Pennsylvania, Georgia, Wisconsin, Nevada, Michigan und Arizona bereiste.

Demokraten standen bei den Zwischenwahlen so stark unter Druck, dass Präsident Biden kurz vor dem Wahltag sogar eine Wahlkampfveranstaltung im liberalen New York für Gouverneurin Kathy Hochul abhalten musste. Auf republikanischer Seite nahm Trump ebenso einige Wahlkampftermine war.

Teurer Wahlkampf

Laut AdImpact haben die Parteien alleine für den Wahlkampf um das U.S. Repräsentantenhaus $1,3 Milliarden für Werbespots ausgegeben. Dies ist dreimal so viel wie im Jahr 2016. Demokraten investierten $702 Millionen und Republikaner $615 Millionen. Das teuerste Duell fand im 7. Distrikt von Michigan statt: Die demokratische Abgeordnete Elissa Slotkin ließ sich ihren Wahlkampf $20,8 Millionen kosten. Ihr Herausforderer Tom Barrett gab $12,9 Millionen aus.

Der mit Abstand größte Spender für die Demokratische Partei war George Soros, der mindestens $126 Millionen für deren Wahlkampf beisteuerte. Die größten Gönner für die Republikanische Partei waren Richard Uihlein und Kenneth C. Griffin, die jeweils $67 Millionen spendeten. Der gesamte Zwischenwahlkampf (alle Wahlen auf Bundes- und Staatsebene) dürfte Schätzungen von OpenSecrets zufolge $16,7 Milliarden gekostet haben.

Vielen Dank für deine Spende für unaufgeregte, tiefgehende Berichterstattung rund um US-Politik. 


Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Boltons ungehörte Warnung

Sie sind für ihren enormen Mut ebenso bekannt wie für ihre Achtsamkeit und Geduld: Falken. Der Vogel der Krieger beobachtet seine potentielle Beute mit seinen scharfen Augen, in kürzester Zeit kann er große Distanzen überqueren. Kleinere Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien leben in ständiger Bedrohung von einem Falken gerissen zu werden.

Wie in der Natur gibt es auch in der Politik Falken. Von gewaltsamen Regierungsumstürzen durch äußere Unterstützung sind solche Politiker und sicherheitspolitische Experten ebenso wenig abgeneigt wie von Militärinterventionen. Unliebsame Regierungschefs leben in ständiger Gefahr in das Blickfeld eines politischen Falken zu geraten.

Bolton als Sinnbild des US-amerikanischen Falken

Zu dieser, in der Öffentlichkeit oftmals unliebsamen, Gattung des politischen Betriebs gehört der mittlerweile 73 Jahre alte John Bolton. Sein Wissen gab er bislang mit Ronald Reagan, George H.W. Bush, George W. Bush und Donald Trump an vier republikanische US-Präsidenten weiter. Die prominentesten Rollen nahm Bolton als US-Botschafter bei den Vereinten Nationen zwischen August 2005 und Dezember 2006 sowie als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Trump zwischen April 2018 und September 2019 ein. 

Seit dem 20.01.2021, dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden, hat die Volksrepublik China Bolton zur unerwünschten Person erklärt.

Letztgenannten Arbeitsplatz verlor Bolton, nachdem ihm der damalige Präsident Trump wegen grundlegenden Meinungsverschiedenheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zum Rücktritt aufforderte. Bolton hat nicht erst seitdem kein gutes Wort über den 45. US-Präsidenten übrig. Er bezeichnete Trump unter anderem schon mehrmals als den „schlechtesten Präsidenten aller Zeiten“. In „The Room Where It Happened“ schrieb Bolton sodann seine Erfahrungen mit Trump, den er darin als inkompetent und korrupt beschrieb, nieder. 

