Die Buchbesprechung: „Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“ (Maggie Haberman)

Seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt hat sich der New Yorker Donald Trump in sein Luxusanwesen in Mar-a-Lago, Florida, zurückgezogen. Doch weder von seiner Heimatstadt noch von der aktiven Politik konnte und/oder wollte Trump im Sunshine State Abstand nehmen. Infolgedessen empfing Trump in den vergangenen Monaten unter anderem zahlreiche Journalisten, die ein Buch über ihn schreiben wollten, bereitwillig.

Dabei ging es sicherlich auch darum, die Erzählung über Trumps Präsidentschaft im Sinne des einstigen Immobilienmoguls zu beeinflussen. Ob dies dem 45. US-Präsidenten auch gelang, kann in einer Vielzahl an Werken, die über Trumps Präsidentschaft geschrieben wurden, nachgelesen werden. Hierzu zählt auch das Buch von Maggie Haberman, welches in der deutschsprachigen Ausgabe unter dem Titel „Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“ im Siedler Verlag erschienen ist.

Als ehemalige Lokalreporterin im Big Apple begleitete die mittlerweile preisgekrönte Journalistin der New York Times Trump schon seit Jahrzehnten. Herausgekommen ist infolgedessen ein inhaltlich sehr gutes und informatives Buch. Haberman nimmt ihre Leserschaft auf eine packende 832 Seiten starke Reise durch Trumps bisheriges Leben. Lediglich die in der deutschen Übersetzung verwendete, zwar wenig vorkommende, dennoch vorhandene, Gendersprache (z.B. Leser:innen) hindert am Lesevergnügen.

(…) die Wahrheit ist, dass ihn [Trump; Anmd. d. Verf.] letztlich fast niemand wirklich kennt. Einige kennen ihn besser als andere, aber er ist oft schlichtweg undurchschaubar.

Maggie Haberman: Täuschung, S. 726

Haberman hat sich in ihrem Werk chronologisch mit Trumps Werdegang befasst. Zunächst beschreibt die Autorin den jugendlichen Donald, der unter seinem Vater und Familienpatriarchen Fred das Handwerk des Immobiliengeschäfts frühzeitig erlernen sollte. Trumps Aufstieg zum Immobilienmogul zunächst in New York City, später landesweit, schließt daran ebenso an wie dessen Zeit als Reality-TV-Star, welche ihm die nötige landesweite Bekanntschaft einbrachte, um später erfolgreich in die Politik einzusteigen.

Haberman hat es geschafft, Trumps Lebensweg detailliert darzustellen ohne Langeweile aufkommen zu lassen. Dies hat nicht nur mit den diversen Wandlungen, Aufstiegen, Abstiegen und Skandalen von und um Trump zu tun, sondern auch mit vielen spannenden Hintergrundinformationen. Dabei arbeitet Haberman auch Trumps innere Widersprüche gekonnt heraus, wie auch dessen Verhalten zur Coronavirus-Pandemie zeigen sollte:

Trump, den ein Mitarbeiter ständig mit Handdesinfektionsmittel versorgen musste, war einerseits getrieben von seiner panischen Angst vor Keimen, besaß andererseits aber eine starke selbstzerstörerische Ader, die ihn Masken und Abstandsregeln ignorieren ließ.

Maggie Haberman: Täuschung, S. 648

Interessant in Bezug auf Trumps erneute Teilnahme an den republikanischen Präsidentschaftsvorwahlen im Jahr 2024 ist Habermans Blick auf den erst seit 2015 als Politiker agierenden Trump. Im Hinblick auf seine politischen Ambitionen oftmals unterschätzt und nicht ernst genommen, unternahm Trump bekanntlich vor sieben Jahren einen erfolgreichen Anlauf auf das Weiße Haus. Eine Kandidatur, die, gleichwohl nicht von der Öffentlichkeit bemerkt, lange im Voraus geplant war:

Nur Tage nach der Wahl 2012 meldete er [Trump; Anm. d. Verf.] eine Handelsmarke für einen in der Politik bekannten Slogan an, den vor allem Ronald Reagan und Bill Clinton verwendet hatten: ‚Make America Great Again‘.

Maggie Haberman: Täuschung, S. 280

Bei ihrer in der Regel differenzierten Betrachtung arbeitet Haberman auch den für die US-Demokratie, und auf dieser Seite schon mehrmals publizierten, bedeutenden Aspekt heraus, dass Trumps Präsidentschaft die Wirkung, nicht die Ursache, eines schon lange anhaltenden gesellschaftlichen und politischen Prozesses darstellte:

Doch während ich an diesem Buch arbeitete, wiesen mich verschiedene Republikaner und sogar einige Demokraten darauf hin, dass die den Regeln trotzende Präsidentschaft Bill Clintons schon vor Jahrzehnten mitgeholfen habe, Trump den Weg zu ebnen. Auch Clinton war für die Verletzung ethischer Normen kritisiert worden und sah sich während der Präsidentschaft ständig Ermittlungen hinsichtlich seiner Finanzen, seines persönlichen Verhaltens und politischer Manöver ausgesetzt. Er teilte einige von Trumps Klagen über Untersuchungen im Kongress, unabhängige Staatsanwälte und Berichterstattung in den Medien.

Maggie Haberman: Täuschung, S. 721

Trumps Populismus, so Haberman, wurde also schon vor Jahrzehnten der Weg geebnet. Eine Entwicklung, die sich auch anhand der gesellschaftlichen Entwicklung und der politischen Reaktion hierauf ablesen lässt:

Einer Neuausrichtung mit Koalitionen, die sich nicht länger an den alten Trennlinien Religion, Einkommen oder Ideologie orientierten, sondern (…) entlang von Bildungsniveau, Kultur und einer zunehmenden Stadt-gegen-Land-Geografie (…)

Maggie Haberman: Täuschung, S. 720 f.

Über Donald Trump wurden schon viele Bücher verfasst. Doch wenige Werke dürften sich so tiefgehend mit einer der schillerndsten Figuren der vergangenen Jahrzehnte befasst haben wie Maggie Habermans „Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“. Dass der etwas reißerisch daherkommende Untertitel dem Werk nicht gerecht wird, soll einer Leseempfehlung für alle an Trump, den USA und US-Politik Interessierten nicht im Wege stehen.

