HIGH-FIVE mit Jakob Wöllenstein: „USA haben große Bandbreite an Möglichkeiten zur Unterstützung des belarusischen Volkes“

Die Welt schaut in diesen Tagen nach Afghanistan. Die radikalislamischen Taliban haben das Land nach zwanzig Jahren zurückerobert, der Rückzug westlicher Truppen unter Führung von US-Präsident Joe Biden ist zum Fiasko geraten. Andere Krisen rücken vor diesem Hintergrund freilich zunächst wieder in den Hintergrund.

Vor einem Jahr stand das belarusische Volk beispielsweise gegen ihren Diktator Alexander Lukashenko auf, der mit massiven Repressionen antwortete. Mit Jakob Wöllenstein, Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz im litauischen Vilnius, sprach „1600 Pennsylvania“, um eine aktuelle Lageeinschätzung zu bekommen sowie die Rolle der USA einzuordnen. 

Im vergangenen Jahr wurde in der Republik Belarus eine Präsidentschaftswahl abgehalten, die einmal mehr gefälscht wurde. Die teilnehmerstärksten und am längsten andauernden Demonstrationen in der Geschichte des Landes folgten. Lukashenko reagierte mit massiver Gewalt und willkürlichen Verhaftungen. Die Repressionsspirale dreht sich seitdem unentwegt weiter. Wie sieht die Situation für Belarusen, die gegen Lukashenko auf die Straße gingen, heute, ein Jahr später, aus?

Ein Jahr nach der gefälschten Wahl ist Belarus kaum noch wiederzuerkennen – vor allem im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren, als sich das Land im Inneren einige Räume gesellschaftlicher und unternehmerischer Freiheit eröffnete und seine Außenpolitik diversifizierte, auch mit dem Ziel pragmatisch-guter Beziehungen mit dem Westen inklusive, wenn nicht allen voran, den USA.

Schon während allerdings die Demonstrationen letzten Herbst noch allwöchentlich die Zentralstraßen von Minsk und vielen Provinzstädten in Belarus sowie die Hauptnachrichten rund um den Globus füllten, wiesen Analysten daraufhin, dass trotz des beeindruckenden und bewegenden Ausdrucks friedlichen Widerstands eine Strategie und politische Führerschaft nötig sei, um der bei der Wahl betrogenen Mehrheit zu ihrem Recht zu verhelfen und einen Machtwechsel einzuleiten. Andernfalls würde das Regime mit allen seinen Mitteln zurückschlagen und all diejenigen bestrafen, die es wagten, sie offen „aufzulehnen“.

Die düstere Prophezeiung sollte wahr werden. Nachdem es Lukashenko mit Hilfe seiner Sicherheitskräfte und politischer sowie finanzieller Hilfe Russlands gelungen war, die Proteste von der Straße zu drängen, indem wichtige Anführer und viele Aktivisten das Land verlassen mussten oder ins Gefängnis kamen und der Rest eingeschüchtert wurde, begann im Sommer 2021 eine neue Phase. Nun werden nicht nur Oppositionelle, sondern allgemein die unabhängige Zivilgesellschaft in die Zange genommen.

Dutzende NGOs aus allen möglichen Bereichen, von Menschenrechtsbeobachtern bis hin zu Umweltvereinen, wurden geschlossen, hunderte könnten folgen. Die unabhängigen Medien stehen besonders im Fokus der Repression, sodass freie Berichterstattung über die Vorgänge in Belarus nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Die Unzufriedenheit des letzten Jahres ist dadurch zwar aus dem Blickfeld, nicht aber in der Sache verschwunden. Doch während es immer gefährlich wird, Dissens auszudrücken, auch innerhalb des Systems und selbst bei Sachfragen, wächst auch innerhalb der Gesellschaft die Polarisierung.

