US-Präsident Donald Trump prahlte damit, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Doch nach zehn Monaten im Amt setzt sich der größte Krieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs unvermindert fort. Seit der Amtsübernahme von Präsident Trump hat die Russische Föderation gar seine Drohnen- und Raketenangriffe auf die Ukraine ausgeweitet. Im exklusiven Interview äußert sich Anna Kravtšenko von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zur Osteuropa-Politik des 47. US-Präsidenten und zur Gefühlswelt der ukrainischen Bevölkerung nach drei Jahren und acht Monaten vollumfänglicher russischer Invasion.

Sie sind Projektleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in der Ukraine. Wie erleben Sie gemeinsam mit Ihrem Team den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine? Wie gehen Sie persönlich mit der anhaltenden Gefahr um?
Für alle Ukrainerinnen und Ukrainer – und damit auch für mein Team und unsere Partner – ist der Krieg seit dreieinhalb Jahren eine tägliche Belastung, moralisch wie körperlich. Russland terrorisiert die Ukraine mit ständigen Angriffen durch Drohnen und Raketen, Tag und Nacht. Es gibt keinen wirklich sicheren Ort im Land; ein Angriff kann jeden jederzeit treffen. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen sowie Partner haben Angehörige, die an der Front kämpfen, und leben in ständiger Sorge um ihre Liebsten.
Ich bewundere die Resilienz und Anpassungsfähigkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer. Selbst nach den schlimmsten Angriffen stehen sie morgens auf, gehen zur Arbeit, treiben Sport, engagieren sich ehrenamtlich, sammeln Spenden und Ausrüstung für die Armee. Man muss sich bewusst machen, dass die Menschen in der Ukraine seit Februar 2022 in einem permanenten psychologischen Ausnahmezustand leben.
Unsere Arbeit haben wir nur in den ersten Wochen nach Beginn der umfassenden Invasion unterbrochen und sehr schnell wiederaufgenommen. Seither führen wir weiterhin zahlreiche Veranstaltungen der politischen Bildung, Vernetzungstreffen und Trainings in der Ukraine durch – selbstverständlich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Die Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen, Partner und Teilnehmenden hat für uns oberste Priorität.
Präsident Trump hat in den vergangenen Monaten den Gesprächsfaden mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin wieder aufgenommen. Ein nachhaltiger Frieden in Osteuropa bleibt dennoch in weiter Ferne. Ist die Friedensinitiative des US-Präsidenten schon gescheitert?
Ich glaube, der jüngste Erfolg von Trump im Nahen Osten hat in der Ukraine neue Hoffnung geweckt, dass er auch im Krieg mit Russland einen Friedensdeal aushandeln könnte. Diese Hoffnung war bereits bei seinem Amtsantritt im Januar 2025 spürbar, als er versprach, den Krieg schnell zu beenden. Was danach geschah, muss ich nicht wiederholen. Es gab aber Phasen, die als absolute Tiefpunkte der US-ukrainischen Beziehungen gelten, etwa der Vorfall im Oval Office.
Das bilaterale Treffen von Trump mit Wladimir Putin wurde in der Ukraine mit großer Sorge verfolgt. Denn Trump schließt die Ukraine immer wieder von den Gesprächen aus, und das stärkt das imperialistische Narrativ Russlands, die Ukraine sei kein eigenständiger Akteur, sondern Objekt der Entscheidungen „der Großen und Mächtigen“. Auch das russische Narrativ eines „Krieges gegen die NATO“ wird durch solche bilateralen Formate befördert: Putins Propaganda behauptet seit Beginn der Invasion, Russland führe nicht den Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen die gesamte NATO. Wenn die Ukraine nicht mit am Verhandlungstisch sitzt, entstehen Bilder, die diese Erzählung stützen.
Trumps jüngste Ankündigung, Langstreckenraketen des Typs Tomahawk an die Ukraine zu liefern und Angriffe auf russisches Territorium zu erlauben, hat entsprechend hohe Wellen geschlagen – in der Ukraine ebenso wie in Russland. Präsident Volodymir Selenskyj hat nach eigenen Angaben in den letzten Tagen mehrfach mit Trump telefoniert und wird in Kürze zu vertraulichen Gesprächen in Washington erwartet. Natürlich müssen wir uns vor Augen halten, dass Trump nicht immer seinen Worten Taten folgen lässt – ob die Tomahawks tatsächlich geliefert werden und in welchem Umfang, bleibt abzuwarten [Anmerkung des Interviewers: Trump gab bei seinem Treffen mit Selenskyj am 17.10.2025 bekannt, dass er vorerst keine Tomahawks an die Ukraine liefern wird].