Vielen Dank an den Siedler Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars. 
Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).

Die offizielle Buchbeschreibung

Trump 2024: Die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalistin der New York Times enthüllt, warum dem Ex-Präsident das Comeback gelingen kann.

Sie ist Donald Trumps erklärte Lieblingsfeindin unter den Journalisten, niemand hat die Berichterstattung über den Präsidenten stärker geprägt als sie: Maggie Haberman erhielt für ihre Reportagen den Pulitzer-Preis und hat das Phänomen Trump ergründet wie kein anderer. Er selbst nennt sie »meine Psychiaterin«. Immer wieder ist sie es, die als erste über Trumps Machenschaften berichtet. So auch zuletzt, als klar wurde, dass der Ex-Präsident regelmäßig Dokumente in der Toilette verschwinden lassen wollte.

Als Boulevardreporterin der New York Post und spätere Korrespondentin der New York Times hat sie bereits seit über zwanzig Jahren den Weg des vermeintlichen Selfmade-Millionärs von New York ins Weiße Haus aus der Nähe verfolgt. In diesem Buch erzählt sie die ganze Geschichte – vom langen Aufstieg eines Mannes, der als genialer Manipulator und politischer Hochstapler das höchste Amt der USA ergriff und nach seiner Abwahl nun erfolgreich an seinem Comeback arbeitet.

Was genau treibt ihn an? Wer sind die Menschen, die ihm den Weg zur Macht ebneten? Und was kann ihn noch stoppen, abermals Präsident zu werden? Ein brillant recherchierter und hochaktueller Report aus dem Innern der Machtmaschine Trump – und zugleich das Porträt eines Landes, das er für immer verändert hat.

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Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Die Konsequenzen aus den Zwischenwahlen für Präsident Biden

In der am 03. Januar 2023 beginnenden neuen Legislaturperiode wird sich das Regieren für Präsident Joe Biden grundlegend ändern. Während seine Demokratische Partei nach den Zwischenwahlen formell weiterhin eine Mehrheit im U.S. Senat stellen wird, kontrollieren in den kommenden zwei Jahren Republikaner das U.S. Repräsentantenhaus.

Die Parteizugehörigkeiten des Präsidenten und der Mehrheit in mindestens einer Kongresskammer ist somit auseinandergefallen, es herrscht ein divided government („geteilte Regierung“) vor. Der nachfolgende Beitrag analysiert vor diesem Hintergrund die daraus resultierenden Konsequenzen für Präsident Biden.

Demokratische Mehrheit im U.S. Senat

Stichwahl in Georgia beeinflusst Ausrichtung des U.S. Senats

Demokraten werden mindestens 50 U.S. Senatoren, inklusive ihnen wohlgesonnener zweier unabhängiger U.S. Senatoren, an den Capitol Hill entsenden. Die am 06. Dezember 2022 stattfindende Stichwahl in Georgia zwischen dem demokratischen Amtsinhaber Raphael Warnock und Herschel Walker hat folglich keine direkte Auswirkung darauf, welche Partei die Mehrheit in dieser Kongresskammer stellen wird. Vizepräsidentin Kamala Harris kann bekanntlich ein Patt zugunsten der Demokraten auflösen.

Ein gewichtiger Bezugspunkt für das Abstimmungsverhalten eines amerikanischen Abgeordneten bildet auch heute noch – trotz der wachsenden Bedeutung der Fraktionssolidarität – die von ihm perzipierte Meinung der ihm und seiner Partei nahestehenden Wählerschaft in seinem eigenen Wahlkreis. Wer wiedergewählt werden will, legt sich (…) in Europa nicht mit seiner Partei, in Amerika nicht mit den potentiellen Wählern im eigenen Wahlkreis an.

Emil Hübner: Das politische System der USA, S. 122

Die Wahl beeinflusst jedoch die Ausrichtung des U.S. Senats: Entsenden wie bisher beide Parteien jeweils 50 U.S. Senatoren, können moderate Demokraten wie Joe Manchin oder Kyrsten Sinema, deren Abstimmungsverhalten sich sehr stark an der Meinung der eigenen Wählerschaft in ihren jeweiligen Bundesstaaten orientiert, weiterhin großen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Bei einem Sieg Warnocks schwindet hingegen die Macht der Senatoren Manchin und Sinema, beide könnten nur noch gemeinsam ein Veto einlegen. Progressive Senatoren wären gestärkt.

Demokraten weiter mit Mehrheit für Nominierungen

Mit einem Sieg Warnocks würden Demokraten erstmals in der Ära Biden die Ausschüsse kontrollieren. Die Republikanische Partei könnte infolgedessen keine Untersuchungsausschüsse einberufen. Der bei den Zwischenwahlen wiedergewählte republikanische U.S. Senator Ron Johnson plante beispielsweise einen Ausschuss über die Finanzgebaren von Hunter Biden, Sohn des Präsidenten. Eine schnellere Verabschiedung von Gesetzen wäre ebenso – theoretisch – möglich.

Die für Präsident Biden bedeutendste Auswirkung des für seine Partei positiven Ausgangs der Senatswahlen ist die, wie schon in seinen ersten beiden Amtsjahren, Hoheit über Nominierungen von Richtern, Regierungsmitgliedern und zustimmungspflichtiger Verwaltungsbeamter. Präsident Biden kann damit mögliche Personalwechsel in seiner Administration beruhigter entgegensehen, als dies bei einer republikanischen Senatsmehrheit der Fall gewesen wäre.

Bis zum November diesen Jahres nominierte Präsident Biden schon 84 Richter erfolgreich. Damit sind gegenwärtig nur noch zehn Prozent der Richterposten vakant, die Präsident Biden nun nach seinem Wunsch besetzen kann. Zum gleichen Zeitpunkt ihrer jeweiligen Präsidentschaften kamen Donald Trump auf 84, Barack Obama auf 43, George W. Bush auf 80 und George H.W. Bush auf 71 erfolgreich nominierte Richter. Nur Bill Clinton hatte mit 143 erfolgreichen Nominierungen eine bessere Bilanz als Präsident Biden beziehungsweise Trump vorzuweisen.

