HIGH-FIVE mit Hubert Hüppe MdB: „Von Bidens Versprechen, US-Amerikaner zusammenzuführen, ist nichts geblieben!“

Das seit dem Jahr 1973 bestandene landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gehört seit der Entscheidung des Supreme Court im Fall der Abtreibungsgesetzgebung in Mississippi der Geschichte an. Bundesstaaten haben ab sofort das Recht, eigenverantwortlich in dieser Thematik zu entscheiden. Ein Urteil, welches weit über die USA hinaus für Diskussionen sorgte.

Insbesondere aus Deutschland kam es von Seiten vieler Medien und aus der Politik zu Kritik am Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten. Gleichwohl gibt es auch deutsche Stimmen, die sich erfreut über die Stärkung des Lebensschutzes zeigten. Vor diesem Hintergrund führte „1600 Pennsylvania“ nachfolgendes Interview mit dem christdemokratischen Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe.

Als einer von nur wenigen Bundestagsabgeordneten haben Sie sich offen über das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, die Abtreibungsgesetzgebung den Bundesstaaten zukommen zu lassen und damit das Grundsatzurteil Roe vs. Wade außer Kraft zu setzen, gefreut. Was sind Ihre Beweggründe?

Ich freue mich, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten klargestellt hat, dass die Verfassung der USA kein Recht auf Tötung eines ungeborenen Kindes enthält. Das ist ein großer Sieg für das Recht auf Leben und natürlich auch für die weltweite Pro-Life-Bewegung.

Trotz massiven Drucks der sogenannten Pro-Choice-Anhänger, Anschlägen auf Pro-Life Einrichtungen und sogar einem geplanten Attentat auf Richter Brett Kavanaugh, hatte die deutliche Mehrheit der Richterinnen und Richter des Supreme Court den Mut, das 1973 ausschließlich von Männern gefällte Urteil Roe vs. Wade endlich aufzuheben. Wie im berüchtigten Dred-Scott-Urteil zur Sklaverei hat Roe vs. Wade es bestimmten Menschen erlaubt, anderen ihre Menschenrechte abzusprechen.

Die meisten US-Bundesstaaten weisen weiterhin eine liberalere Abtreibungsgesetzgebung als Deutschland auf. Entgegen dieser Realität wird hierzulande häufig eine “Rückkehr der USA in das Mittelalter” behauptet. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied beziehungsweise was hat es damit auf sich?

Viele Staaten der USA haben bereits Gesetze mit denen ungeborene Kinder geschützt werden. Sicher werden jetzt nach dem Urteil weitere folgen. Das ist kein Rückfall in das Mittelalter, sondern die Wiederherstellung der Menschenrechte. Es ist barbarisch, die eigenen Kinder teilweise, wie in einigen Staaten der USA erlaubt, bis zur Geburt zu töten.

Im Übrigen entspricht das jetzige Urteil grundsätzlich auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland. Es hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass auch das ungeborene Kind ein Lebensrecht hat, welches durch den Staat zu schützen ist.

Weder in Deutschland noch in den USA gibt es ein „Recht auf Abtreibung.“ Das ist kein Rückfall ins Mittelalter, sondern Realität moderner Rechtsstaaten, die die Menschenrechte schützen. Das Prinzip der Menschenwürde besagt, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, allein weil er Mensch ist.

Der ZDF-Journalist Elmar Theveßen beschrieb das Abtreibungsurteil mit den Worten der “Talibanisierung Amerikas”. Ihre Entgegnung zu Herrn Theveßen?

Das ist eine unentschuldbare zynische Entgleisung, die ich nur als Hate Speech [Hassrede; Anmerkung des Interviewers] bezeichnen kann. Die Wiederherstellung des Rechts auf Leben mit den Verbrechen der Taliban zu vergleichen, zeigt wie unseriös und tendenziös die Berichterstattung in Deutschland ist. Es ist ein Skandal, dass man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk so eine Hetze verbreiten darf. Leider ist er da nicht allein. In den deutschen Medien wurden auch die Anschläge von Pro-Choice-Sympathisanten kaum erwähnt.