So umstritten Boltons Ansichten und insbesondere dessen aggressive Vorschläge oftmals sein mögen, weist er doch einen scharfsinnigen Blick für sicherheitspolitische Entwicklungen auf. Während seiner Tätigkeit im Weißen Haus rückte der belarusische Präsident Alexander Lukashenko in das Blickfeld von Bolton. Im Gegensatz zu vielen anderen Diktatoren musste sich Lukashenko jedoch nicht fürchten, die Aufmerksamkeit Boltons generiert zu haben. Bolton hatte das größere Bild, die russischen Expansionsbestrebungen im Sinn. 

Vor 2020: Tauwetter zwischen den USA und Belarus

Im September 2019 reiste Bolton, damals noch als Nationaler Sicherheitsberater, sodann in die Republik Belarus. Es war der höchstrangige US-Besuch in Minsk seit Präsident Bill Clinton im Jahr 1994. Dies alleine unterstreicht schon das vorangegangene schlechte Verhältnis zwischen den USA und Belarus. Die Gründe hierfür lagen nicht zuletzt bei einer schon im Jahr 2006 von Lukashenko abermals gefälschten Präsidentschaftswahl und Repressionen gegen die eigene Bevölkerung begründet. Infolgedessen statteten in den vergangenen beiden Dekaden nicht einmal höhere US-Beamte der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik einen Besuch ab.

Bolton durchbrach die Eiszeit zwischen beiden Nationen wegen zweierlei Gründe: Einerseits öffnete sich Lukashenko nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 erneut dem Westen. Eine Abgrenzung zu Moskau folgte, da der Kreml immer offensiver davon sprach für alle russischsprachigen Völker Verantwortung tragen zu wollen. Eine Wortwahl, mit der 2022 auch die russische Invasion der Ukraine begründet werden sollte. 

Lukashenko duldete auf einmal selbst die moderate Ausbildung einer eigenständigen belarusischen Identität: Das Besuchen von belarusischen Sprachkursen sowie das Tragen von traditioneller Kleidung waren beispielsweise in der sowjetisch-nostalgischen Diktatur, die ansonsten einer Mini-Sowjetunion 2.0 gleicht, möglich. Für die Ausübung genannter Beispiele musste die Bevölkerung zuvor noch mit Repressionen rechnen. Als Bolton nach Minsk reiste, erlebten Belarusen die vergleichsweise größten ihnen zugestandenen Freiheiten in Jahrzehnten. Die belarusische Diktatur grenzte sich deutlich von Russland ab.

Bolton erkannte russisches Bedrohungspotential frühzeitig

Andererseits erkannte Bolton, wie oben schon angedeutet, das russische Bedrohungspotential für die Souveränität und territoriale Integrität der Republik Belarus und damit auch für die angrenzenden NATO-Staaten Polen, Litauen und Lettland frühzeitig. Dementsprechend gab Bolton Lukashenko folgende Worte mit auf den Weg:

Ihre Nation sollte nicht in die Abhängigkeit von nur einem Partner gezwungen werden. Dies gilt in Bezug auf Ihren Wohlstand und Ihre Sicherheit. 

Bolton warnte damit vor einer weitergehenden Integration mit Russland, die primär der Kreml vorantrieb und auch weiterhin bis zum heutigen Tage aggressiv vorantreibt. Selbst von einer „ruhigen Annexion“, im Gegensatz zum gegenwärtigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, war die Rede.

Lukashenko war und ist sich dies auch bewusst, ein Botschafteraustausch wurde vereinbart, die Abnahme von US-amerikanischem Rohöl zur Verringerung von der russischen Abhängigkeit wurde diskutiert. Bolton betonte zudem, dass Belarus nicht zwischen den USA und Russland wählen müsse. Sogar US-Außenminister Mike Pompeo schloss Anfang 2020 einen weiteren Besuch in Minsk an. 

Zurück auf Los namens Moskau

Doch dann kam die Coronavirus-Pandemie, welche Lukashenko nicht ernst nahm. Die Bevölkerung, die später selbst kaum Eigenverantwortung zur Einhegung der Pandemie zeigte, fühlte sich von ihrem autoritären Präsidenten, zumal nicht nur auf diesem Gebiet, im Stich gelassen. Erste Demonstrationen folgten. Die für August 2020 anberaumte „Präsidentschaftswahl“ füllte die Proteste gegen Lukashenko, und nicht wie später von vielen westlichen Politikern und Medien für Demokratie und Westbindung behauptet, zudem mit Leben.