Republikanische Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus

Republikaner werden Untersuchungsausschüsse einsetzen

Im Gegensatz zum U.S. Senat bereiten die neuen Mehrheitsverhältnisse im U.S. Repräsentantenhaus dem Weißen Haus Kopfzerbrechen. Nachdem die Kontrolle dieser Kongresskammer auf die Republikanische Partei übergehen wird, ist davon auszugehen, dass die Konservativen diverse Untersuchungsausschüsse einsetzen werden.

Was im U.S. Senat auf Grund der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich ist, wird wohl im U.S. Repräsentantenhaus geschehen: Ein Untersuchungsausschuss zu den Geschäftsbeziehungen, insbesondere mit/in der Ukraine und China, von Hunter Biden. Hierbei dürfte den Fragen nachgegangen werden, ob Präsident Biden a) von den Geschäften seines Sohnes wusste, b) durch ausländisches Geld kompromittiert worden sei und ob er c) eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. Eine Vielzahl an Bankunterlagen und Informantenaussagen dürften unter dem Vorsitz des Republikaners James Comer ausgewertet werden.

Geist eines Impeachment kehrt nach D.C. zurück

Mit einem Amtsenthebungsverfahren gegenüber Präsident Biden könnte sich das U.S. Repräsentantenhaus, auch als Folge des Untersuchungsausschusses zu Hunter Biden, ebenso beschäftigen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies, wenn überhaupt, zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen würde. Wahrscheinlicher ist ein Impeachment gegen den Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas, welches nach der Untersuchung der Grenzpolitik der Biden-Administration von statten gehen könnte.

55 Prozent der Republikaner wollen, dass sich der U.S. Kongress mit einer möglichen Amtsenthebung von Präsident Biden beschäftigt. Sechs Prozent der Demokraten und 28 Prozent der Gesamtbevölkerung stimmen dem zu.

Morning Consult

Die Republikanische Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus könnte des Weiteren einen Untersuchungsausschuss zum chaotischen Abzug aus Afghanistan einsetzen. Die Einsetzung solcher Ermittlungen könnte, je nach thematischer Ausrichtung, sogar überparteilich erfolgen. Als weitere mögliche Ausschüsse gelten Untersuchungen zum Ursprung des Coronavirus, die Rolle von Dr. Anthony Fauci bei der Pandemiebekämpfung sowie Untersuchungen über den Zustand des FBI.

Der Ausschuss zur Erstürmung des U.S. Kapitols könnte beendet oder zumindest modifiziert werden. Den Republikanern unliebsame demokratische Abgeordnete wie Ilhan Omar, die durch ihren antizionistischen Aktivismus auch über die USA hinaus bekannt wurde, könnten von Ausschüssen verbannt werden.

Politische Ziele der House-Republikaner

Die Republikanische Partei im U.S. Repräsentantenhaus wird sich für eine Schuldenobergrenze und für eine dauerhafte Implementierung der einst von Präsident Trump initiierten Steuersenkungen stark machen. Eine stärkere Ausgabenkontrolle wird sich auch bei den US-Hilfen für die Ukraine bemerkbar machen (Hintergründe klick hier). Das Gesetz zur Inflationsbekämpfung wollen Republikaner teilweise rückgängig machen.

Damit eine Gesetzesvorlage dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden kann, muss sie in beiden Kammern in identischer Form verabschiedet werden.

Josef Braml: Das politische System der USA, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 349/2021, S. 16

Für viele dieser republikanischen Vorhaben wird allerdings der U.S. Senat mit seiner demokratischen Mehrheit oftmals im Weg stehen. Republikaner, die bei den diesjährigen Zwischenwahlen in Bezirken gewählt wurden, die 2020 Präsident Biden für sich entschied, werden zudem einen moderaten Kurs einschlagen wollen und folglich auf Demokraten zugehen.

Der US-amerikanische Kongress übernimmt (…) nicht automatisch die politische Agenda der Exekutive/des Präsidenten, selbst wenn im Fall des unified government das Weiße Haus und Capitol Hill von der gleichen Partei „regiert“ werden. Noch weniger ist dies der Fall, wenn bei einem divided government Präsident und Kongress von unterschiedlichen Parteien „kontrolliert“ werden.

Josef Braml: Das politische System der USA, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 349/2021, S. 14

Zu Kompromissen müssen jedoch auch Demokraten bereit sein, liegt fortan doch die Finanzhoheit bei Republikanern. Präsident Biden benötigt folglich republikanische Stimmen, um die Regierungsgeschäfte weiter finanzieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist die demokratische Führung gut darin beraten, sofern überhaupt möglich, ein gutes Verhältnis zum kommenden republikanischen Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses aufzubauen. Kevin McCarthy dürfte in dieser Position auf Nancy Pelosi folgen.

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Die Zwischenwahlen 2022 – Vorschau

Können Demokraten ihre knappen Mehrheiten in beiden Kammern des U.S. Kongresses verteidigen? Oder wird das Regieren für Präsident Joe Biden noch herausfordernder als ohnehin schon? Am Dienstag, 08.11.2022, entscheiden US-Amerikaner über genau diese Fragen. Auf deren Antworten könnte auf Grund der zu erwartenden hohen Briefwahlbeteiligung jedoch auf sich warten lassen. Im nachfolgenden Beitrag gibt es die Vorschau zur Wahl des Jahres mit vielen unaufgeregten, tiefgründigen Informationen. 

Was sind Zwischenwahlen?

Bei den Zwischenwahlen, im Englischen als “midterms” bekannt, wird zu einem Drittel der U.S. Senat sowie das komplette U.S. Repräsentantenhaus neu gewählt. Des Weiteren finden zahlreiche Gouverneurswahlen sowie Voten auf Bundesstaatsebene statt. Die Zwischenwahlen finden alle zwei Jahre nach beziehungsweise vor einer Präsidentschaftswahl statt. Ein eigener Beitrag erklärt die Zwischenwahlen ausführlich (Klick hier).

