Als zuletzt die Hälfte der US-Amerikaner Vertrauen in den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten hatten, war Präsident George W. Bush noch in seinem zweiten Amtsjahr. Seitdem ging es kontinuierlich bergab für das Ansehen des Supreme Court. Am Ende der Ära von Präsident Barack Obama hatten nur noch 36 Prozent der US-Amerikaner Vertrauen in die Judikative. Im Juni diesen Jahres fiel dieser Wert laut der jährlich durchgeführten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup auf nur noch 25 Prozent.
Die Hauptschuld an dieser für den Zustand der US-amerikanischen Demokratie gefährlichen Entwicklung tragen die beiden großen Parteien, welche den Obersten Gerichtshof immer stärker ideologisieren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Mit Joe Biden und Donald Trump bezeichneten sogar die letzten beiden Präsidenten Entscheidungen des Supreme Court als „skandalös“. Die Parteiführer im U.S. Kongress unterminieren mit ihrer Arbeit im Hintergrund die eigentliche unabhängige Rolle der Judikative zudem.
Perfektioniert hat dieses dunkle Spiel der Macht, welches schon nahezu an House of Cards erinnert, der republikanische Minderheitsführer im U.S. Senat, Mitch McConnell. Beispiel: Als im Februar 2016 der konservative Oberste Richter Antonin Scalia, verstarb, verweigerte der damals noch republikanisch dominierte U.S. Senat dem von Präsident Obama nominierten Merrick Garland das Votum. Die Begründung McConnells, der damals die Senatsmehrheit anführte: die im November anstehende Präsidentschaftswahl.
Gleichwohl es nicht ungewöhnlich ist, dass die konkurrierende Partei – sofern diese über die Senatsmehrheit verfügt – im Präsidentschaftswahljahr eine Nominierung für den Obersten Gerichtshof blockiert, lässt der mit neun Monaten vor der Wahl frühe Zeitpunkt und die Tatsache, dass es nicht einmal zu einer Anhörung kam, aufhorchen. Letztendlich ging es es McConnell darum, die Balance des Supreme Court zwischen Richtern, welche die Verfassung traditionell auslegen und Juristen mit einer moderneren Verfassungsauslegung kurzfristig zu wahren, um später den Obersten Gerichtshof bei weiteren Vakanzen im Sinne des Konservatismus zu stärken.
14 Monate nach Scalias Ableben wurde letztendlich der von Präsident Trump nominierte Neil Gorsuch als Verfassungsrichter vereidigt. Dem seit dem Jahr 1997 am U.S. Court of Appeals for the District of Columbia Circuit amtierenden Richter Garland blieb folglich auch beim dritten Anlauf, schon in den Jahren 2009 und 2010 wurde er von Präsident Obama als Verfassungsrichter in Betracht gezogen, der Karriereschritt zum höchsten Gericht des Landes verwehrt.
Das besonnene Auftreten und die Qualifikation des Harvard Law Absolventen blieb Joe Biden jedoch im Gedächtnis. Als neugewählter Präsident entschied sich Biden für Garland und gegen den als Favorit geltenden abgewählten U.S. Senator Doug Jones als Attorney General. Im politischen System der USA nimmt der Attorney General eine Zwitterstellung zwischen Justizminister und Generalstaatsanwalt ein. Für diese Position sollte Garland auch eine Mehrheit im U.S. Senat erhalten: Am 11.03.2021 bestätigten 70 U.S. Senatoren bei 30 Gegenstimmen die Personalie.
Der im Jahr 1952 in Chicago, Illinois, geborene Garland wurde im Sinne des konservativen Judentums erzogen. Seine Wurzeln väterlicherseits liegen im zaristischen Russland. Aus dem Gebiet des heutigen Litauen und Polen emigrierten Garlands Großeltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts wegen des ansteigendem Antisemitismus in die USA. Seit 1987 ist Garland mit Lynn, dessen Großvater einst die US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman beriet, verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor.
Dem Amt des Attorney General versucht Merrick Garland nach der auch in diesem Gebiet herausfordernden Ära Trump wieder mehr politische Unabhängigkeit zu verleihen. Kein leichtes Unterfangen, wird sich Garland doch auch damit befassen müssen, ob der ehemalige Präsident Trump auf Grund dessen Rolle rund um die Stürmung des U.S. Kapitols angeklagt werden sollte. Ob Garland als Teil der Biden-Administration der Bevölkerung wieder mehr Vertrauen in die Judikative vermitteln kann?
Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; The White House; Biden-Transition; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.