Glichen die Proteste vor der „Wahl“ noch nahezu den Feierlichkeiten bei einer Fußball-WM, überströmte Lukashenko mit dem „Wahl“abend sein Land mit einer nie dagewesenen Gewalt. Die größten Demonstrationen seit Ende der Sowjetunion konnten dennoch zunächst vom Regime nicht aufgehalten werden.

Doch der wochenlange Aufstand, der von einer hilflosen neuartigen Opposition, ursprüngliche Oppositionelle sind schon seit Jahren im Exil oder in Gefangenschaft, ungenügend (wenn überhaupt) geplant wurde, konnte von Lukashenkos Schergen mit russischer Hilfe brutal niedergeschlagen werden. Ohne die Unterstützung des Kremls, der Spezialeinheiten, Waffen und Medienschaffende nach Belarus schickte, hätte Lukashenko den Aufstand weder (politisch) überlebt noch den Staatsterrorismus bis heute fortführen können.

Auch zwei Jahre nach dem Aufstand haben die Repressionen an Intensität kaum nachgelassen. Selbst zahlreiche Privatschulen oder öffentliche Schulen, die auf Belarusisch, Litauisch oder Polnisch (in Belarus gibt es große litauische und polnische Minderheiten) unterrichten, wurden von den Behörden geschlossen. Die berühmte katholische Kirche der Heiligen Simon und Helena in Minsk wurde ebenso beschlagnahmt wie das Soziale Zentrum, Priester wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Die katholische Kirche stellte sich 2020 hinter den Anliegen der demonstrierenden Bevölkerung.  

Entscheidender Fehler des Westens

In dieser Situation beging insbesondere die Europäische Union einen, im Rückblick betrachtet noch offensichtlicheren, entscheidenen Fehler. Schon am 09. August 2021 schrieb der Autor dieses Beitrags für „1600 Pennsylvania“:

Um seine Macht zu sichern, bleibt Lukashenko auf Grund seines eigenen strategischen Versagens nichts anders übrig, als sich an Putin zu wenden. Dieser hilft bereitwillig mit Krediten, Sicherheitskräften und PR-Leuten. Westliche Sanktionen in der derzeitigen Form lassen Belarus in ökonomischer, politischer sowie zivilgesellschaftlicher Hinsicht noch abhängiger von Russland werden. Nach einem Jahr belarusischer Revolution sitzt der Gewinner im Kreml, dank Lukashenkos Brutalität gegenüber seinem eigenen Volk und einer fehlenden langfristigen Belarus-Strategie des Westens.

Lukashenkos Finanzier Putin wurde vom Westen also nicht zur Verantwortung gezogen. Die einseitigen westlichen Sanktionen gegenüber Belarus führten folglich zu einer noch stärkeren Abhängigkeit Minsks von Moskau. Es erfolgte am 24. Februar 2022 die russische Invasion der Ukraine, die auch über belarusisches Staatsgebiet vonstatten ging.

Entgegen der bei westlichen Medien und Politikern weit verbreiteten Meinung hat Lukashenko belarusisches Territorium für die Ausführung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht freiwillig zur Verfügung gestellt. Ihm blieb zur Sicherung der eigenen Macht schlichtweg nichts anderes übrig. Selbst der Aufmarsch russischer Panzer in Minsk war und ist kein abwegiges Szenario. Der Weg nach Westen war Lukashenko schließlich durch eigenes Fehlverhalten (Ursache) und einer wenig durchdachten Sanktionspolitik verschlossen. 