Die auf Grund der Verhaftung ihres Mannes ungewollt in die Rolle der (ehemaligen) Präsidentschaftskandidatin geschlüpfte und bekannteste Oppositionelle Svetlana Tsikhanouskaya befindet sich im litauischen Exil. Seitdem ersucht Tsikhanouskaya die Regierungen westlicher Länder um Hilfe im Kampf gegen Lukashenko. Wie erfolgreich ist sie in ihrem Bestreben der Bildung einer Koalition gegen den Diktator?

Innerhalb des vergangenen Jahres hat Tsikhanouskaya auf ihren internationalen Reisen, vor allem durch die „westliche Welt“, 31 Staats- und Regierungschefs sowie zahllose Spitzenpolitiker getroffen, darunter Angela Merkel, Boris Johnson, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron und zuletzt Joe Biden. In derselben Zeit traf Lukashenko lediglich die politischen Führer Russlands, Tadschikistans und Aserbaidschans.

Das Ziel, Lukashenko und sein Regime international zu isolieren und stattdessen sichtbare Unterstützung für die demokratischen Kräften einzuwerben, gelingt ihr und ihrem Team somit bislang gut – viele Staaten wie auch die EU erkennen den „letzten Diktator Europas“ nicht mehr als legitimen Präsidenten an und zeigen in Worten und Taten Solidarität für die Zivilgesellschaft und politische Gefangene.

Insbesondere nach der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine im Mai waren die Reaktionen des Westens schnell und deutlich. Die Europäische Union und die USA, aber auch etwa Kanada, Großbritannien und die Ukraine haben ähnliche Sanktionspakete wie auch Hilfspakete für die Zivilgesellschaft geschlossen, die sich auch explizit aufeinander beziehen. Insofern kann durchaus von einer breiten Koalition gesprochen werden.

Doch auch wenn Initiativen aus der belarusischen Demokratiebewegung eine wichtige Rolle dabei zukommt, etwa Belege von Verbrechen und Namen für Sanktionslisten zu sammeln, so leistet doch auch Lukashenkos Handeln selbst einen ganz entscheidenden Beitrag darin, die Sanktionen gegen sein Regime voranzutreiben. Der Ryanair-Fall wurde bereits genannt, ebenso scheint wahrscheinlich, dass die Instrumentalisierung von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten zur Schürung einer Grenzkrise mit Litauen zu neuen Sanktionen führen könnte.

Doch wenngleich die Zahl der besuchten Staats- und Regierungschefs beeindruckt, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tsikhanouskaya für den Kreml ein rotes Tuch ist. Angesichts des hohen und zuletzt auch deutlich gewachsenen Einflusses, den Russland in Belarus ausübt, wird jedoch eine Lösung aus der Krise kaum zu erreichen sein, wenn Russland dieser nicht – mindestens stillschweigend – zustimmt.

Zuletzt besuchte Tsikhanouskaya die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort traf sie unter anderem auf Außenminister Antony Blinken, den Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan und Präsident Joe Biden. Wie können die USA dem unterdrückten belarusischen Volk explizit helfen?

Prinzipiell ist die Bandbreite an Möglichkeiten zur Unterstützung sehr groß und reicht von Förderprogrammen für die Zivilgesellschaft und freien Medien über Stipendien und Trainings für Aktivisten bis hin zu humanitärer Hilfe für Opfer der Gewalt des Regimes. In der jetzigen Lage kommt den Gruppen im Exil eine besondere Rolle zu, da sie wesentlich mehr Möglichkeiten haben, sich frei zu organisieren. Dies könnte womöglich über Jahre nötig werden und eine entsprechende Unterstützung kann dabei helfen, dass die Exilierten ihre Arbeit fortzusetzen im Stande sind. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass letztlich entscheidend ist, was in Belarus selbst passiert.

Im Gespräch mit Außenminister Blinken forderte Tsikhanouskaya die USA auf, Russland darum zu bitten, eine konstruktive Rolle bei der Lösung der Krise zu spielen. Handelt es sich hierbei nicht um einen naiven Gedanken, dass Washington einen ernsthaften Einfluss auf Moskaus geopolitische Interessen hätte?

