Als die Russische Föderation am 24.02.2022 seine vollumfängliche Invasion der Ukraine begann, hatte der ukrainische Präsident Volodymir Zelensky die wohl wichtigste Entscheidung seines Lebens zu treffen: Soll er in der Hauptstadt Kyiv bleiben und als Oberbefehlshaber den damals von der öffentlichen Meinung als aussichtslos beschriebenen Verteidigungskampf gegen die russische Übermacht anführen? Oder soll er dem „Vorbild“ des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani, der sein Land im August 2021 kurz vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul verließ, folgen?
Ein selbstloser Präsident als Vorbild
Welchen Weg Präsident Zelensky wählen würde, war frühzeitig klar. Wenige Stunden nach Kriegsbeginn richtete Präsident Zelensky nämlich in einer Videobotschaft aus dem Regierungsviertel erste Worte an sein Volk. Er entschied sich, wie seine Regierungsmannschaft, zu bleiben, Verantwortung zu übernehmen, den Kampf anzunehmen. Präsident Zelensky mutierte mit seiner Entscheidung das „Wir“ vor das „Ich“ zu stellen zu einem Vorbild für seine Landsleute. Der Startschuss für einen heroischen Kampf gegen die russischen Aggressoren wurde gegeben.
Am dritten Kriegstag, Russland marschierte unaufhörlich gen Kyiv, boten die USA Präsident Zelensky an, ihn und seine Familie in Sicherheit zu bringen. Er lehnte mit den mittlerweile legendären Worten, dass er „Munition, keine Mitfahrgelegenheit“ benötige, ab. Die Munition wurde geliefert – und mit ihr weitere militärische Ausstattung sowie humanitäre Hilfen aus der freien, westlichen Welt. Auch zwei Jahre nach Beginn des größten Angriffskriegs auf europäischem Boden verteidigt sich die Ukraine tapfer gegen die russischen Aggressoren, die zu Beginn des Jahres 2024 ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzen.
Westliche Waffenlieferungen als Treibstoff für ukrainische Kämpfer
Nach zwei Jahren Krieg hat die Ukraine einige Erfolge zu verbuchen. Das Land ist weiterhin souverän. Die russischen Truppen wurden kurz vor Kyiv zurückgeschlagen, der Oblast Charkiw im Nordosten des Landes wurde ebenso weitestgehend befreit wie die Großstadt Kherson im Süden. Zu einem weiteren Erfolg der Ukraine gehört die Auflösung der russischen Blockade ukrainischer Häfen am Schwarzen Meer. Um die russischen Angreifer jedoch komplett aus dem Land drängen zu können, würde die Ukraine die Lieferung schwerer Waffen und eine bessere Luftunterstützung benötigen. Dies alles müsste zudem schneller geschehen als dies bei bisherigen Waffenlieferungen der Fall war. Gleiches gilt für die Lieferung von Munition, welche den Ukrainern zur Selbstverteidigung langsam ausgeht.
Doch während sich West-Europa weiterhin von einem naiven Russland-Bild leiten lässt und dementsprechend wenig Eigenverantwortung in Bezug auf die Stärkung des eigenen Militärs und bezüglich eigener Waffenlieferungen an die Ukraine an den Tag legt, sind auch die bereits bewilligten Hilfen aus den USA mittlerweile aufgebraucht. Zwar hat Präsident Joe Biden für das Haushaltsjahr 2024 ein Gesamtpaket von $ 105 Milliarden für die Ukraine, Israel, Taiwan sowie für die Grenzsicherung beim U.S. Kongress angefragt. Aus diesem Paket sollen $ 61,4 Milliarden für die Ukraine verwendet werden. Doch die Verbindung der Hilfen für befreundete Staaten mit der Migrationspolitik könnte jetzt der Ukraine zum Verhängnis werden.
Weitere US-Hilfen für die Ukraine hängen von der Migrationspolitik ab
Denn Demokraten und Republikaner können sich nicht auf die explizite Verwendung der vorgesehenen Mittel für die Grenzsicherung, explizit sind von $ 14 Milliarden die Rede, einigen. Überraschend kommt dies nicht, versuchen sich Politiker am Capitol Hill doch schon seit Jahrzehnten an einer umfassenden Reform des Einwanderungsrechts und des Grenzschutzes – und scheiterten jedesmal ob unterschiedlicher politischer Einstellungen diesbezüglich.
63% der US-Amerikaner fordern ein strikteres Vorgehen der Behörden gegenüber illegalen Einwanderern.
Quelle: Repräsentative Umfrage von CBS News.
Lediglich in der Notwendigkeit einer Reform sind sich Politiker beider Parteien einig. Bei geschätzten drei Millionen illegalen Grenzübertritten im Jahr 2023 ist dies wenig verwunderlich. Im Dezember 2023 registrierte die US-Grenzschutzbehörde mit über 300.000 illegalen Einreisen sogar so viele gesetzeswidrige Grenzübertritte wie noch nie in einem Monat in der Geschichte des Landes. Folgerichtig ist die Migrationspolitik eines der wichtigsten Themen im Präsidentschaftswahlkampf.