Die deutsche Abtreibungsgesetzgebung ist sicherlich nicht perfekt, kann sie bei solch einem schwierigen und ethischen Thema auch nicht sein. Wäre Ihrer Meinung nach die deutsche Gesetzgebung dennoch ein guter Kompromiss für die USA?

Ich halte die deutsche Gesetzgebung für keinen guten Kompromiss. Es ist diskriminierend, dass in Deutschland ungeborene Kinder mit Behinderungen faktisch bis zur Geburt getötet werden können. Es ist schlicht nicht möglich, zwischen Leben und Tod einen Kompromiss zu finden.

Bei Präsident Joe Biden und den Demokraten sehe ich überhaupt kein Einlenken. Selbst bei Abtreibungen in späten Stadien, wo das Kind außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre, soll es keine Einschränkungen geben. Von dem Versprechen des Präsidenten, das Volk der USA zusammenzuführen, ist nichts geblieben. Er lässt sich da von den Pro-Choice-Hardlinern führen.

Die Bundesregierung hat den Paragraf 219a StGB, das Werbeverbot für Abtreibungen, aufgehoben. Befürchten Sie damit das Öffnen der Büchse der Pandora, sprich den Beginn einer in Deutschland ähnlich stark polarisierten und emotional geführten Debatte wie in den USA?

Die Büchse der Pandora ist schon längst geöffnet. Erschreckend ist nicht nur die jetzt freigegebene Werbung für die Tötung ungeborener Kinder, sondern auch die brutale Argumentation. Die Aufhebung des § 219a StGB war nur Mittel zum Zweck. Wer in der Debatte Familienministerin Lisa Paus gehört hat, weiß, dass sie eigentlich die völlige Freigabe der Abtreibung ohne jegliche Einschränkungen bis zur Geburt will. Und sie war in der Debatte nicht allein.

Von dem Druck, den Männer und Familienangehörige auf Frauen ausüben, ihr Kind abtreiben zu lassen, war nichts zu hören. Ebenso nicht von Hilfen für Frauen in Konfliktsituationen, von der Liebe zum Kind, verantwortungsbewusster Sexualität und Unterstützung von Frauen, die ihr Kind bekommen wollen. Damit beginnt nicht der Kulturkampf, sondern wir sind schon mittendrin: der Kampf der Kultur des Lebens gegen die Kultur des Todes. 

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


Hubert Hüppe ist seit 1974 Mitglied der CDU und seit 2021 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. In der aktuellen Legislaturperiode hat er den Vorsitz des Ausschusses für Gesundheit kommissarisch inne. Bereits von 1991 bis 2009 und von 2012 bis 2017 gehörte Hüppe dem Deutschen Bundestag an. Von 2009 bis 2013 amtierte er als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung. Hüppe engagiert sich in der Lebensrechtsbewegung und ist seit 1986 stellvertretender Bundesvorsitzender der Christdemokraten für das Leben. 2008 wurde Hüppe das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Weitere Informationen zu Hubert Hüppe gibt es auf seiner Website (Klick hier) und auf Facebook (Klick hier).

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Das Stimmungsbarometer 07/2022: US-Amerikaner haben kaum noch Vertrauen in den Supreme Court

„1600 Pennsylvania“ versorgt euch mit den aktuellsten repräsentativen Umfragen rund um
US-amerikanische Politik (Pfeil nach oben/unten: Wert ist zum Vormonat gestiegen/hat abgenommen). Quellen, falls nicht anders angegeben, sind die RCP-Durchschnittswerte.