Die Vereinigten Staaten spielen als die führende (Militär-)Macht der Welt im Denken des Kreml eine kaum zu unterschätzende Rolle. Einerseits werden sie in den Staatsmedien als dekadent und im Niedergang begriffen abgewertet, andererseits gibt es eine tiefe Sehnsucht danach, mit den USA weltpolitisch auf Augenhöhe zu spielen, wie man es zu Zeiten des Kalten Krieges tat.

Nicht selten wurde die aggressivere außenpolitische Gangart Putins mit der als tiefe Kränkung empfundene Aussage Obamas vom Jahr 2008 in Verbindung gebracht, als er sagte, Russland sei lediglich eine „Regionalmacht“. Die EU hingegen wird in Moskau als Machtblock deutlich weniger ernst genommen.

Doch ist die Frage, wie Washington das Ernst-genommen-werden im Fall von Belarus politisch nutzen kann. Die Ausrufung einer neuen „Jalta-Konferenz“, wie sie sich mancher in Moskau bereits zur Zeit der Krim-Krise wünschte, um unter gleichberechtigten Großmächten jeweilige „Einflusssphären“ abzustecken, scheidet jedenfalls aus. Ein solcher Ansatz widerspräche fundamental dem Recht auf freie Bündniswahl, wie es etwa in der Charta von Paris auch für Belarus fixiert wurde.

Die amerikanische Politik sollte daher einerseits klarmachen, dass sie nicht vom Prinzip abrücken wird, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Andererseits sollten sie die Sorgen der russischen Seite ernst nehmen und versuchen, diese abzubauen. Immer wieder betont Moskau etwa, dass es sich durch das Vorrücken der NATO an seine Grenze bedroht sieht und in mehreren postsowjetischen Staaten unterstützt es direkt oder indirekt territoriale Konflikte, um seinen politischen Einfluss zu sichern und deren innen- wie außenpolitischen „Gang nach Westen“ zu unterbinden. 

Lukashenko wurde in Moskau als eine Garantie dafür wahrgenommen, dass sich Belarus nicht auf Westkurs begeben würde, da mit ihm letztlich immer die Frage nach Demokratie und Menschenrechten ein Hindernis bleiben würde. Bei einem Machtwechsel in Minsk stellt sich aus Moskauer Sicht die Frage, wie die eigenen Interessen gewahrt werden können. Eine Mehrheit der Belarusen wünscht sich Umfragen zufolge, dass ihr Land geopolitisch eine neutrale Position einnimmt, wie es auch die Verfassung vorsieht. In direkten Gesprächen zwischen Moskau und Washington könnte es Thema sein, wie diese Neutralität von beiden Seiten garantiert werden kann. Dies wäre eine wichtige Voraussetzung, um den Weg zu einem friedlichen Machtwechsel in Belarus zu ebnen.

Vielen Dank für das Interview. 

Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.


Jakob Wöllenstein ist Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Vilnius, Litauen. Wöllenstein vermittelt politische Bildung unter anderem per Rap, wie im obigen Video zu sehen ist. Er informiert (klick hier) ebenso wie die KAS Belarus (klick hier) auf Twitter über die Lage in Belarus. Auf der Website der Stiftung finden sich des Weiteren lesenswerte Analysen (klick hier). Auf dem YouTube-Kanal der KAS Belarus gibt es zudem sehenswerte Videos (klick hier).

Bildquellen: Konrad-Adenauer-Stiftung; Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com

Die Buchbesprechung: 77 Tage. Amerika am Abgrund (Michael Wolff)

Eine jede US-Präsidentschaftswahl wird alle vier Jahre am Dienstag nach dem ersten Montag im November abgehalten. Wenige Wochen später treffen sich die Wahlmänner in ihren jeweiligen Bundesstaaten, um anhand des Wahlergebnisses ihre Stimmen abzugeben. Anfang Januar werden diese vom U.S. Kongress ausgezählt und das Ergebnis vom Vizepräsidenten offiziell verkündet. Am 20. Januar wird sodann der gewählte Präsident in das Amt eingeführt. 

