Schon in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump insbesondere in Bezug auf die Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik keinen Stein auf dem anderen gelassen. Die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte der transatlantischen Beziehungen wird infolgedessen durch die Trump-Administration so stark herausgefordert wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Vor diesem Hintergrund äußert sich Dr. Sergey Lagodinsky MdEP (Bündnis 90/ Die Grünen), der unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments ist, im exklusiven Interview zum Verhältnis zwischen den USA und Europa.

Donald Trump ist etwas mehr als 100 Tage zum zweiten Mal im Amt und schon scheint es, als ob die USA und die Welt in einem irreversiblen Umbruch stehen. Aus Ihrem persönlichen Werdegang, aufgewachsen in der Sowjetunion, Umsiedlung nach Deutschland und einem am 11.09.2001 begonnenen Studium in den USA, sind Sie mit Wendepunkten in der Geschichte aus den unterschiedlichsten Perspektiven bestens vertraut. Die gegenwärtigen weltpolitischen Entwicklungen machen vielen Personen Angst. Ihnen auch? Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Zeitenwende?
Ja, ich kenne historische Brüche aus persönlicher Erfahrung – sei es der Zusammenbruch der Sowjetunion, meine Migration nach Deutschland oder die Zeit nach dem 11. September in den USA. All diese Ereignisse zeigen: Wandel bringt Unsicherheit. Die gegenwärtige geopolitische Lage – gerade mit Blick auf das Agieren von Donald Trump – ist bedrohlich. Aber Angst ist kein guter politischer Ratgeber. Angst ist aber gute Motivation: Motivation, um sich zu mobilisieren. Wir brauchen jetzt Entschlossenheit.
Wenn die USA sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen, fällt die sicherheitspolitische Hauptverantwortung auf Europa. Und dafür brauchen wir neue Strukturen. Aus meiner Sicht braucht es ein Europäisches Kerneuropa für Verteidigung und einen Europäischen Sicherheitsrat der Willigen: ein handlungsfähiges Gremium, das Europa verteidigungsfähig macht und den Kontinent strategisch schützt. Nicht jeder muss mitmachen, aber die, die wollen, müssen es können. Das ist der Kern der Idee: Ein Sicherheitsrat der Willigen, der in Ernstfällen entscheidet, nicht endlos debattiert.
Präsident Trump hat gegenüber den meisten US-Handelspartnern Zölle in Höhe von mindestens 10 % beschlossen. Wie sollte sich die Europäische Union diesbezüglich positionieren?
Wir dürfen uns von protektionistischen Reflexen nicht einschüchtern lassen. Europa braucht eine souveräne, resiliente Handelsarchitektur. Statt in einen Zollwettstreit einzusteigen, sollten wir gezielt auf strategische Partnerschaften setzen – mit Demokratien weltweit. Und wir müssen unsere eigenen Stärken nutzen: Wir sind eine der größten Handelsmächte der Welt. Wenn Trump versucht, uns mit Zöllen unter Druck zu setzen, müssen wir klug, aber auch mit Rückgrat reagieren. Dazu gehört auch: Investitionen in europäische Schlüsselindustrien und ein klarer wirtschaftlicher Kurs, der nicht von Tageslaunen in Washington abhängt, sondern auf internationale Kooperationen setzt und nach neuen Bündnissen sucht.
| Steckbrief Dr. Sergey Lagodinsky MdEP | |
|---|---|
| Geburtsdatum | 01.12.1975 |
| Geburtsort | Astrachan, Sowjetunion |
| Ausbildung | Universitäten Göttingen, Harvard und HU Berlin (Rechtswissenschaften, Public Administration) |
| Politischer Werdegang | Abgeordneter des Europaparlaments (seit 2019), Referent Heinrich-Böll-Stiftung (2012 – 2019) |
Seit Trumps Amtsantritt hängt auch über den US-Hilfen für die von der Russischen Föderation angegriffene Ukraine ein Damoklesschwert. Welche Maßnahmen sollte die EU ergreifen, damit die Ukraine eine bestmögliche Ausgangsposition für mögliche Friedensverhandlungen bekommt?
Wenn die USA schwanken, darf Europa nicht wanken. Sollte Trump die Unterstützung für die Ukraine kürzen oder beenden, dann muss die EU bereit sein, die volle Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet: kontinuierliche militärische, humanitäre und ökonomische Hilfen für die Ukraine – aber auch strategische Klarheit. Mit meinem Vorschlag eines Europäischen Sicherheitsrats der Willigen fordere ich eine Struktur, die schnell und effektiv reagieren kann – ohne Blockaden durch einzelne EU-Staaten. Wir müssen handlungsfähig bleiben, um der Ukraine nicht nur zu helfen, sondern sie zu stärken – auch im Hinblick auf Friedensverhandlungen aus einer Position der Stärke.

Die Russische Föderation agiert bekanntlich nicht erst seit ihrer vollumfänglichen Invasion der Ukraine aggressiv. Ist ein nachhaltiger Frieden in Europa überhaupt möglich?
Ein nachhaltiger Frieden ist möglich, wenn wir unsere Hausaufgaben machen. Putins Strategie der Einschüchterung richtet sich zunehmend gegen Europa. Frieden ist nur denkbar, wenn Europa klar signalisiert, dass wir selbst verteidigungsfähig und verteidigungswillig sind. Und dafür braucht es eine neue Verteidigungsarchitektur – agil, strategisch und kooperativ.
Verantwortete Präsident Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act in monetärer Hinsicht noch die bislang größten Anstrengungen der USA im Kampf gegen den Klimawandel, plant Präsident Trump eine stärkere Förderung von Kohle und Erdöl. Ist der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel schon verloren?
Nein, verloren ist er nicht – aber er ist in Gefahr. Trumps energiepolitische Vorstellungen sind ein Rückfall in fossile Denkmuster, die wir uns nicht mehr leisten können. Europa muss deshalb mehr denn je Vorreiter sein. Nicht „drill baby drill“ sondern „shine baby shine“! Wir haben mit dem Green Deal einen starken Rahmen – jetzt müssen wir ihn auch umsetzen, unabhängig von den USA. Gleichzeitig sollten wir globale Allianzen stärken – mit Kanada, Australien, Japan, aber auch mit progressiven Kräften in den USA selbst. Denn Klimaschutz ist kein nationales Projekt – es ist eine Menschheitsaufgabe. Und ein Wirtschaftsmotor ist er auch, wenn man den richtig anpackt. Rückschläge dürfen uns nicht entmutigen, sondern müssen unser Engagement verstärken.
Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Kai-Uwe Hülss M.A.
Weitere Informationen zu Dr. Sergey Lagodinsky MdEP gibt es auf seiner Website sowie auf seinen Social-Media-Präsenzen auf Facebook, Instagram und X.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken; Sergey Lagodinsky/ EP; Sergey Lagodinsky/ Henning Angerer.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.



Ich freue mich, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten klargestellt hat, dass die Verfassung der USA kein Recht auf Tötung eines ungeborenen Kindes enthält. Das ist ein großer Sieg für das Recht auf Leben und natürlich auch für die weltweite Pro-Life-Bewegung.
Im Übrigen entspricht das jetzige Urteil grundsätzlich auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland. Es hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass auch das ungeborene Kind ein Lebensrecht hat, welches durch den Staat zu schützen ist.