War die Eliminierung Soleimanis innenpolitisch begründet?

Berlin-Krise 1961. Kuba-Krise 1962. NATO-Doppelbeschluss in den 1980er Jahren. Die Angst vor einem weiteren großen Krieg flammte bei genannten sicherheitspolitischen Herausforderungen erneut auf. In den Köpfen der Deutschen, dessen Territorium bei einem möglichen Kriegsszenario zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt im Zentrum gestanden hätte, war die Anspannung umso ausgeprägter.

Die klassische Ost-West-Konfrontation gibt es im Jahr 2020 nicht mehr. Der Warschauer Pakt gehört seit Jahrzehnten ebenso der Geschichte an wie das kommunistische Sowjetimperium. Die relative Mehrheit der Deutschen sieht zudem die einstige wie gegenwärtige Schutzmacht USA unter Präsident Trump als größte Bedrohung für den Weltfrieden. Der Abstand zu „lupenreinen Demokraten“ wie dem russischen Präsidenten Putin, dem chinesischen Präsidenten Xi oder dem iranischen Religionsführer Chamenei ist immens.

Da wundert es nicht, dass nach der Eliminierung des iranischen Generals Soleimani durch US-Drohnen auf Twitter der Hashtag #WKIII trendete. Dritter Weltkrieg als das bestimmende Thema in den sozialen Netzwerken. Ausgelöst durch einen unberechenbaren Präsidenten im Weißen Haus.

Doch so unberechenbar schien Präsident Trump für so manche Kommentatoren und Interessierte dann doch nicht zu sein. Innenpolitisch sei die Tötung des Terrorgenerals begründet gewesen. Präsident Trump wolle von seinem Amtsenthebungsverfahren ablenken, vor der US-Präsidentschaftswahl als starker Mann dastehen. Eine interessante Theorie, die einer tiefergehenden Betrachtung unterzogen werden sollte.

Lenkte Trump vom Amtsenthebungsverfahren ab?

Nach Andrew Johnson und Bill Clinton ist Donald Trump erst der dritte US-Präsident, der vom U.S. Repräsentantenhaus angeklagt wurde. Johnson und Clinton wurden bei einem darauffolgenden Prozess vom U.S. Senat allerdings nicht des Amtes enthoben. Dass Trump der erste Präsident ist, der das Weiße Haus nach einem Urteil des U.S. Senats verlassen muss, gilt als sehr unwahrscheinlich.

Das Impeachment hat bislang zudem keine signifikanten Auswirkungen auf die öffentliche Meinung über Präsident Trump. Dessen Umfragewerte sind zwar weiterhin im Durchschnitt auf einem niedrigeren Niveau als das seiner Vorgänger. Dafür sind Trumps Werte stabil. Zuletzt befanden sich Trumps Zustimmungswerte gar auf dem höchsten Niveau seit Amtsantritt.

Die seit Jahrzehnten steigende gesellschaftliche und politische Polarisierung macht sich sodann auch in den Umfragewerten bezüglich einer Amtsenthebung des Präsidenten bemerkbar. Die Bevölkerung ist an Hand der Parteilinien gespalten. Seit Beginn der Ermittlungen zu einem mittlerweile stattfindenden Amtsenthebungsverfahrens haben sich diese Werte zudem kaum verändert. Unabhängige Wähler lehnen des Weiteren eine Amtsenthebung mehrheitlich ab.

Tötung Soleimanis als Wahlkampfhilfe?

Die US-Präsidentschaftswahl 2020 verspricht einmal mehr enorme Spannung. Um seine Wiederwahlchancen zu wahren, muss Präsident Trump seine Koalition aus dem Jahr 2016 erneut für sich an die Wahlurnen bringen. Kein leichtes Unterfangen, leiden doch viele Regionen unter dem Handelskonflikt mit China.

Trumps Wählerschaft ist ebenso wie die gesamte US-amerikanische Bevölkerung nach den langen Kriegen im Irak und in Afghanistan müde von Auslandseinsätzen. Ein weitere militärische Auseinandersetzung würde zudem die US-Amerikaner kaum, wie sonst üblich, hinter ihren Präsidenten scharren. Zu tief sind die Gräben zwischen liberalem und konservativem Amerika, zu polarisierend tritt Donald Trump auf.

Des Weiteren stellt Präsident Trump im Vergleich zu einigen seiner Berater in der Sicherheitspolitik eine Taube im metaphorischen Sinne dar. John Bolton, über den USA hinaus als Falke bekannt, verlor beispielsweise seine Position als Nationaler Sicherheitsberater, da dieser offen für eine militärische Konfrontation mit dem Iran warb. Warum sollte Präsident Trump wenige Monate nach der Entlassung Boltons einem solchen Szenario doch noch zustimmen? Gleichwohl hält es den Präsidenten nicht davon ab, im Wahlkampf mit der Eliminierung der Terroristen Abu Bakr al-Baghdadi und Soleimani zu werben.

Präsident Trump mag unberechenbar sein. In Bezug auf militärische Einsätze nimmt der 45. US-Präsident jedoch eine konstant skeptische Haltung ein. Eine als symbolisch zu betrachtender Vergeltungsschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Schairat 2017 auf Grund eines syrischen Giftgasangriffes oder die Zurückhaltung nach einem Abschuss einer US-amerikanischen Drohne durch den Iran sind exemplarisch zu nennen.