Ein Vorgang, der zwischen der Wahl und der Inauguration ein traditionell unaufgeregter, ja regelrechter langweiliger Prozess ist. Lediglich politische Insider interessieren sich hierfür tiefergehend. Doch die Präsidentschaftswahl 2020 sollte mit dieser Regel brechen. Der Abschied von Donald Trump aus dem Weißen Haus war verbunden mit der dunkelsten Periode in der Demokratiegeschichte des Landes. 

77 Tage hielten die USA und die Welt den Atem an. Doch die US-Demokratie erwies sich trotz Wahlanfechtungen, mangelndem Eingeständnis des Wahlverlierers und Sturm auf das Kapitol als standfest. Der renommierte US-amerikanische Journalist Michael Wolff nimmt seine Leserschaft in seinem gleichnamigen Werk „77 Tage. Amerika am Abgrund: Das Ende von Trumps Amtszeit“ auf einen rasanten Ritt durch die letzten Tage der Präsidentschaft Trumps. 

Durch zahlreiche Interviews mit Mitarbeitern des Weißen Hauses, Trumps Wahlkampfteam sowie dem 45. Präsidenten selbst, erarbeitete sich Wolff ein starkes Insiderwissen, so dass er die Ereignisse detailliert aufarbeiten konnte. Das in der deutschsprachigen Ausgabe im Rowohlt Verlag erschienene Werk liest sich nahezu wie ein Roman, so surreal ist der Plot, so gut lässt Wolff die Akteure aufleben.

Insbesondere die Rolle von Trumps Anwalt Rudy Giuliani, der die Wahlanfechtung bis zuletzt vorantrieb, lässt die Leserschaft fassungslos zurück. Wolff arbeitet zudem die Spaltung im Weißen Haus zwischen Realisten, die ihre Zeit nach Trumps Präsidentschaft vorbereiteten, und Trumpisten, welche sich mit der Wahlniederlage nicht zufrieden geben wollten, gekonnt heraus.

Für ein Sachbuch als negativen Aspekt muss jedoch die Tatsache gewertet werden, dass Wolff oftmals den nötigen Abstand zu den Akteuren vermissen lässt. Wolffs Abneigung gegenüber Trump und Giuliani wird überdeutlich preisgegeben, so dass eine möglichst objektive Aufarbeitung der, freilich für die US-Geschichte sehr emotionalen, Ereignisse nicht vorhanden ist.

Insgesamt gibt das 416 Seiten starke Buch einen guten Einblick in die Geschehnisse des Machttransfers von Präsident Trump zu Joe Biden. Um sich jedoch eine vollumfängliche Meinung bilden zu können, sollten noch weitere Werke zum Thema herangezogen werden. 

Vielen Dank an den Rowohlt Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.  Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).

Die offizielle Buchbeschreibung
Michael Wolff beschrieb in seinem Bestseller «Feuer und Zorn» die ersten fiebrigen Monate der Trump-Regierung. Nun haben sich ihm wieder hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses anvertraut: Wolff liefert eine aktuelle Darstellung der letzten Wochen von Trumps Präsidentschaft und der Versuche des Präsidenten und seines Umfelds, das Wahlergebnis vom November 2020 auf jedem nur denkbaren Weg zu korrigieren. Er schreibt über den Wahn eines Verlierers, den Kampf der Anwälte um Rudy Giuliani, den Angriff aufs Kapitol und über das endgültige Ende einer denkwürdigen und gefährlichen Regierungszeit – und interviewt schließlich Trump selbst in Mar-a-Lago. Michael Wolffs Buch schildert von Tag zu Tag, aus erster Hand, jene dramatische Zeit, in der die amerikanische Demokratie auf der Kippe stand.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com; eigene Grafiken; Rowohlt Verlag

Kekse und Gas

Als die belarusische Oppositionelle Svetlana Tsikhanouskaya Ende Juli 2021 das Weiße Haus betrat, um mit dem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan die politische Situation in ihrem Heimatland zu besprechen, hatte sie nur eine kleine Hoffnung, auch auf Präsident Joe Biden zu treffen. Doch der mächtigste Mann der Welt stattete der Gesprächsrunde einen überraschenden zehnminütigen Freundlichkeitsbesuch ab und überbrachte zur Stärkung, wie Tsikhanouskaya später mitteilte, Kekse mit.