 

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In der Krise entdeckt Biden einen anrüchigen Verbündeten neu

Als Supermacht haben die Vereinigten Staaten einen enormen Einfluss auf globale Entwicklungen sowie gegebenenfalls auf andere Länder. Weltweit gesehen nahmen die USA zuletzt bei der Herstellung und Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus eine Führungsrolle ein. Die Ukraine könnte sich, trotz heroischem Einsatzes, ohne US-amerikanische Militärhilfen kaum gegen die imperialistischen Bestrebungen Russlands zur Wehr setzen. 

Die USA besitzen auf Grund ihrer ökonomischen und militärischen Stärke über ein hohes weltweites Gestaltungspotential, im positiven wie im negativen Sinne – Stichwort Afghanistan – wohlgemerkt. Daran anschließend haben Politiker, die erstmals in das Amt des Präsidenten gewählt werden, in der Regel ihre ganz eigenen Idealvorstellungen einer US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Visionen werden durch Realpolitik eingetauscht

Entgegen der oftmals verbreiteten Meinung, dass US-Präsidenten die mächtigsten Personen der Welt seien, werden deren Visionen oftmals von den außenpolitischen Realitäten eingeholt. Der sich insbesondere nach innen gerichtete mitfühlende Konservatismus eines George W. Bush wurde durch die islamistischen Terroranschläge des 11. September 2001 zunichte gemacht. Kriege in Afghanistan und im Irak folgten. Barack Obama versuchte sich an einem Neustart der Beziehungen zu Russland, nur um während seiner zweiten Amtszeit die Annexion der ukrainischen Krim sowie weiterer ostukrainischer Gebiete durch Moskau erleben zu müssen.

Der amtierende Präsident Joe Biden wiederum plante den außen- und sicherheitspolitischen Fokus auf Asien, auf welchem das Hauptaugenmerk schon seit der Ära Obama gerichtet ist,  weiter zu intensivieren. Doch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine veranlasste die USA zu einem erneuten primären Engagement in Europa. Doch nicht nur das: Die energiepolitischen Folgen der russischen Aggression ließen die von Präsident Biden geplante Nahostpolitik zunichte machen. 

Biden wollte Saudi-Arabien zum Pariastaat machen

Als Reaktion auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul, Türkei, im Jahr 2018 wollte Präsident Biden das Königreich Saudi-Arabien ursprünglich zu einem „Pariastaat“, sprich zu einem von der Weltgemeinschaft geächteten, ausgeschlossenen Land, machen. „Kein Blankoscheck mehr für Saudi-Arabien“, so Bidens Leitmotiv. Der Geheimdienstbericht zum Mord an Khashoggi wurde infolgedessen ebenso veröffentlicht wie neue Sanktionen, unter anderem Einreiseverbote für 76 Personen, die Dissidenten im Ausland terrorisierten, verabschiedet.

Die mittlerweile seit 80 Jahren bestehenden strategischen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien haben einen Tiefpunkt erreicht. Dennoch reist Präsident Biden eineinhalb Jahre nach Amtsantritt, im Vergleich zu seinen beiden direkten Vorgängern ein sehr später Zeitpunkt, nach Saudi-Arabien. Kurz vor Reiseantritt relativierte der US-Präsident in einem Gastbeitrag für „The Washington Post“ sodann seine Positionen zum Königreich, in dem er von einer „Neuorientierung“ der Beziehungen und nicht von einem „Zerwürfnis“ schrieb.

Präsident Biden sucht, wie er auch in „The Washington Post“ ganz offen verlautbaren ließ, nach Antworten auf „Russlands Aggression“, aber auch um die bestmögliche Position im Wettstreit der Systeme mit der Volksrepublik China. Darin liegt Bidens diplomatische Offensive mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, dem mächtigsten Mann des Königreichs, zum jetzigen Zeitpunkt begründet.