Im Rahmen seiner „America First“-Strategie versprach Trump im Wahlkampf eine sicherheitspolitische Zurückhaltung. Diese versucht der amtierende Commander-In-Chief weitestgehend in die Praxis umzusetzen. Dass dies in der Realität schwieriger zu gestalten ist, als mit 280 Zeichen auf Twitter, sieht Präsident Trump allerdings schon alleine bei dem Versuch US-Truppen aus dem Ausland zurückzuholen.

Keine Entscheidung aus innenpolitischen Gründen

Ob die Eliminierung des iranischen Generals Soleimani strategisch sinvoll war, ist diskutabel. Innenpolitische Gründe hatte die Entscheidung jedoch nicht. Freilich ist ein laufendes Amtsenthebungsverfahren keine Erfahrung, die ein Präsident erleben möchte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt schadet es der Präsidentschaft von Donald Trump jedoch auch nicht. Ein weiterer militärischer Konflikt wäre zudem für die Wiederwahlchancen des Republikaners nicht zuträglich.

 

Unfreiwilliges Weihnachtsgeschenk für Präsident Trump?

Spätestens seit seiner Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hat es Donald Trump auch in die Geschichtsbücher geschafft. Mit der Anklage durch das
U.S. Repräsentantenhaus gehört er nun gar einem erlauchten Kreis US-amerikanischer Staatsoberhäupter an.

Mit Andrew Johnson und Bill Clinton wurden erst zwei Präsidenten vor Trump verurteilt. Des Amtes enthoben wurden beide Präsidenten jedoch letztendlich nicht. Richard Nixon hingegen kam zwar um eine Anklage herum, jedoch zum Preis eines vorherigen Rücktritts.

Mehr als 750 Historiker riefen zur Anklage gegenüber Präsident Trump auf.

Entgegen den Ansinnen der Verfassungsväter handelte es sich beim Amtsenthebungsverfahren des Jahres 2019 nicht um eine überparteiliche Bestrebung. Die Abstimmung über die beiden Anklagepunkte, Machtmissbrauch und Behinderung der Arbeit des U.S. Kongresses, war vielmehr ein Musterbeispiel für die sich schon seit Jahrzehnten zunehmende politische Polarisierung.

Demokraten stimmten weitestgehend für die Anklageschriften. Lediglich Jeff van Drew, der auf Grund des Impeachment sogar zur republikanischen Partei übertreten will, und ein weiterer Demokrat scherten aus. Ein weiterer Demokrat teilte sein Votum für die beiden Anklagepunkte auf. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard enthielt sich ihrer Stimme. Republikaner dagegen standen geschlossen hinter Präsident Trump.

Das Abstimmungsergebnis geht mit der gesellschaftlichen Spaltung des Landes, die sich nicht nur in dieser Frage manifestiert hat, einher. Seit Beginn der Anhörungen im Rahmen der Ermittlungen zum Amtsenthebungsverfahrens gegenüber Präsident Trump hat sich die Stimmungslage kaum, wenn überhaupt marginal zugunsten des Angeklagten, verändert. Eine Spaltung, die auch bei der Bevölkerung anhand der Parteilinien von statten geht.

Als Republikaner eine Amtsenthebung von Präsident Clinton anstrebten,
verloren diese Sitze bei den Wahlen zum U.S. Repräsentantenhaus 1998 und 2000.

Für Präsident Trump sind das paradoxerweise keine schlechten Nachrichten. Zwar mag sich eine Anklage durch das U.S. Repräsentantenhaus „auf dem Lebenslauf als negativ erweisen“, wie es der Präsident sorgenbehaftet ausdrückte. Eine tief gespaltene USA erhöhen jedoch die Wiederwahlchancen des amtierenden Hausherren von 1600 Pennsylvania Avenue ungemein.

Die republikanische Basis hat Donald Trump hinter sich. Unabhängige Wähler sind laut repräsentativen Umfragen gespalten in Bezug auf eine Amtsenthebung. Und der U.S. Senat wird Präsident Trump, sofern es keine bahnbrechenden neuen Enthüllungen gibt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit freisprechen. Eine Begebenheit, mit der die Wiederwahlkampagne von Präsident Trump hausieren gehen wird.

Demokraten wie Republikaner werden das Amtsenthebungsverfahren für die Präsidentschafts- und Kongresswahlen im kommenden Jahr für ihre Anliegen nutzen wollen. Doch am Ende könnte es zu einem unfreiwilligen Weihnachtsgeschenk für Präsident Trump verkommen. Einem möglichst unparteiischen Verfahren wurde nämlich von Beginn an keine Chance gegeben.

Bislang verlor die Partei des angeklagten Präsidenten jedesmal die folgende Präsidentschaftswahl.

Demokraten unterminierten ihr Anliegen durch einen lautstarken Zwischenwahlkampf mit der Forderung radikaler linker Kandidaten, sich für eine Amtsenthebung des ungeliebten Präsidenten einzusetzen. Republikaner nutzten später diese Steilvorlage aus und wischten alle Bedenken gegenüber Trumps Verhalten in der Ukraine-Affäre beiseite. Die Begründung: das Verfahren sei ein parteipolitischer Schachzug von Seiten der Demokraten.

Die politische Auseinandersetzung um das Amtsenthebungsverfahren wird auch noch das kommende Jahr begleiten. Die nicht auszuschließende Wiederwahl eines angeklagten Präsidenten würde den Einträgen unter dem Namensregister von Donald Trump ein weiteres Kapitel hinzufügen.