Auch Bolton warnte

Im November 2021, also drei Monate vor Kriegsbeginn, warnte auch Bolton bei CNBC über die zu kurz gedachte westliche Belarus-Politik:

Ich denke, dass wir alle einen Fehler machen, indem wir uns auf Lukashenkos Repressionen gegenüber der Opposition und deren Verlangen nach einer freien, repräsentativen Regierung in Belarus konzentrieren. Natürlich kann nichts rechtfertigen, was Lukashenko getan hat. Doch die Gefahr für Lukashenko ist, dass er bei anhaltenden oppositionellen Tätigkeiten nicht mehr sein eigenes autoritäres Regime in Belarus aufrechterhalten kann und nach noch mehr russischer Hilfe rufen muss. Passiert dies, werden Belarusen möglicherweise nie mehr die Möglichkeit haben eine freie Regierung zu bekommen. 

Schon im Mai 2021 formulierte Bolton in The Washington Post:

Es ist sicher, dass Sanktionen und Äußerungen des Missfallens mit Lukashenko weder sein Verhalten noch sein Regime ändern werden. Vielmehr wird es ihn tiefer in Putins Umklammerung treiben. Das Risiko besteht, dass er hierdurch, möglicherweise für immer, Belarus verliert. 

Bolton sah die territoriale Integrität und Souveränität der Republik Belarus unter einer enormen Bedrohung durch das russische Expansionsbestreben ausgesetzt. Doch er blieb ungehört. Nach einer Entführung einer Ryanair-Maschine und die Inhaftierung zweier Passagiere verabschiedete die EU weitere einseitige Sanktionen gegen Belarus. Dabei half Russland bei dieser Luftpiraterie mit. Wie schon bei der verhaltenen Reaktion auf die russische Annexion der Krim 2014 verfolgte der Westen auch diesmal eine Appeasement-Politik gegenüber dem Kreml.

Aus Fehlern lernen

Doch was hätte der Westen, abgesehen von der Erarbeitung einer seit Jahrzehnten fehlenden langfristig angelegten Belarus-Strategie, anders machen sollen? Laut Bolton hätte der Westen unter Führung der USA ein Übereinkommen mit Lukashenko finden sollen, damit dieser die Macht abgibt, um den russischen Einfluss auf Belarus zu begrenzen. Lukashenko und dessen Familie hätte man eine „schöne Villa an der Riviera“ anbieten können, so Bolton.

Lukashenko und Putin verbindet eine Hassliebe. Minsk steht mitnichten zu 100% hinter Moskau wie auch die FAZ in einem Kommentar treffend feststellte.

Ein ungeliebter Diktator im Exil, ein typischer Lösungsvorschlag politischer Falken. Doch egal wie man zu Boltons Idee stehen mag, im Gegensatz zu den Verantwortlichen in Berlin oder Washington D.C. sah er frühzeitig in den russischen Expansionsbestrebungen, auch auf das Gebiet der Republik Belarus, eine Herausforderung für den Frieden in Europa. Bolton kritisierte  folgerichtig auch, dass Präsident Biden ohne einen Osteuropa-Plan in das Treffen mit Putin im Juni 2021 ging.

Den scharfsinnigen Analysen eines politischen Falken sollten unter gegebenen Umständen doch mehr Gehör geschenkt werden. Denn die nächsten Herausforderungen warten bereits. Die Republik Belarus bereitet sich gegenwärtig (gezwungenermaßen) auf die Ankunft von bis zu 20.000 zusätzlichen russischen Soldaten, sofern diese rekrutiert werden können, für eine mögliche Frühjahrsoffensive gegen die Ukraine vor. Flugplätze werden ausgebaut, Bahnschienen erneuert, Barracken erweitert.

Der Tanz des belarusischen Diktators zwischen Ost und West geht indes unvermindert weiter. Verbal findet Lukashenko traditionell positive Worte für Russland und übernimmt die Propaganda des Kreml. Zuletzt gab es aber auch wieder vorsichtige Anzeichen der Annäherung an den Westen:

Der Krieg muss beendet werden, um den nuklearen Abgrund zu verhindern.
(Im Gegensatz zu russischen Offiziellen spricht Lukashenko vermehrt von „Krieg“)

Gleiches gilt für explizite Taten: Einerseits hielt das belarusische Militär außerordentliche Übungen mit russischen Soldaten ab, eine gemeinsame Kampftruppe wurde zudem vereinbart. Andererseits wurde der Geheimdienst KGB direkt Lukashenko unterstellt – aus Angst vor den russischen Truppen im Land. Außerdem genießen die Bewohner Litauens und Polens eine temporäre visumsfreie Einsreise in die Republik Belarus. Zur Eindämmung der Großmachtfantasien eines Vladimir Putin sollte der Westen Belarus mehr Aufmerksamkeit schenken. Achtsamkeit, Geduld und ein scharfsinniger Blick von (politischen) Falken mag dabei helfen. 