Biden und der Westen benötigen billiges arabisches Erdöl

In Dschidda wird Präsident Biden insbesondere hinter den Kulissen für eine Ausweitung der Fördermenge von Erdöl werben, um zu versuchen, die gegenwärtig hohen Preise zu senken. Da Biden auch am Treffen des Golf-Kooperationsrats teilnimmt, kann der US-Präsident zudem auf weitere für die Energiepolitik bedeutende Länder, die Vereinigten Arabischen Emirat seien exemplarisch genannt, Einfluss nehmen. Die Aufrechterhaltung der Wasserstraßen für den globalen Handel, Stichwort gestörte Lieferketten, wird zudem auf der Tagesordnung stehen.

Zur Zielerreichung wird Präsident Biden versuchen müssen, mit dem globalen Einfluss der USA um die ölreichen Länder des Nahen Ostens zu werben. Angetrieben durch den enormen energiepolitischen Druck, ausgelöst durch den von Russland begonnenen größten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs, sieht sich Präsident Biden auf einmal in der Rolle des Vermittlers im Nahen Osten wieder. 

Präsident Biden will in Dschidda auch die Thematik der Überflugrechte für israelische Passagierflugzeuge über Saudi-Arabien ansprechen.

Paradoxerweise sieht sich Präsident Biden nun gezwungen die Nahostpolitik seines ungeliebten Vorgängers in großen Teilen fortzusetzen. Was mit den Abraham Verträgen, der Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan, begann, soll nun mit der Bildung neuer Koalitionen fortgesetzt werden.

Bidens Reise nach Saudi-Arabien wird infolgedessen mit einem wirkmächtigen Symbol beginnen: Biden wird nämlich als erster Präsident überhaupt direkt von Israel nach Dschidda fliegen. In der Entdeckung eines alten, aber anrüchigen Verbündeten versucht sich nun auch Präsident Biden in der Gestaltung der Zeitenwende im Nahen Osten. 

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Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Merrick Garland – Der Attorney General

Als zuletzt die Hälfte der US-Amerikaner Vertrauen in den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten hatten, war Präsident George W. Bush noch in seinem zweiten Amtsjahr. Seitdem ging es kontinuierlich bergab für das Ansehen des Supreme Court. Am Ende der Ära von Präsident Barack Obama hatten nur noch 36 Prozent der US-Amerikaner Vertrauen in die Judikative. Im Juni diesen Jahres fiel dieser Wert laut der jährlich durchgeführten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup auf nur noch 25 Prozent. 

Die Hauptschuld an dieser für den Zustand der US-amerikanischen Demokratie gefährlichen Entwicklung tragen die beiden großen Parteien, welche den Obersten Gerichtshof immer stärker ideologisieren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Mit Joe Biden und Donald Trump bezeichneten sogar die letzten beiden Präsidenten Entscheidungen des Supreme Court als „skandalös“. Die Parteiführer im U.S. Kongress unterminieren mit ihrer Arbeit im Hintergrund die eigentliche unabhängige Rolle der Judikative zudem. 

Perfektioniert hat dieses dunkle Spiel der Macht, welches schon nahezu an House of Cards erinnert, der republikanische Minderheitsführer im U.S. Senat, Mitch McConnell. Beispiel: Als im Februar 2016 der konservative Oberste Richter Antonin Scalia, verstarb, verweigerte der damals noch republikanisch dominierte U.S. Senat dem von Präsident Obama nominierten Merrick Garland das Votum. Die Begründung McConnells, der damals die Senatsmehrheit anführte: die im November anstehende Präsidentschaftswahl.

Gleichwohl es nicht ungewöhnlich ist, dass die konkurrierende Partei – sofern diese über die Senatsmehrheit verfügt – im Präsidentschaftswahljahr eine Nominierung für den Obersten Gerichtshof blockiert, lässt der mit neun Monaten vor der Wahl frühe Zeitpunkt und die Tatsache, dass es nicht einmal zu einer Anhörung kam, aufhorchen. Letztendlich ging es es McConnell darum, die Balance des Supreme Court zwischen Richtern, welche die Verfassung traditionell auslegen und Juristen mit einer moderneren Verfassungsauslegung kurzfristig zu wahren, um später den Obersten Gerichtshof bei weiteren Vakanzen im Sinne des Konservatismus zu stärken. 