Republikaner stehen vor einem Dilemma
Donald Trump, der wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei, sieht darin, wie schon 2016, ein erfolgsversprechendes Wahlkampfthema. Doch wäre dieses nur noch von Belang, wenn es keinen Kompromiss zur Migrationspolitik in Washington D.C. geben würde. Infolgedessen übt Trump Druck auf republikanische Kongressabgeordnete aus, damit diese unter keinen Umständen einem Kompromiss zustimmen (der linke Flügel der Demokratischen Partei lehnt, aus eigenen ideologischen Gründen, ebenso einen Kompromiss ab). Doch ohne Migrationskompromiss, siehe oben, keine weiteren US-Hilfen für die Ukraine.
Mitch McConnell, republikanischer Minderheitsführer im U.S. Senat und Befürworter weiterer Hilfen für die Ukraine, hat nach den ersten beiden siegreichen Vorwahlen für Trump die neue Lage in seiner eigenen Partei erkannt und bezeichnete die beschriebene Situation als ein Dilemma. Einerseits steht McConnell und die Mehrheit seiner Partei für weitere Ukraine-Hilfen. Andererseits will man dem wahrscheinlichen eigenen Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf nicht schaden, indem man ein erfolgsversprechendes Thema abräumt.
Wiederwahlinteresse steht über allem
Entgegen der Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Zelensky zu Kriegsbeginn, sein Land nicht zu verlassen und den Kampf gegen die russischen Invasoren anzuführen, ist die politische Elite der Vereinigten Staaten von Amerika doch zunächst sich selbst am nächsten. Ein Alleinstellungsmerkmal der Republikaner ist dies jedoch keineswegs wie zuletzt der Kurswechsel von Präsident Biden in der Nahostpolitik unterstrich.
Nachdem die Umfragewerte von Präsident Biden bei jungen, linksliberalen und pro-palästinensischen US-Amerikanern wegen dessen Israel-freundlicher Politik einbrachen, übte der Hausherr der 1600 Pennsylvania Avenue nämlich vermehrt Druck auf die Verantwortlichen in Israel aus, sich bei der Militäroperation gegen die islamistische Terrororganisation Hamas zu mäßigen. Die humanitäre Situation der Palästinenser thematisierte Präsident Biden zudem verstärkt. Schließlich soll eine Wahl gewonnen, eine wichtige Wählergruppe nicht vergrault werden, auch wenn so manche politische Statements und Entscheidungen der eigenen Einstellung, Präsident Biden ist Zeit seines Lebens überzeugter Zionist, widersprechen.
Plan B zur Verabschiedung weiterer US-Hilfen für die Ukraine?
McConnell versucht indes seine Partei aus dem „Dilemma“ herauszuführen, indem ein Plan B für weitere US-Hilfen für die Ukraine ausgearbeitet werden soll. In Gesprächen mit dem demokratischen Mehrheitsführer Chuck Schumer wurde schon darüber diskutiert, ob die Hilfen nicht aus dem von Präsident Biden angefragten Gesamtpaket herausgetrennt, einzeln behandelt werden könnten.
Ebenso würde es die Möglichkeit geben die Ukraine-Hilfen in den Haushaltsplan 2024 einzugliedern. Eigentlich hätte der Haushalt schon im Oktober vergangenen Jahres verabschiedet werden müssen, doch auch hier gab es keine Einigung zwischen den Parteien. Bis Anfang März hält nun ein Übergangshaushalt die Regierungsgeschäfte am laufen, bis dahin sollte eine Einigung im Haushaltsstreit, womöglich inklusive neuer Hilfen für die Ukraine, erzielt werden.
US-Hilfen für die Ukraine als Konjunkturpaket für die USA
Die Verabschiedung weiterer US-Hilfen für die Ukraine wäre übrigens auch im Eigeninteresse der USA und deren politisch Verantwortlichen. Mit diesem Geld der Steuerzahler werden nämlich primär Arbeitsplätze in den USA geschaffen. Durch bisherige Unterstützungsleistungen für die Ukraine wurden laut dem Online-Nachrichtenmagazin POLITICO unteren anderem in Firmen der Militärindustrie in den Bundesstaaten Arizona $ 1,978 Milliarden, in Pennsylvania $ 1,964 Milliarden, in Wisconsin $ 1,021 Milliarden sowie in Florida und Texas jeweils eine knappe $ Milliarde investiert.
Eine Investition, die nicht nur dem angegriffenen Land der Ukraine und der US-amerikanischen Wirtschaft zugutekommt. Weitere US-Hilfen für die Ukraine minimieren auch die Wahrscheinlichkeit, dass US-amerikanische Soldaten in einen Krieg geschickt werden müssten. Eine Investition, in der das „Wir“ des freien Westens ebenso profitiert wie das „Ich“ der von Wahlen abhängigen Politiker. Doch ob dieser idealistische Gedanke in einer Welt, in der das „Ich“ allzu oft vor dem „Wir“ steht, auch praktisch umgesetzt werden kann?
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