Dankbarkeit für die Ernte des vergangenen Jahres: Eine Begebenheit, die im Deutschland des 21. Jahrhunderts nur noch einen zweitrangigen Stellenwerte einnimmt. In der deutschen Wohlstandsgesellschaft ist ausreichende und jederzeit zugängliche Nahrung nämlich zu einer Selbstverständlichkeit geworden. So ist das Erntedankfest, welches in Deutschland traditionell am ersten Sonntag im Oktober begangen wird, nur noch eine, zumeist kirchliche, Randerscheinung.
In den Vereinigten Staaten von Amerika sieht dies, trotz Wohlstand, ganz anders aus. Das Erntedankfest, welches unter dem Namen Thanksgiving bekannt ist und jedes Jahr am vierten Donnerstag im November gefeiert wird, ist eines der beliebtesten Feiertage im Land. Der staatliche Feiertage wird laut einer repräsentativen Umfrage des Pew Research Center von 91% aller US-Amerikaner aktiv begangen. Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten steht ein großes Essen, in der Regel mit Truthahn und zahlreichen Vor- und Nachspeisen, im Rahmen der Familie und Freunden. Dabei kommen zwischen sechs und 20 Personen zusammen. Bei zwei Drittel aller Feierlichkeiten wird ein Gebet gesprochen, 69% der US-Amerikaner geben an, für was sie im vergangenen Jahr dankbar sind.
Immer mehr US-Amerikaner, mittlerweile etwas mehr als ein Drittel, wohnen an Thanksgiving auch einer Sportveranstaltung bei. In der American Football Liga NFL haben an diesem Tag traditionell die Dallas Cowboys und die Detroit Lions ein Heimspiel. Bei den Spielen werden im Rahmen der „Rote-Töpfe-Kampagne“ Spenden für die Salvation Army (Heilsarmee) für Obdachlose und Bedürftige gesammelt. Bei den Sammlungen kommen jährlich mehrere zehn Millionen Dollar zusammen. Die Franchises der NFL laden US-Amerikaner in Not zudem rund um Thanksgiving zu Festessen ein und spenden Kleidung und weitere wichtige Utensilien.
Im politischen Amerika hat sich seit dem Jahr 1989 die Tradition der Begnadigung von Truthähnen etabliert. Es war Präsident George H. W. Bush, der den Akt formalisierte. Seitdem haben alle US-Präsidenten eine offizielle Zeremonie, zu der lustige Ansprachen des Commander-In-Chief gehören, zur Begnadigung eines Truthahns abgehalten. Gleichwohl es sich hierbei um eine noch vergleichsweise junge Tradition handelt, soll schon Präsident Abraham Lincoln einen Truthahn zu Thanksgiving verschont haben. Der Sohn des 16. US-Präsidenten soll seinen Vater angefleht haben, den für das Weihnachtsessen vorgesehenen Truthahn zu verschonen, was Lincoln sodann auch tat. Auf das US-amerikanische Erntedankfest folgt der Black Friday, dank seiner zahlreichen Rabatte das umsatzstärkste Einkaufs-Event des Jahres. Dieser Tag wurde in Deutschland zur Ankurbelung des Konsums freilich schon längst übernommen.

Ein Beitrag von Kai-Uwe Hülss M.A.
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