14 Monate nach Scalias Ableben wurde letztendlich der von Präsident Trump nominierte Neil Gorsuch als Verfassungsrichter vereidigt. Dem seit dem Jahr 1997 am U.S. Court of Appeals for the District of Columbia Circuit amtierenden Richter Garland blieb folglich auch beim dritten Anlauf, schon in den Jahren 2009 und 2010 wurde er von Präsident Obama als Verfassungsrichter in Betracht gezogen, der Karriereschritt zum höchsten Gericht des Landes verwehrt. 

Das besonnene Auftreten und die Qualifikation des Harvard Law Absolventen blieb Joe Biden jedoch im Gedächtnis. Als neugewählter Präsident entschied sich Biden für Garland und gegen den als Favorit geltenden abgewählten U.S. Senator Doug Jones als Attorney General. Im politischen System der USA nimmt der Attorney General eine Zwitterstellung zwischen Justizminister und Generalstaatsanwalt ein. Für diese Position sollte Garland auch eine Mehrheit im U.S. Senat erhalten: Am 11.03.2021 bestätigten 70 U.S. Senatoren bei 30 Gegenstimmen die Personalie. 

Der im Jahr 1952 in Chicago, Illinois, geborene Garland wurde im Sinne des konservativen Judentums erzogen. Seine Wurzeln väterlicherseits liegen im zaristischen Russland. Aus dem Gebiet des heutigen Litauen und Polen emigrierten Garlands Großeltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegen des ansteigendem Antisemitismus in die USA. Seit 1987 ist Garland mit Lynn, dessen Großvater einst die US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman beriet, verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. 

Dem Amt des Attorney General versucht Merrick Garland nach der auch in diesem Gebiet herausfordernden Ära Trump wieder mehr politische Unabhängigkeit zu verleihen. Kein leichtes Unterfangen, wird sich Garland doch auch damit befassen müssen, ob der ehemalige Präsident Trump auf Grund dessen Rolle rund um die Stürmung des U.S. Kapitols angeklagt werden sollte. Ob Garland als Teil der Biden-Administration der Bevölkerung wieder mehr Vertrauen in die Judikative vermitteln kann?

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; The White House; Biden-Transition; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Auch Biden wagt das Durchbrechen des Teufelskreislaufs nicht

Das ist ein großer und skandalöser Justizirrtum. Das Volk der Vereinigten Staaten wurde betrogen und unser Land blamiert.

Das eine Ding, welches die Welt destabilisiert hat, ist das skandalöse Verhalten des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten.

Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen.

Dass Politiker ihr Bedauern über aus ihrer Sicht unerfreuliche Gerichtsurteile ausdrücken, ist verständlich und menschlich. Dass, wie in obigen Fällen, die Exekutive so offensiv die Judikative, welche in einer gesunden Demokratie eine unabhängige Gewalt darstellt, angreift, stellt jedoch einen ungeheuerlichen Vorgang dar. 

Die erste Stellungnahme stammt vom 45. US-Präsidenten Donald Trump. Auf Twitter kritisierte er einst den Supreme Court, da dieser eine Klage des Bundesstaates Texas gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 abwies. Zweites und drittes Statement wurde vom amtierenden Präsidenten Joe Biden bei einer Pressekonferenz zum Abschluss des NATO-Gipfels in Madrid beziehungsweise aus Washington D.C. geäußert. Bidens Aussagen bezogen sich auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Abtreibungsrecht in den USA, welcher den Bundesstaaten das Recht zur Verabschiedung eigener Gesetze zusprach.