Zwischenwahlen herausfordernd für Partei des Präsidenten

Bei Zwischenwahlen verliert in der Regel die Partei des Präsidenten. Seit dem Ende des US-amerikanischen Bürgerkrieges konnte diese lediglich in den Jahren 1934, 1998 und 2002 Sitze hinzugewinnen. Im U.S. Repräsentantenhaus hat die Partei des Präsidenten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchschnittlich 26 Sitze sowie im U.S. Senat im Durchschnitt vier Sitze verloren. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Wähler der Partei, die gerade nicht den Präsidenten stellt, motivierter sind, an den Wahlen teilzunehmen. 

Bei ihren ersten Zwischenwahlen haben die Präsidenten Ronald Reagan 26, Bill Clinton 52, Barack Obama 63 und Donald Trump 40 Sitze im U.S. Repräsentantenhaus verloren. Lediglich George W. Bush gewann acht Sitze hinzu – bei den Wahlen im Jahr 2002 solidarisierten sich US-Amerikaner nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch mit ihrem Commander-in-chief

Wahlmathematik begünstigt Demokraten bei Senatswahlen

Bei den Wahlen zum U.S. Kongress treten insgesamt 55 Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl an. Das U.S. Repräsentantenhaus verlassen definitiv 49 bislang amtierende Abgeordnete nach Ende der Legislaturperiode. Darunter gehen zehn Republikaner und 22 Demokraten in den Ruhestand. 17 Abgeordnete bewerben sich für ein anderes Amt. 

Für den U.S. Senat werden 35 Sitze neu gewählt. Während Republikaner 21 Sitze verteidigen müssen, ist dies bei Demokraten nur bei 14 Sitzen der Fall. Sechs U.S. Senatoren treten nicht zur Wiederwahl an, davon gehören Fünf der Republikanischen Partei an. Die Wahlmathematik favorisiert also die Demokratische Partei. Über die wichtigsten Senatsduelle informiert ein eigener Beitrag (Klick hier).

Senatswahl verspricht Hochspannung

Gegenwärtig herrscht ein Patt im U.S. Senat vor, welches zugunsten der Demokraten durch Vizepräsidentin Kamala Harris aufgelöst werden kann. Gleichwohl die Wahlmathematik wie oben beschrieben die Demokratische Partei favorisiert, verspricht die Senatswahl Hochspannung. Republikanische Kandidaten konnten in den vergangenen Wochen in den Umfragen aufholen, die Wählermobilisierung wird letztendlich über die Kontrolle des U.S. Senats entscheiden. Viele repräsentative Umfragen rund um die Zwischenwahlen gibt es in einem eigenen Beitrag (Klick hier).

Inflation und Wirtschaft wichtigste Themen

Im September stiegen die Verbraucherpreise um 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Kernrate des Verbraucherpreisindex, sprich die Teuerung ohne volatile Preise für Energie und Nahrungsmittel, liegt mit 6,6 Prozent auf dem höchsten Niveau seit 40 Jahren. Die wichtigsten überregionalen Themen bei den diesjährigen Zwischenwahlen sind folgerichtig die Inflationsbekämpfung sowie die Wirtschaftspolitik.

Laut einer repräsentativen Erhebung von Morning Consult nennen explizit 81 Prozent der US-Amerikaner die Wirtschaftspolitik als wichtiges Wahlthema. 46 Prozent der US-Amerikaner vertrauen vor diesem Hintergrund in die wirtschaftspolitischen Lösungsansätze der Republikanischen Partei, 39 Prozent der Bevölkerung präferieren die Wirtschaftspolitik der Demokraten.

Die Inflationsbekämpfung wird von 80 Prozent der US-Amerikaner als bedeutend eingestuft. 61 Prozent der Bevölkerung denken, dass die Inflation weiter ansteigt. Als weitere wahlentscheidende Themen werden die Kriminalitätsbekämpfung (64 Prozent), das Abtreibungsrecht (59 Prozent), Recht auf das Tragen von Waffen/ Waffenkontrolle (57 Prozent) und Migration (55 Prozent) genannt. Die Abschlussargumente ausgewählter Politiker sind in einem eigenen Beitrag zusammengestellt (Klick hier).

Weitere Radikalisierung der GOP im Kongress erwartet

Von den insgesamt 552 republikanischen Kandidaten für den U.S. Kongress, Gouverneursposten sowie Secretary of State und Justizminister auf Bundesstaatsebene zweifeln 201 Republikaner die Legitimität der Präsidentschaftswahl 2020 an. Davon hinterfragten laut dem Cook Political Report 70 Prozent der republikanischen Kandidaten für den U.S. Kongress die Wahl Bidens zum Präsidenten. Zwei Drittel dieser Gruppe sind favorisiert ihre Wahlen zu gewinnen und als Abgeordnete nach Washington D.C. entsandt zu werden. 

Des Weiteren wurden acht der zehn republikanischen Abgeordneten im U.S. Repräsentantenhaus, die nach der Stürmung des Kapitols für Trumps Amtsenthebung gestimmt haben, bei ihren innerparteilichen Vorwahlen geschlagen oder traten nicht zur Wiederwahl an. In der nächsten Legislaturperiode werden somit vor allem im U.S. Repräsentantenhaus vermehrt Republikaner zu finden sein, die loyal zu Ex-Präsident Trump stehen. Dies könnte wiederum eine Herausforderung für die Verabschiedung zukünftiger US-Hilfen für die Ukraine darstellen, wie ein eigener Beitrag herausgearbeitet hat (Klick hier).

Trumps Einfluss auf die Republikanische Partei

Ehemalige US-Präsidenten haben, insbesondere nach unmittelbarem Ausscheiden aus ihrem Amt, einen weiterhin großen Einfluss auf ihre Partei. Bei Trump ist dieser umso größer, da er im Jahr 2024 einen erneuten Anlauf auf das Weiße Haus wagen könnte. Seine Unterstützung war für zahlreiche Personen bei den innerparteilichen Senatsvorwahlen mitentscheidend, so dass sich teils prominente, teils umstrittene Kandidaten durchsetzen konnten (Weitere Informationen klick hier).

Bei den Vorwahlen zum U.S. Repräsentantenhaus unterstützte Trump 270 Kandidaten. Hiervon konnten sich 216 Republikaner durchsetzen, ein Drittel hiervon hatten keinen innerparteilichen Gegenkandidaten. 17 von Trump unterstützte Republikaner verloren ihre Vorwahlen. 