Bei diesen Gesprächen versicherten die USA, wie so viele westliche Länder zuvor, ihre vollste Solidarität mit dem belarusischen Volk, welches seit 27 Jahren von Alexander Lukashenko, der eine sowjetisch-nostalgische Diktatur aufbaute, unterdrückt wird.

„Lukashenko hau ab!“

Vor einem Jahr, am 09. August 2020, ließ Lukashenko eine Präsidentschaftswahl abhalten, die wie alle anderen „Wahlen“ zuvor  in der Ära des ehemaligen Kolchosedirektors massiv gefälscht wurde. Es folgten die größten und am längsten andauernden landesweiten Massenproteste seit Ende der Sowjetunion. Emotionen und Leidenschaft führten jedoch nicht zum gewünschten Erfolg: Zu stark die Repressionen, zu naiv und politisch unerfahren die Gruppe um Tsikhanouskaya, die nach der Verhaftung ihres Mannes und anderer „Kandidaten“ ungewollt in die Rolle der Oppositionsführerin schlüpfte.

Dabei handelte es sich primär um Demonstrationen gegen den amtierenden Präsidenten Lukashenko. Um die Installierung einer liberalen Demokratie nach (west-)europäischem Vorbild, wie einige Medien später behaupten sollten, ging es nicht. Die Proteste schwollen so stark an, weil Lukashenko im „Wahljahr“ einmal nicht so tat, als würde er sich um sein Volk kümmern. Die weltweite Coronavirus-Pandemie nahm er, übrigens bis heute nicht, ernst. Bei der Pandemie handele es sich lediglich um eine Psychose, so Lukashenko.

Ein Verhalten, welches als Brandbeschleuniger für die Demonstrationen gegen die gefälschte „Wahl“ ebenso dienen sollte wie die Verkündung eines viel zu hohen „Wahl“sieges für den Amtsinhaber. Die Massenproteste wurden von der Staatsgewalt, wie schon 2017 und 2010, als sich eine quantitativ kleinere Anzahl von Belarusen gegen Lukashenko erhob, brutal niedergeschlagen. Mehr als 40.000 willkürliche Verhaftungen folgten bis zum heutigen Tag, viele Gefangene wurden und werden gefoltert, teils sogar vergewaltigt. Mehr als 600 politische Gefangene sitzen laut der Menschenrechtsorganisation Viasna gegenwärtig in Haft.

Lukashenkos Anti-Nationalismus

Ein Jahr nach den Protesten: Belarusische Ornamente wurden von den Behörden, wie hier in Minsk, weitestgehend unkenntlich gemacht.

Als Lukashenko im Jahr 1994 erstmals seinen Amtseid leistete, tat er dies vor der Flagge des unabhängigen Belarus, die erstmals im Jahr 1918 seine Verwendung fand. Doch Lukashenko versuchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit jedes aufkeimende Nationalbewusstsein im Keim zu ersticken. Die weiß-rot-weiße Flagge sowie das Symbol des weißen Ritters auf einem Pferd auf rotem Grund, welche auf das Großherzogtum zwischen Litauen und Belarus zurückgeht, wurden verboten und durch eine modifizierte Flagge und durch ein modifiziertes Wappen der eigentlich untergegangenen Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik ersetzt. Lukashenko ließ die Sowjetunion im Kleinformat wieder aufleben.

Seit dem vergangenen Jahr erlebt die weiß-rot-weiße Farbkombination durch den Volksaufstand eine Wiederbelebung. Die Staatsmacht geht jedoch strikt dagegen vor. Wer im Jahr 2021 ein weiß-rot-weißes Blumenbeet im Garten hat, ist vor einer Verhaftung nicht gefeit. Das Tragen von weißen Nikes mit einem roten Swoosh: Ein gefährliches Unterfangen.