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

#NeverForget: 11. September 2001

Am 11. September 2001 ereignete sich der bis dato weltweit tödlichste Terrorangriff. Insgesamt verloren 2.996 Menschen unmittelbar ihr Leben. Sogar noch weitaus mehr Personen starben an den Folgen des Terroranschlags, beispielsweise auf Grund von Atemwegserkrankungen, die durch den Einsturz der Wolkenkratzer ausgelöst wurden. Mehr als 6.000 Menschen erlitten, teils schwere, Verletzungen.

Geplant von al-Kaida-Anführer Osama bin Laden entführten an jenem Dienstag 19 Islamisten vier Passagierflugzeuge. Die Selbstmordattentäter steuerten zwei Maschinen in die beiden Türme des World Trade Center zu New York City, wobei 2.753 Personen getötet wurden. Ein weiteres Flugzeug flog in das Pentagon in Washington D.C. und tötete 184 Menschen. Eine vierte Maschine stürzte über Pennsylvania ab, nachdem die Passagiere die Terroristen überwältigen konnten.

Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York City, Washington D.C. und Pennsylvania sagte der radikale islamistische Terrorismus dem Westen unmissverständlich den Kampf an. Eine neue Zeitrechnung begann. Die USA nahmen die Herausforderung an, riefen unter Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Terror aus. Streitbare Kriege in Afghanistan – zunächst gegen die für die Anschläge verantwortliche Organisation al-Kaida, später gegen die regierende fundamentalistische Taliban – und im Irak folgten.

Unter der Führung von Präsident Barack Obama wurde am 02. Mai 2011 bin Laden zur Verantwortung gezogen. In Abbottabad, Pakistan, spürten US-Spezialeinheiten den Terrorfürsten auf und erschossen bin Laden bei der Erstürmung seines Anwesens. Zum zwanzigsten Jahrestag des Terroranschlags erfolgte sodann der von Präsident Joe Biden befehligte, jedoch wenig durchdachte und letztendlich chaotische, Abzug der letzten in Afghanistan verbliebenen Truppen.

Die Taliban herrschen seitdem wieder über das Land, versprachen jedoch zuvor in Verhandlungen mit den USA keine Terrornetzwerke mehr auf ihrem Staatsgebiet zu dulden. Nichtsdestotrotz hielt sich Aiman al-Sawahiri, Nachfolger bin Ladens als al-Kaida-Chef, im August diesen Jahres in der afghanischen Hauptstadt Kabul auf. US-Geheimdienste spürten ihn auf, ein US-Drohnenangriff eliminierte sodann al-Sawahiri. Gleichwohl aus der öffentlichen Debatte nahezu verschwunden, ist der Kampf gegen den weltweiten islamistischen Terrorismus auch 21 Jahre nach 9/11 noch lange nicht abgeschlossen.

Die ZDF heute Nachrichten vom 11. September 2001
Die Tagesschau vom 11. September 2001
CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE (ORTSZEIT)

08:46 Uhr: Flug AA 11 schlägt im Nordturm des World Trade Center ein.

09:03 Uhr: Flug UA 175 schlägt im Südturm des World Trade Center ein.

09:37 Uhr: Flug AA 77 fliegt in das Pentagon.

09:59 Uhr: Der Südturm des World Trade Center stürzt ein.

10:03 Uhr: Flug UA 93 stürzt bei Shanksville ab.

10:28 Uhr: Der Nordturm des World Trade Center stürzt ein.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.