EIn FünfteL der Kandidaten haben Militärerfahrung

21 Prozent der cirka 1.000 Kandidaten für den U.S. Kongress und für die Gouverneursposten weisen laut dem Pew Research Institute Militärerfahrung auf. Explizit dienten 191 der 858 Kandidaten für das U.S. Repräsentantenhaus im Militär. Die Republikanische Partei (29 Prozent) stellt mehr Kandidaten mit Militärgeschichte als die Demokratische Partei (15 Prozent). Um einen Senatorensitz bewerben sich insgesamt elf Kandidaten mit Militärerfahrung, sechs Kandidaten gehören dabei den Demokraten und Fünf den Republikanern an. 

Hoffnung der Parteien liegt auf Ex-Präsidenten

Auf Grund der ausbaufähigen Umfragewerte für Biden nahm der amtierende Präsident nur an wenigen Wahlkampfveranstaltungen teil. Die demokratische Wählerschaft sollte primär durch den ehemaligen Präsidenten Obama motiviert werden, der in den vergangenen Wochen die Bundesstaaten Pennsylvania, Georgia, Wisconsin, Nevada, Michigan und Arizona bereiste.

Demokraten standen bei den Zwischenwahlen so stark unter Druck, dass Präsident Biden kurz vor dem Wahltag sogar eine Wahlkampfveranstaltung im liberalen New York für Gouverneurin Kathy Hochul abhalten musste. Auf republikanischer Seite nahm Trump ebenso einige Wahlkampftermine war.

Teurer Wahlkampf

Laut AdImpact haben die Parteien alleine für den Wahlkampf um das U.S. Repräsentantenhaus $1,3 Milliarden für Werbespots ausgegeben. Dies ist dreimal so viel wie im Jahr 2016. Demokraten investierten $702 Millionen und Republikaner $615 Millionen. Das teuerste Duell fand im 7. Distrikt von Michigan statt: Die demokratische Abgeordnete Elissa Slotkin ließ sich ihren Wahlkampf $20,8 Millionen kosten. Ihr Herausforderer Tom Barrett gab $12,9 Millionen aus.

Der mit Abstand größte Spender für die Demokratische Partei war George Soros, der mindestens $126 Millionen für deren Wahlkampf beisteuerte. Die größten Gönner für die Republikanische Partei waren Richard Uihlein und Kenneth C. Griffin, die jeweils $67 Millionen spendeten. Der gesamte Zwischenwahlkampf (alle Wahlen auf Bundes- und Staatsebene) dürfte Schätzungen von OpenSecrets zufolge $16,7 Milliarden gekostet haben.

Vielen Dank für deine Spende für unaufgeregte, tiefgehende Berichterstattung rund um US-Politik. 


Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Boltons ungehörte Warnung

Sie sind für ihren enormen Mut ebenso bekannt wie für ihre Achtsamkeit und Geduld: Falken. Der Vogel der Krieger beobachtet seine potentielle Beute mit seinen scharfen Augen, in kürzester Zeit kann er große Distanzen überqueren. Kleinere Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien leben in ständiger Bedrohung von einem Falken gerissen zu werden.

Wie in der Natur gibt es auch in der Politik Falken. Von gewaltsamen Regierungsumstürzen durch äußere Unterstützung sind solche Politiker und sicherheitspolitische Experten ebenso wenig abgeneigt wie von Militärinterventionen. Unliebsame Regierungschefs leben in ständiger Gefahr in das Blickfeld eines politischen Falken zu geraten.

Bolton als Sinnbild des US-amerikanischen Falken

Zu dieser, in der Öffentlichkeit oftmals unliebsamen, Gattung des politischen Betriebs gehört der mittlerweile 73 Jahre alte John Bolton. Sein Wissen gab er bislang mit Ronald Reagan, George H.W. Bush, George W. Bush und Donald Trump an vier republikanische US-Präsidenten weiter. Die prominentesten Rollen nahm Bolton als US-Botschafter bei den Vereinten Nationen zwischen August 2005 und Dezember 2006 sowie als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Trump zwischen April 2018 und September 2019 ein. 

Seit dem 20.01.2021, dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden, hat die Volksrepublik China Bolton zur unerwünschten Person erklärt.

Letztgenannten Arbeitsplatz verlor Bolton, nachdem ihm der damalige Präsident Trump wegen grundlegenden Meinungsverschiedenheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zum Rücktritt aufforderte. Bolton hat nicht erst seitdem kein gutes Wort über den 45. US-Präsidenten übrig. Er bezeichnete Trump unter anderem schon mehrmals als den „schlechtesten Präsidenten aller Zeiten“. In „The Room Where It Happened“ schrieb Bolton sodann seine Erfahrungen mit Trump, den er darin als inkompetent und korrupt beschrieb, nieder. 

So umstritten Boltons Ansichten und insbesondere dessen aggressive Vorschläge oftmals sein mögen, weist er doch einen scharfsinnigen Blick für sicherheitspolitische Entwicklungen auf. Während seiner Tätigkeit im Weißen Haus rückte der belarusische Präsident Alexander Lukashenko in das Blickfeld von Bolton. Im Gegensatz zu vielen anderen Diktatoren musste sich Lukashenko jedoch nicht fürchten, die Aufmerksamkeit Boltons generiert zu haben. Bolton hatte das größere Bild, die russischen Expansionsbestrebungen im Sinn. 

Vor 2020: Tauwetter zwischen den USA und Belarus

Im September 2019 reiste Bolton, damals noch als Nationaler Sicherheitsberater, sodann in die Republik Belarus. Es war der höchstrangige US-Besuch in Minsk seit Präsident Bill Clinton im Jahr 1994. Dies alleine unterstreicht schon das vorangegangene schlechte Verhältnis zwischen den USA und Belarus. Die Gründe hierfür lagen nicht zuletzt bei einer schon im Jahr 2006 von Lukashenko abermals gefälschten Präsidentschaftswahl und Repressionen gegen die eigene Bevölkerung begründet. Infolgedessen statteten in den vergangenen beiden Dekaden nicht einmal höhere US-Beamte der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik einen Besuch ab.