Normalisierungsphase nicht genutzt

Auch Herzen in den Nationalfarben auf den Straßen von Minsk wurden von den Behörden übermalt.

Doch dies war nicht immer so. Nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 öffnete sich Lukashenko einer moderaten Ausbildung eines belarusischen Nationalismus. Selbst Kurse im Belarusischen, der Sprache der Opposition und der „ungebildeten Landbevölkerung“, wie es die Staatsmacht darstellt, wurden vermehrt geduldet. Minsk wollte sich mit dieser Strategie von Moskau abgrenzen, sprach der Kreml doch davon, für alle russischsprachigen Völker Verantwortung zu tragen.

Im Sommer 2019 erlebten Belarusen die vergleichsweise größten ihnen zugestandenen Freiheiten in Jahrzehnten. Höhepunkt hierbei waren die in Minsk ausgerichteten Europaspiele, die im Jahr 2023 übrigens in Krakau stattfinden werden. Doch die EU ergriff die Chance eines dem Westen besser zugeneigten Lukashenko-Regimes zum Wohle der Bevölkerung nicht, ließ zudem die geopolitische Bedeutung des Landes außen vor. Eine Phase, in der die EU mit vermehrten Kooperationen in Handel, Energie, Sport und mit der Zivilgesellschaft einen Diktator hätte zähmen und sich geopolitische Vorteile hätte erarbeiten können.

USA erkannten Konfliktpotential

Anders die USA. Im September 2019 besuchte John Bolton, zum damaligen Zeitpunkt Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Donald Trump, die belarusische Hauptstadt. Es war der höchstrangige US-Besuch in Minsk seit Präsident Bill Clinton im Jahr 1994. Neben Bolton besuchten auch viele Kongressabgeordnete beider Parteien sowie weitere Mitglieder der Trump-Administration Belarus sowie die benachbarten Länder Litauen und Polen. Die verstärkte US-Präsenz in der Region versuchte das imperialistische Bestreben Russlands, nach der Ostukraine sich nun auch Belarus einverleiben zu wollen, einzuhegen.

Belarus ist für Russland ein Mittel zum Zweck, grenzt es doch an die EU-Länder Lettland, Litauen und Polen und stellt somit eine Pufferzone zur Europäischen Union dar. Einer gemeinsamen Union zwischen Russland und Belarus, die Putin strikt verfolgt, nach den Vorstellungen des Kremls lehnte Lukashenko in den vergangenen Jahren stets ab. Die geopolitische Bedeutung der Republik Belarus spielt eine immer bedeutendere Rolle.

Belarusen leiden unter Lukashenko und westlichen Sanktionen

Doch mit der gefälschten „Wahl“ 2020 und der ungeheuren Brutalität des Lukashenko-Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung drehte sich das Blatt erneut. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen im Jahr 2020 reagierte der Westen, abgesehen von den üblichen Floskeln, nur mit erheblicher Verzögerung. Die gewöhnlichen Sanktionen, welche Lukashenko in seinem andauernden Tanz zwischen den Mächten schon gewohnt ist, folgten.

Mit der Entführung einer Ryanair-Maschine im Mai diesen Jahres reagierte die EU hingegen schnell, verabschiedete weitere Sanktionen gegen Lukashenkos Umfeld und Staatsunternehmen sowie ordnete ein Überflugverbot über Belarus sowie ein Landeverbot für die staatliche Fluggesellschaft Belavia in der EU an.

Die Leidtragenden dieser Maßnahmen ist primär die belarusische Bevölkerung. Die Ausreise gen Westen ist per Direktflug nicht mehr möglich. Die Landgrenzen haben die EU-Staaten auf Grund der Coronavirus-Pandemie schon seit März 2020 für alle Belarusen, bis auf wenige Ausnahmen, geschlossen. Lukashenko ordnete dies im Gegenzug im Dezember 2020 an. Für die belarusische Gesellschaft ist dies umso fataler, da in Belarus auf Grund der historischen Grenzverschiebungen eine große litauische und polnische Minderheit existiert. Verwandtschaftsbesuche in den nur wenige Kilometer entfernten polnischen und litauischen Städten und Dörfern sind seit eineinhalb Jahren nicht mehr möglich.