Biden positioniert sich überraschend deutlich

Eigentlich wollte Biden das Land nach der turbulenten Ära Trump „heilen“. Doch von dieser Aufgabe hat sich der 46. US-Präsident offenbar endgültig verabschiedet, hat sich Biden doch an die Spitze der Bewegung für die Wahlfreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus gestellt. Das vom Supreme Court kassierte Urteil Roe vs. Wade will Präsident Biden gesetzlich verankern. Da dieses Vorhaben wahrscheinlich am Filibuster scheitern würde, ermunterte Biden den U.S. Senat sogar zur Änderung der Abstimmungsregeln.

Das Grundsatzurteil Roe vs. Wade des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1973 legalisierte landesweit Schwangerschaftsabbrüche bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus. Dies bedeutete explizit, dass Abtreibungen bis zur 23./24. Schwangerschaftswoche, sprich bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat, in jedem der 50 Bundesstaaten legal waren. 

Doch gegenwärtig gibt es für diesen umstrittenen Vorschlag keine Mehrheit im U.S. Senat, wie auch Präsident Biden anerkennen musste. Demokraten stellen derzeit nur 50 U.S. Senatoren. Zudem lehnen die moderaten demokratischen U.S. Senatoren Krysten Sinema und Joe Manchin eine Regeländerung weiterhin ab.

Unter einem Filibuster versteht man eine Dauerrede (oder gegebenenfalls dessen Androhung) im U.S. Senat zur Verhinderung/Verzögerung von Abstimmungen. Zur Beendung des Filibusters werden die Stimmen von 60 U.S. Senatoren benötigt.

Mit der Abschaffung des Filibusters sehen beide Demokraten die reale Gefahr, dass jeglicher Weg für eine überparteiliche Zusammenarbeit verbaut wäre. Zuletzt gab es beispielsweise einen Kompromiss bei der Verschärfung des Waffenrechts. Senator Manchin sieht im Filibuster gar eine Art der Demokratieverteidigung. Präsident Biden wischte derweil diese Bedenken beiseite und hat als Ziel ausgegeben zwei Senatssitze bei den Wahlen im November hinzugewinnen zu wollen, um die Regeländerung durchbringen zu können. 

Abtreibungsthema als Wählermobilisierung?

Präsident Biden hat sich folglich bei einem ethisch sensiblen Thema wie dem Abtreibungsrecht eindeutig auf eine Seite gestellt. Zwei Gründe waren hierfür sicherlich ausschlaggebend: Einerseits wird Präsident Biden von der eigenen Partei bei dieser Thematik vor sich hergetrieben. Zuletzt wurde von Parteikollegen gar der Druck auf Präsident Biden erhöht, sich auf Grund seines Alters und seines bisherigen unpopulären Auftretens nicht zur Wiederwahl zu stellen. Eine weitere offene Flanke kann sich Präsident Biden innerparteilich schlichtweg nicht erlauben.

Andererseits wird im November ein neuer U.S. Kongress gewählt und bisherige Umfragen sehen wenig vielversprechend für die Demokratische Partei aus. Demokraten erhoffen sich durch das Abtreibungsthema eine Mobilisierung ihrer Kernwählerschaft. Für den Großteil der US-Amerikaner dürften jedoch Themen wie Inflationsbekämpfung und Wirtschaftspolitik von größerer Bedeutung sein. Zumal die Bevölkerung in Bezug auf die Abtreibungsthematik seit Jahrzehnten konstant gespalten ist. 

45 Prozent der US-Amerikaner befürworten das Urteil des Supreme Court zu Abtreibungen, 55 Prozent lehnen die Entscheidung ab. (Harvard CAPS-Harris)

Laut der jährlich durchgeführten repräsentativen Umfrage von Gallup identifizieren sich 49 Prozent der US-Amerikaner als „Pro-Choice“ (Abtreibungsbefürworter) und 47 Prozent der Bevölkerung als „Pro-Life“ (Lebensschützer). Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Mehrheit der US-Amerikaner nicht zu Maximalforderungen wie vollkommene Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder eines generellen Abtreibungsverbots hingezogen fühlt.