Bolton durchbrach die Eiszeit zwischen beiden Nationen wegen zweierlei Gründe: Einerseits öffnete sich Lukashenko nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 erneut dem Westen. Eine Abgrenzung zu Moskau folgte, da der Kreml immer offensiver davon sprach für alle russischsprachigen Völker Verantwortung tragen zu wollen. Eine Wortwahl, mit der 2022 auch die russische Invasion der Ukraine begründet werden sollte. 

Lukashenko duldete auf einmal selbst die moderate Ausbildung einer eigenständigen belarusischen Identität: Das Besuchen von belarusischen Sprachkursen sowie das Tragen von traditioneller Kleidung waren beispielsweise in der sowjetisch-nostalgischen Diktatur, die ansonsten einer Mini-Sowjetunion 2.0 gleicht, möglich. Für die Ausübung genannter Beispiele musste die Bevölkerung zuvor noch mit Repressionen rechnen. Als Bolton nach Minsk reiste, erlebten Belarusen die vergleichsweise größten ihnen zugestandenen Freiheiten in Jahrzehnten. Die belarusische Diktatur grenzte sich deutlich von Russland ab.

Bolton erkannte russisches Bedrohungspotential frühzeitig

Andererseits erkannte Bolton, wie oben schon angedeutet, das russische Bedrohungspotential für die Souveränität und territoriale Integrität der Republik Belarus und damit auch für die angrenzenden NATO-Staaten Polen, Litauen und Lettland frühzeitig. Dementsprechend gab Bolton Lukashenko folgende Worte mit auf den Weg:

Ihre Nation sollte nicht in die Abhängigkeit von nur einem Partner gezwungen werden. Dies gilt in Bezug auf Ihren Wohlstand und Ihre Sicherheit. 

Bolton warnte damit vor einer weitergehenden Integration mit Russland, die primär der Kreml vorantrieb und auch weiterhin bis zum heutigen Tage aggressiv vorantreibt. Selbst von einer „ruhigen Annexion“, im Gegensatz zum gegenwärtigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, war die Rede.

Lukashenko war und ist sich dies auch bewusst, ein Botschafteraustausch wurde vereinbart, die Abnahme von US-amerikanischem Rohöl zur Verringerung von der russischen Abhängigkeit wurde diskutiert. Bolton betonte zudem, dass Belarus nicht zwischen den USA und Russland wählen müsse. Sogar US-Außenminister Mike Pompeo schloss Anfang 2020 einen weiteren Besuch in Minsk an. 

Zurück auf Los namens Moskau

Doch dann kam die Coronavirus-Pandemie, welche Lukashenko nicht ernst nahm. Die Bevölkerung, die später selbst kaum Eigenverantwortung zur Einhegung der Pandemie zeigte, fühlte sich von ihrem autoritären Präsidenten, zumal nicht nur auf diesem Gebiet, im Stich gelassen. Erste Demonstrationen folgten. Die für August 2020 anberaumte „Präsidentschaftswahl“ füllte die Proteste gegen Lukashenko, und nicht wie später von vielen westlichen Politikern und Medien für Demokratie und Westbindung behauptet, zudem mit Leben.

Glichen die Proteste vor der „Wahl“ noch nahezu den Feierlichkeiten bei einer Fußball-WM, überströmte Lukashenko mit dem „Wahl“abend sein Land mit einer nie dagewesenen Gewalt. Die größten Demonstrationen seit Ende der Sowjetunion konnten dennoch zunächst vom Regime nicht aufgehalten werden.

Doch der wochenlange Aufstand, der von einer hilflosen neuartigen Opposition, ursprüngliche Oppositionelle sind schon seit Jahren im Exil oder in Gefangenschaft, ungenügend (wenn überhaupt) geplant wurde, konnte von Lukashenkos Schergen mit russischer Hilfe brutal niedergeschlagen werden. Ohne die Unterstützung des Kremls, der Spezialeinheiten, Waffen und Medienschaffende nach Belarus schickte, hätte Lukashenko den Aufstand weder (politisch) überlebt noch den Staatsterrorismus bis heute fortführen können.

Auch zwei Jahre nach dem Aufstand haben die Repressionen an Intensität kaum nachgelassen. Selbst zahlreiche Privatschulen oder öffentliche Schulen, die auf Belarusisch, Litauisch oder Polnisch (in Belarus gibt es große litauische und polnische Minderheiten) unterrichten, wurden von den Behörden geschlossen. Die berühmte katholische Kirche der Heiligen Simon und Helena in Minsk wurde ebenso beschlagnahmt wie das Soziale Zentrum, Priester wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Die katholische Kirche stellte sich 2020 hinter den Anliegen der demonstrierenden Bevölkerung.  

Entscheidender Fehler des Westens

In dieser Situation beging insbesondere die Europäische Union einen, im Rückblick betrachtet noch offensichtlicheren, entscheidenen Fehler. Schon am 09. August 2021 schrieb der Autor dieses Beitrags für „1600 Pennsylvania“:

Um seine Macht zu sichern, bleibt Lukashenko auf Grund seines eigenen strategischen Versagens nichts anders übrig, als sich an Putin zu wenden. Dieser hilft bereitwillig mit Krediten, Sicherheitskräften und PR-Leuten. Westliche Sanktionen in der derzeitigen Form lassen Belarus in ökonomischer, politischer sowie zivilgesellschaftlicher Hinsicht noch abhängiger von Russland werden. Nach einem Jahr belarusischer Revolution sitzt der Gewinner im Kreml, dank Lukashenkos Brutalität gegenüber seinem eigenen Volk und einer fehlenden langfristigen Belarus-Strategie des Westens.

Lukashenkos Finanzier Putin wurde vom Westen also nicht zur Verantwortung gezogen. Die einseitigen westlichen Sanktionen gegenüber Belarus führten folglich zu einer noch stärkeren Abhängigkeit Minsks von Moskau. Es erfolgte am 24. Februar 2022 die russische Invasion der Ukraine, die auch über belarusisches Staatsgebiet vonstatten ging.