Putin als lachender Dritter

Belarusen müssen somit ihren Blick nach Osten richten. Der Weg in die Freiheit führt gegenwärtig ironischerweise nur über Russland. Gleiches gilt für den Langzeitdiktator. Um seine Macht zu sichern, bleibt Lukashenko auf Grund seines eigenen strategischen Versagens nichts anders übrig, als sich an Putin zu wenden. Dieser hilft bereitwillig mit Krediten, Sicherheitskräften und PR-Leuten.

Westliche Sanktionen in der derzeitigen Form lassen Belarus in ökonomischer, politischer sowie zivilgesellschaftlicher Hinsicht noch abhängiger von Russland werden. Nach einem Jahr belarusischer Revolution sitzt der Gewinner im Kreml, dank Lukashenkos Brutalität gegenüber seinem eigenen Volk und einer fehlenden langfristigen Belarus-Strategie des Westens. Ein freies und wirklich unabhängiges Belarus wiederum ist offenbar kaum von westlichem Interesse, will man sich doch nicht auch noch auf diesem Gebiet mit Russland anlegen.

Viele Reden, wenige Taten

Der Westen ergötzt sich seit einem Jahr in Floskeln und leeren Versprechen gegenüber dem belarusischen Volk. Würde diesem wirklich etwas an der Verbesserung der Situation der Belarusen liegen, müsste die Zivilbevölkerung stärker unterstützt werden: Erleichterung bei der Ausstellung von Schengen-Visa, Öffnung der Landgrenzen unter Einhaltung von Pandemieregeln sowie vereinte Maßnahmen gegen Lukashenko und Putin. Der Weg zu Lukashenko führt nämlich letztendlich nur über Putin, der das belarusische Regime finanziell am Leben hält.

Egal ob Weißrussland oder belarussisch mit zwei „s“: Das Desinteresse an Belarus zeigt sich im deutschsprachigen Raum auch bei der oftmals falschen Benennung beziehungsweise Schreibweise des Landes. (Hintergründe klick hier)

Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen harte Konsequenzen mit sich bringen. Doch in der Realität bekommt die belarusische Opposition von Präsident Biden Kekse. Lukashenkos Finanzier, der russische Präsidenten Putin, rollt Präsident Biden hingegen den roten Teppich zur Vollendung der umstrittenen Gaspipeline NordStream2 aus. Ein Projekt, das zwar Gas nicht durch Belarus, sondern durch die Ostsee direkt nach Deutschland transportiert. Zur Finanzierung eines Diktators in Minsk trägt die Pipeline dennoch bei. Kekse und Gas – der Westen zeigt unter Führung von Präsident Biden einmal mehr seine Doppelmoral zum Leidwesen der Zivilbevölkerung.

 

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Susan Rice – Direktorin Rat für Innenpolitik

Am 11. September 2012 stürmten Islamisten das US-amerikanische Konsulat in Bengasi, Libyen. Die Sicherheitskräfte wurden von den Ereignissen überrascht. Vorwarnungen vom benachbarten CIA-Stützpunkt gab es ebenso wenig wie vom zuständigen Außenministerium. Die bittere Bilanz: Vier tote US-Amerikaner, darunter Botschafter John Christopher Stevens.

Ein Ereignis, welches hohe innenpolitische Wellen schlug. Hillary Clinton wurde als damals verantwortliche Ministerin stark kritisiert, vor dem außenpolitischen Ausschuss des U.S. Senats gestand sie Fehler bei den Sicherheitsvorkehrungen ein. Bengasi sollte zur Achillesferse in ihrem Präsidentschaftswahlkampf 2016 werden. Doch auch die spätere Nationale Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, Susan Rice, spielte eine unrühmliche Rolle.

