Als Supermacht haben die Vereinigten Staaten einen enormen Einfluss auf globale Entwicklungen sowie gegebenenfalls auf andere Länder. Weltweit gesehen nahmen die USA zuletzt bei der Herstellung und Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus eine Führungsrolle ein. Die Ukraine könnte sich, trotz heroischem Einsatzes, ohne US-amerikanische Militärhilfen kaum gegen die imperialistischen Bestrebungen Russlands zur Wehr setzen.
Die USA besitzen auf Grund ihrer ökonomischen und militärischen Stärke über ein hohes weltweites Gestaltungspotential, im positiven wie im negativen Sinne – Stichwort Afghanistan – wohlgemerkt. Daran anschließend haben Politiker, die erstmals in das Amt des Präsidenten gewählt werden, in der Regel ihre ganz eigenen Idealvorstellungen einer US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Visionen werden durch Realpolitik eingetauscht
Entgegen der oftmals verbreiteten Meinung, dass US-Präsidenten die mächtigsten Personen der Welt seien, werden deren Visionen oftmals von den außenpolitischen Realitäten eingeholt. Der sich insbesondere nach innen gerichtete mitfühlende Konservatismus eines George W. Bush wurde durch die islamistischen Terroranschläge des 11. September 2001 zunichte gemacht. Kriege in Afghanistan und im Irak folgten. Barack Obama versuchte sich an einem Neustart der Beziehungen zu Russland, nur um während seiner zweiten Amtszeit die Annexion der ukrainischen Krim sowie weiterer ostukrainischer Gebiete durch Moskau erleben zu müssen.
Der amtierende Präsident Joe Biden wiederum plante den außen- und sicherheitspolitischen Fokus auf Asien, auf welchem das Hauptaugenmerk schon seit der Ära Obama gerichtet ist, weiter zu intensivieren. Doch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine veranlasste die USA zu einem erneuten primären Engagement in Europa. Doch nicht nur das: Die energiepolitischen Folgen der russischen Aggression ließen die von Präsident Biden geplante Nahostpolitik zunichte machen.
Biden wollte Saudi-Arabien zum Pariastaat machen
Als Reaktion auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul, Türkei, im Jahr 2018 wollte Präsident Biden das Königreich Saudi-Arabien ursprünglich zu einem „Pariastaat“, sprich zu einem von der Weltgemeinschaft geächteten, ausgeschlossenen Land, machen. „Kein Blankoscheck mehr für Saudi-Arabien“, so Bidens Leitmotiv. Der Geheimdienstbericht zum Mord an Khashoggi wurde infolgedessen ebenso veröffentlicht wie neue Sanktionen, unter anderem Einreiseverbote für 76 Personen, die Dissidenten im Ausland terrorisierten, verabschiedet.
Die mittlerweile seit 80 Jahren bestehenden strategischen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien haben einen Tiefpunkt erreicht. Dennoch reist Präsident Biden eineinhalb Jahre nach Amtsantritt, im Vergleich zu seinen beiden direkten Vorgängern ein sehr später Zeitpunkt, nach Saudi-Arabien. Kurz vor Reiseantritt relativierte der US-Präsident in einem Gastbeitrag für „The Washington Post“ sodann seine Positionen zum Königreich, in dem er von einer „Neuorientierung“ der Beziehungen und nicht von einem „Zerwürfnis“ schrieb.
Präsident Biden sucht, wie er auch in „The Washington Post“ ganz offen verlautbaren ließ, nach Antworten auf „Russlands Aggression“, aber auch um die bestmögliche Position im Wettstreit der Systeme mit der Volksrepublik China. Darin liegt Bidens diplomatische Offensive mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, dem mächtigsten Mann des Königreichs, zum jetzigen Zeitpunkt begründet.
Biden und der Westen benötigen billiges arabisches Erdöl
In Dschidda wird Präsident Biden insbesondere hinter den Kulissen für eine Ausweitung der Fördermenge von Erdöl werben, um zu versuchen, die gegenwärtig hohen Preise zu senken. Da Biden auch am Treffen des Golf-Kooperationsrats teilnimmt, kann der US-Präsident zudem auf weitere für die Energiepolitik bedeutende Länder, die Vereinigten Arabischen Emirat seien exemplarisch genannt, Einfluss nehmen. Die Aufrechterhaltung der Wasserstraßen für den globalen Handel, Stichwort gestörte Lieferketten, wird zudem auf der Tagesordnung stehen.
Zur Zielerreichung wird Präsident Biden versuchen müssen, mit dem globalen Einfluss der USA um die ölreichen Länder des Nahen Ostens zu werben. Angetrieben durch den enormen energiepolitischen Druck, ausgelöst durch den von Russland begonnenen größten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs, sieht sich Präsident Biden auf einmal in der Rolle des Vermittlers im Nahen Osten wieder.
Präsident Biden will in Dschidda auch die Thematik der Überflugrechte für israelische Passagierflugzeuge über Saudi-Arabien ansprechen.
Paradoxerweise sieht sich Präsident Biden nun gezwungen die Nahostpolitik seines ungeliebten Vorgängers in großen Teilen fortzusetzen. Was mit den Abraham Verträgen, der Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan, begann, soll nun mit der Bildung neuer Koalitionen fortgesetzt werden.
Bidens Reise nach Saudi-Arabien wird infolgedessen mit einem wirkmächtigen Symbol beginnen: Biden wird nämlich als erster Präsident überhaupt direkt von Israel nach Dschidda fliegen. In der Entdeckung eines alten, aber anrüchigen Verbündeten versucht sich nun auch Präsident Biden in der Gestaltung der Zeitenwende im Nahen Osten.
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