Entgegen der bei westlichen Medien und Politikern weit verbreiteten Meinung hat Lukashenko belarusisches Territorium für die Ausführung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht freiwillig zur Verfügung gestellt. Ihm blieb zur Sicherung der eigenen Macht schlichtweg nichts anderes übrig. Selbst der Aufmarsch russischer Panzer in Minsk war und ist kein abwegiges Szenario. Der Weg nach Westen war Lukashenko schließlich durch eigenes Fehlverhalten (Ursache) und einer wenig durchdachten Sanktionspolitik verschlossen. 

Auch Bolton warnte

Im November 2021, also drei Monate vor Kriegsbeginn, warnte auch Bolton bei CNBC über die zu kurz gedachte westliche Belarus-Politik:

Ich denke, dass wir alle einen Fehler machen, indem wir uns auf Lukashenkos Repressionen gegenüber der Opposition und deren Verlangen nach einer freien, repräsentativen Regierung in Belarus konzentrieren. Natürlich kann nichts rechtfertigen, was Lukashenko getan hat. Doch die Gefahr für Lukashenko ist, dass er bei anhaltenden oppositionellen Tätigkeiten nicht mehr sein eigenes autoritäres Regime in Belarus aufrechterhalten kann und nach noch mehr russischer Hilfe rufen muss. Passiert dies, werden Belarusen möglicherweise nie mehr die Möglichkeit haben eine freie Regierung zu bekommen. 

Schon im Mai 2021 formulierte Bolton in The Washington Post:

Es ist sicher, dass Sanktionen und Äußerungen des Missfallens mit Lukashenko weder sein Verhalten noch sein Regime ändern werden. Vielmehr wird es ihn tiefer in Putins Umklammerung treiben. Das Risiko besteht, dass er hierdurch, möglicherweise für immer, Belarus verliert. 

Bolton sah die territoriale Integrität und Souveränität der Republik Belarus unter einer enormen Bedrohung durch das russische Expansionsbestreben ausgesetzt. Doch er blieb ungehört. Nach einer Entführung einer Ryanair-Maschine und die Inhaftierung zweier Passagiere verabschiedete die EU weitere einseitige Sanktionen gegen Belarus. Dabei half Russland bei dieser Luftpiraterie mit. Wie schon bei der verhaltenen Reaktion auf die russische Annexion der Krim 2014 verfolgte der Westen auch diesmal eine Appeasement-Politik gegenüber dem Kreml.

Aus Fehlern lernen

Doch was hätte der Westen, abgesehen von der Erarbeitung einer seit Jahrzehnten fehlenden langfristig angelegten Belarus-Strategie, anders machen sollen? Laut Bolton hätte der Westen unter Führung der USA ein Übereinkommen mit Lukashenko finden sollen, damit dieser die Macht abgibt, um den russischen Einfluss auf Belarus zu begrenzen. Lukashenko und dessen Familie hätte man eine „schöne Villa an der Riviera“ anbieten können, so Bolton.

Lukashenko und Putin verbindet eine Hassliebe. Minsk steht mitnichten zu 100% hinter Moskau wie auch die FAZ in einem Kommentar treffend feststellte.

Ein ungeliebter Diktator im Exil, ein typischer Lösungsvorschlag politischer Falken. Doch egal wie man zu Boltons Idee stehen mag, im Gegensatz zu den Verantwortlichen in Berlin oder Washington D.C. sah er frühzeitig in den russischen Expansionsbestrebungen, auch auf das Gebiet der Republik Belarus, eine Herausforderung für den Frieden in Europa. Bolton kritisierte  folgerichtig auch, dass Präsident Biden ohne einen Osteuropa-Plan in das Treffen mit Putin im Juni 2021 ging.

Den scharfsinnigen Analysen eines politischen Falken sollten unter gegebenen Umständen doch mehr Gehör geschenkt werden. Denn die nächsten Herausforderungen warten bereits. Die Republik Belarus bereitet sich gegenwärtig (gezwungenermaßen) auf die Ankunft von bis zu 20.000 zusätzlichen russischen Soldaten, sofern diese rekrutiert werden können, für eine mögliche Frühjahrsoffensive gegen die Ukraine vor. Flugplätze werden ausgebaut, Bahnschienen erneuert, Barracken erweitert.

Der Tanz des belarusischen Diktators zwischen Ost und West geht indes unvermindert weiter. Verbal findet Lukashenko traditionell positive Worte für Russland und übernimmt die Propaganda des Kreml. Zuletzt gab es aber auch wieder vorsichtige Anzeichen der Annäherung an den Westen:

Der Krieg muss beendet werden, um den nuklearen Abgrund zu verhindern.
(Im Gegensatz zu russischen Offiziellen spricht Lukashenko vermehrt von „Krieg“)

Gleiches gilt für explizite Taten: Einerseits hielt das belarusische Militär außerordentliche Übungen mit russischen Soldaten ab, eine gemeinsame Kampftruppe wurde zudem vereinbart. Andererseits wurde der Geheimdienst KGB direkt Lukashenko unterstellt – aus Angst vor den russischen Truppen im Land. Außerdem genießen die Bewohner Litauens und Polens eine temporäre visumsfreie Einsreise in die Republik Belarus. Zur Eindämmung der Großmachtfantasien eines Vladimir Putin sollte der Westen Belarus mehr Aufmerksamkeit schenken. Achtsamkeit, Geduld und ein scharfsinniger Blick von (politischen) Falken mag dabei helfen. 

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Wie Republikaner das U.S. Repräsentantenhaus zurückgewinnen wollen

Vierzig lange Jahre dauerte die Wanderung des Volkes der Israeliten unter Führung des Propheten Mose aus der ägyptischen Sklaverei in das kanaanäische Land. Vierzig lange Jahre dauerte auch die Durststrecke der Republikanischen Partei, bis diese wieder die Mehrheit in beiden Kammern des U.S. Kongresses erlangen konnte. Die ersten Zwischenwahlen in der Ära des demokratischen Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1994 gelten bis heute als das Erfolgsmodell schlechthin für die Grand Old Party

Sechs Wochen vor dem Wahltag stellten Republikaner mit dem Contract with America (Vertrag mit Amerika) ein landesweites Wahlprogramm vor. Die ansonsten auf einzelnen Kandidaten fokussierten Wahlen sollten einen überregionalen Rahmen erhalten. Zehn explizite Vorschläge enthielt das von der konservativen Denkfabrik The Heritage Foundation mit ausgearbeitete Programm, welche im U.S. Repräsentantenhaus innerhalb der ersten hundert Tage zur Abstimmung gestellt werden sollten. Der Fokus wurde auf die Themen Bürokratieabbau, Steuersenkungen sowie Reformen des Strafrechts und des Wohlfahrtsstaates gelegt. 