Russland ist auch nicht an einem echten, nachhaltigen Frieden interessiert, weshalb solche Gespräche begrenzt wirksam sind. Die USA und die EU sollten mehr Druck auf Russland ausüben, indem sie die Ukraine entschiedener militärisch und finanziell unterstützen. Leider sehe ich hier derzeit immer weniger Bewegung. Darauf zu hoffen, dass die russische Wirtschaft und damit das Regime von selbst kollabieren, ist keine erfolgversprechende Strategie – sie kostet täglich ukrainische Leben.
Die US-Administration befindet sich ebenso in Gesprächen mit Alexander Lukaschenka. Die Freilassung politischer Gefangener konnte hierdurch erreicht werden, allerdings erfuhr der belarusische Machthaber auch eine gewisse Legitimation. Wie beurteilen Sie die Initiative der USA gegenüber Belarus?
Die Freilassung politischer Gefangener in Belarus ist zweifelsohne die beste Nachricht, die wir seit Langem aus dem Land erhalten haben. Als ich die Eilmeldung sah, dass Siarhei Tsikhanouski, der Kritiker Lukaschenkas und Ehemann der Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya, freigelassen wurde, konnte ich es kaum glauben. Es war ein absoluter Gänsehautmoment und gab mir Hoffnung für die mehr als 1.200 weiteren politischen Gefangenen in Belarus, darunter den Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki und die Oppositionelle Maria Kalesnikava.
Die USA haben bei der Freilassung politischer Gefangener eine Schlüsselrolle gespielt. Der US-Sondergesandte Steve Cole reiste persönlich zu Aljaksandr Lukaschenka, und es gab auch ein Telefonat mit Trump. In einer zweiten Runde der Freilassungen lockerten die USA im Gegenzug Sanktionen gegen die staatliche Fluggesellschaft Belavia (die EU-Sanktionen bleiben bestehen). Man erkennt, dass hier gezielte Verhandlungen im Hintergrund geführt werden. Dass einige prominente Gefangene weiterhin in Haft sind, zeigt, dass Lukaschenka diesen Prozess als langfristig und für sein Regime vorteilhaft betrachtet. Ziel der US-Verhandlungen dürfte auch sein, Gesprächskanäle nach Moskau offenzuhalten, in der Hoffnung, Lukaschenka könne als Vermittler fungieren.
Dieser Dialog mit dem Regime spaltet die belarusische Demokratiebewegung seit Langem. Tsikhanouskaya und ihr Übergangskabinett fordern seit Jahren die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen und lehnen Gespräche mit dem Regime strikt ab. Sie drängen die USA und die EU, den Druck auf Lukaschenka zu erhöhen, um letztlich den Zusammenbruch seines Regimes zu erzwingen. Gleichzeitig hat sich bereits vor rund zwei Jahren eine Gruppe von Angehörigen politischer Gefangener gebildet, deren Ziel ausschließlich die Freilassung der Inhaftierten ist – auch um den Preis eines Dialogs mit dem Regime. Deren Ansatz scheint nun Früchte zu tragen, denn einige ihrer Vorschläge spiegeln sich in den jüngsten Ergebnissen der US-Administration wider.
Sie, Herr Hülss, sprechen mit Ihrer Frage den Kern der Problematik an: Durch die Gespräche mit den USA wird Lukaschenka faktisch als belarusischer Präsident legitimiert. Nach der gefälschten Wahl und der brutalen Niederschlagung der Massenproteste 2020 wurde er von westlichen Regierungen nicht mehr als Präsident anerkannt und galt, gemeinsam mit Putin, als Außenseiter der internationalen Politik. Die Bemühungen der USA um die Freilassung politischer Gefangener verdienen höchste Anerkennung, bergen jedoch Risiken: Sie könnten das Regime stabilisieren und Lukaschenka dazu verleiten, künftig noch mehr Menschen als Verhandlungsmasse in Haft zu nehmen.
Was ist für Sie Freiheit?
Freiheit bedeutet für mich in erster Linie das Recht auf Selbstbestimmung – sowohl für Individuen als auch für Staaten. Dieses Recht ist für mich unverzichtbar. Das Beispiel der Ukraine zeigt, dass es immer wieder missachtet und verletzt wird. Umso wichtiger ist es, dafür zu kämpfen, so wie die Ukraine es heute tut.
Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.
Weitere Informationen zu Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gibt es auf ihrer Website sowie auf ihren Social-Media-Präsenzen auf Facebook, Instagram und X.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken; Anna Kravtšenko/ FNF.
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