Biden wäre prädestiniert für Mittelweg gewesen

Präsident Biden hätte den Teufelskreis der Polarisierung bei dieser Thematik durchbrechen und sich für einen Mittelweg, den die Mehrheit der US-Amerikaner vorgibt, entscheiden können. Mit seinem bisherigen Werdegang wäre der Katholik Biden, dem auf Grund seiner heutigen Abtreibungsposition sogar schon die Kommunion verweigert wurde, prädestiniert gewesen. Im Verlauf seiner politischen Karriere mutierte Biden nämlich vom Lebensschützer zum (auf Grund des Drucks seiner immer progressiver werdenden Partei?) Abtreibungsbefürworter.

Als neugewählter U.S. Senator vertrat Biden 1973 noch die Auffassung, dass der Supreme Court mit seinem Urteil im Fall Roe vs. Wade zu weit ging. 1982 stimmte der damalige U.S. Senator für einen Verfassungszusatz, welcher das Grundsatzurteil umgehen und den Bundesstaaten das Recht zur Beschränkung der Abtreibungsbestimmungen gegeben hätte. Vor vierzig Jahren scheiterte dieses Vorhaben, das diesjährige Urteil des Obersten Gerichtshofs setzt dies aber nun de facto so um. Heute beschreibt Biden eben dies, und damit sein jüngeres Ich, als die „Verwirklichung einer extremen Ideologie“.

Man braucht jedoch gar nicht so weit zurückzugehen, um Bidens einstigen Einsatz für den Lebensschutz zu unterstreichen. Noch im März 2006 vertrat Biden, auch damals noch als U.S. Senator, seine Pro-Life-Einstellung im Interview mit „Texas Monthly“:

Ich sehe Abtreibung nicht als eine Möglichkeit oder als ein Recht. Ich denke, dass es immer eine Tragödie ist. (…) Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir die Anzahl an Abtreibungen vermindern. 

Der Wandel des Joe Biden

Ein Jahr später relativierte Biden erstmals seine jahrzehntelange Position zum Abtreibungsrecht. Im Angesicht seines zweiten Anlaufes auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur sah sich Biden offenbar auf Grund des progressiven Kandidaten Barack Obama und der Feministin Hillary Clinton gezwungen, Roe vs. Wade als den „wohl bestmöglichen Kompromiss zwischen Glaube und Freiheit bei einer schwierigen moralischen Frage“ anzusehen. Eine staatliche Finanzierung von Abtreibungen lehnte Biden jedoch weiterhin ab. Bidens Kandidatur scheiterte, zum Vizepräsidentschaftskandidaten wurde er jedoch vom späteren Präsidenten Obama auserkoren.

Als Präsident mimt Biden auf einmal den Vorkämpfer der Abtreibungsbefürworter. Neben der gesetzlichen Verankerung von Roe vs. Wade will Präsident Biden sicherstellen, dass Frauen Zugang zu chemischen Abtreibungspräparaten, zum Beispiel durch Versand, haben. Des Weiteren setzt sich der Präsident für Reisen von Frauen in andere Staaten, in denen Abtreibungen weiterhin liberal(er) gehandhabt werden, ein. Bidens grundlegender Wandel wird derweil von der Republikanischen Partei erfreut für Werbezwecke ausgenutzt (siehe untenstehendes Video).

Die Prophezeiung von Obama, dass Biden der „progressivste Präsident aller Zeiten“ werden würde, bewahrheitet sich infolgedessen schrittweise. Insbesondere bei solch einem ethisch sensiblen Thema wie der Abtreibungsgesetzgebung hätte Präsident Biden die USA jedoch in der politischen und gesellschaftlichen Mitte zusammenführen können. Eine allgemeine Liberalisierung des Abtreibungsrechts bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat ist ebenso wenig fortschrittlich wie ein generelles Abtreibungsverbot. Doch auch im fortgeschrittenen Alter scheinen Biden Partei und Wahlsiege bedeutender zu sein als die Heilung eines gespaltenen Landes.

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Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.