Die Republikanische Partei gewann bei den Zwischenwahlen 1994 54 Sitze im U.S. Repräsentantenhaus sowie neun Sitze im U.S. Senat hinzu. Mit diesem Erdrutschsieg konnte die GOP erstmals seit dem Jahr 1955 wieder die Mehrheit im U.S. Kongress stellen. Newt Gingrich, zusammen mit Dick Armey der Initiator des Contract with America, wurde sodann zum Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses gewählt. Das renommierte TIME Magazin zeichnete Gingrich zudem als Person des Jahres 1995 aus. 

Republikaner orientieren sich an Gingrichs Erfolg

28 Jahre später wird die republikanische Fraktion im U.S. Repräsentantenhaus von Kevin McCarthy angeführt. Seine Partei versucht er aus der Opposition mit einem an Gingrich angelehnten Playbook herauszuführen. Vor der Kulisse eines Unternehmens der produzierenden Industrie stellte McCarthy eineinhalb Monate vor den Zwischenwahlen sein Commitment to America (Verpflichtung für Amerika) vor.

Die Wählerschaft soll mit dem Programm überzeugt werden, warum diese für die Republikanischen Partei stimmen sollte und nicht nur gegen die Politik des amtierenden Präsidenten Joe Biden und dessen Demokratischer Partei, die gegenwärtig knappe Mehrheiten in beiden Kammern des U.S. Kongresses hält. Das Commitment to America wartet jedoch mit vier und wenig detaillierten Themenbereichen mit weniger Inhalt auf als dessen Vorgänger aus den 1990er Jahren. Eine einheitliche(re) Kommunikation für republikanische Kandidaten solle dennoch hergestellt werden.

Commitment to America

Das Commitment to America behandelt explizit die Bereiche Wirtschaft, Sicherheit, Freiheit und Regierung. Unter dem Punkt „An Economy That’s Strong“ (Eine Wirtschaft, die stark ist) wird insbesondere die Inflationsbekämpfung thematisiert. Bewerkstelligen will dies die Republikanische Partei primär durch Senkung der Staatsausgaben. Die Bürger sollen zudem durch gut bezahlte Arbeitsplätze entlastet werden, die Regulierung der Wirtschaft soll zurückgefahren werden. Des Weiteren will die GOP eine höhere Energieunabhängigkeit durch erhöhte Eigenproduktion erreichen. Die herstellende Industrie in den USA soll gestärkt werden, um die Abhängigkeit von China zu minimieren.

Wir wollen die Themen adressieren, welche US-Amerikaner an ihren Küchentischen diskutieren. Die wichtigste Frage, die US-Amerikaner beschäftigt: Kann ich dieses oder jenes noch bezahlen? (Kevin McCarthy)

A Nation That’s Safe“ (Eine Nation, die sicher ist) soll nach der Vorstellung der Republikaner durch eine verstärkte Grenzsicherung und Kriminalitätsbekämpfung erreicht werden. Hierfür plant die Republikanische Partei unter anderem die Einstellung von 200.000 zusätzlichen Polizisten sowie die  von progressiven Demokraten vorangetriebenen Budgetkürzungen für Gesetzeshüter zu verhindern. Auf internationaler Ebene soll die nationale Sicherheit durch eine Politik des „Friedens durch Stärke“ gemeinsam mit den Verbündeten gewährleistet werden.

In ihrem Wahlprogramm thematisieren die House-Republikaner ebenso den Begriff der Freiheit, der die USA traditionell prägt – und spaltet. In der Bildungspolitik sollen Eltern ein stärkeres Mitspracherecht, zum Beispiel bezüglich der Aufklärung, erhalten sowie verpasster Lernstoff auf Grund von Schulschließungen während der Coronavirus-Pandemie nachgeholt werden. Das Gesundheitssystem soll einen stärkeren Wettbewerb erfahren, so dass Preise gesenkt und die Qualität der Behandlungen erhöht werden können. Große Technologiefirmen sollen zudem auf die Herstellung einer größeren Privatsphäre und für einen besseren Datenschutz verpflichtet werden. 

Der vierte Themenbereich beschäftigt sich mit „A Government That’s Accountable“ (Eine Regierung, die verantwortungsbewusst umgeht). Explizit will sich die GOP für die von der Verfassung gegebenen Rechte wie Meinungsfreiheit, Lebensschutz, Religionsfreiheit und dem Tragen von Waffen einsetzen. Sozialversicherung und Medicare (öffentliche und bundesstaatliche Krankenversicherung für ältere oder behinderte Bürger) sollen gestärkt, Machtmissbrauch und Korruption in Washington D.C. durch stärkere Transparenzregelungen verhindert werden. Demokratische Wahlen sollen durch eine Wähler ID, verlässlichere Wählerlisten und zusätzlichen Wahlbeobachtern sichergestellt sein.

Über die Verschwörungstheorie, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2020 gestohlen wurde, findet das Commitment to America freilich keine Worte. Zu viele republikanische Kandidaten sind bei den Zwischenwahlen 2022 von der Empfehlung des ehemaligen Präsidenten abhängig. Ob das republikanische Wahlprogramm jedoch so positives Gehör findet wie einst 1994 gilt auf Grund zahlreicher für die Partei negativer Meldungen, Klagen gegen Trump und der Untersuchungsausschuss zur Stürmung des Kapitols seien an dieser Stelle erwähnt, als fraglich. Selbst eine weitere, längere Durststrecke für die Grand Old Party erscheint auf einmal wieder im Bereich des Möglichen. 

Präsident Biden übt Kritik am republikanischen Wahlprogramm

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