Wendepunkt Bengasi

Für Rice handelte es sich nämlich beim Sturm auf das Konsulat um einen „spontanen Protest“. Eine Aussage, die gleich in mehrfacher Hinsicht verwunderte: Einerseits ereignete sich der Angriff am Jahrestag von 9/11, an dem mit anti-amerikanischen Demonstrationen und Terroranschlägen gerechnet werden musste. Andererseits war die muslimische Welt auf Grund des Films „Innocence of Muslims“, der von Medien oftmals als antiislamisch tituliert wurde, aufgebracht.

Die Geheimdienste kamen zudem später zu dem Entschluss, dass der Angriff auf das Konsulat in Bengasi teilweise von Al-Kaida, die Terrororganisation, die sich schon für 9/11 verantwortlich zeichnete, geplant war. Ganz und gar nicht planbar waren daraufhin die nächsten Karrierschritte von Rice.

Leben für die Außen- und Sicherheitspolitik

Die 1964 in Washington D.C. als Tochter eines Wirtschaftsprofessors und Gouverneurs der Federal Reserve geborene Rice verbrachte Zeit ihres Lebens in der Außen- und Sicherheitspolitik. Mit einem Bachelor of Arts in Geschichte an der Stanford University sowie eines Master of Arts und eines PhD in Internationalen Beziehungen an der University of Oxford begann 1997 ihre Karriere als Assistant Secretary of State for African Affairs unter Präsident Bill Clinton.

In der Ära des republikanischen Präsidenten George W. Bush ging Rice eine Tätigkeit bei der Brookings Institution als Senior Fellow für Außenpolitik und Entwicklungshilfe nach. Im Jahr 2004 war sie als außenpolitische Wahlkampfberaterin für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John F. Kerry aktiv. In gleicher Position arbeitete Rice vier Jahre später für Obama.

Karriere in der Obama-Administration

Ihre dritte Präsidentschaftskampagne verlief erfolgreich, schon 1988 engagierte sie sich für Michael Dukakis, so dass Rice ein Teil der Obama-Administration wurde. In Obamas erster Amtszeit setzte sich Rice für die Belange der Vereinigten Staaten als Botschafterin bei den Vereinten Nationen ein. Eine Position, für die sie einstimmig vom U.S. Senat im Amt bestätigt wurde.

Dieses Amt sollte, nicht zuletzt wegen ihrer Rolle um den Terroranschlag in Bengasi, der Wendepunkt in der Karriere von Rice darstellen. Laut Der Spiegel lobte Rice beispielsweise auch die NSA-Abhöraktionen gegenüber befreundete Länder oder verbreitete die Falschmeldung, dass der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi Viagra-unterstützte Massenvergewaltigungen als Waffe einsetzen würde. Aus der möglichen Nachfolgerin von Außenministerin Clinton, das Amt übernahm 2013 John F. Kerry, wurde eine für die Demokratische Partei toxische Außenpolitikexpertin.

Neustart in der Innenpolitik

2013 hätte Rice auf Grund ihrer Aussagen zum Terroranschlag auf das US-Konsulat in Bengasi ebenso wenig die nötigen republikanischen Senatorenstimmen bei einer möglichen Nominierung als Außenministerin bekommen wie 2021 nach Amtsantritt von Präsident Joe Biden. Als Vizepräsidentschaftskandidatin wurde Rice zwar 2020 ebenso gehandelt, doch Bidens Kampagne wollte sich nicht unnötig angreifbar machen.

Präsident Biden hat in seiner Administration für Rice, zu der als langjährige Mentorin die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright zählt, dennoch eine Verwendung gefunden. Rice ist nun innenpolitische (!) Beraterin des Präsidenten und Vorsitzende des Rats für Innenpolitik der USA. Es ist eine Wendung in der Karriere von Susan Rice, die sie sich so sicherlich nicht vorgestellt hätte, schon gar nicht an jenem schwarzen 11. September 2012.

Der Film „13 Hours“ beschäftigt sich mit dem Terroranschlag auf das US-Konsulat in Bengasi.
Der Trailer:

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); The White House; Biden-Transition; canva.com; eigene Grafiken