Liberale Demokratien stehen weltweit unter Druck. Einem äußeren Druck werden sie durch die Volksrepublik China unter Xi Jinping, durch die Russische Föderation unter Vladimir Putin und nun auch durch die USA unter Donald Trump ausgesetzt. Alle drei Staatschefs vereint ihre Ablehnung gegenüber liberalen Demokratien sowie ihr Ziel, die nach dem Zweiten Weltkrieg regelbasierte internationale Ordnung zu ersetzen.
Im Inneren wiederum werden liberale Demokratien von Europa bis nach Nordamerika von der eigenen Wählerschaft herausgefordert. Beispielsweise wurde bei den jüngsten Parlamentswahlen in Österreich die rechtspopulistische und russlandfreundliche FPÖ stärkste Kraft. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen in Deutschland vereinten pro-russische Parteien ein Viertel der abgegebenen Wählerstimmen auf sich. Und in den USA triumphierte vergangenen November Trump und die MAGA-Bewegung.
Was also tun, wenn die eigene Bevölkerung vermehrt gegen die eigenen Werte, die eigenen Interessen ihrer Länder abstimmt? Freilich, zunächst sollten die gestandenen Parteien an ihrer Kompetenz zur Lösung von Problemen arbeiten. In den Vereinigten Staaten von Amerika versuchte vor diesem Hintergrund Präsident Joe Biden die Arbeiterschaft, die bis zum Auftreten von Trump auf der politischen Bühne mehrheitlich für die Demokratische Partei votierte, mit zahlreichen Investitionsprogrammen und einer arbeitnehmerfreundlichen Politik zurückzugewinnen.
In der Tat entwickelte sich die Wirtschaft samt Arbeitslosenquote nach den drastischen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie unter dem 46. Präsidenten positiv. Selbst die über einen längeren Zeitraum (zu) hohe Inflationsrate stieg zuletzt weniger stark an. Und dennoch votierten bei der Präsidentschaftswahl 2024 US-Amerikaner mehrheitlich für eine Person, die das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 bis heute nicht anerkennt, einen Anteil beim Sturm auf das Kapitol hatte und ein rechtmäßig verurteilter Straftäter ist.
Ist die Wählerschaft also „Zu dumm für die Demokratie?“ wie Mark Schieritz in seinem gleichnamigen Werk provokativ fragt? In dem 160 Seiten starken und im Droemer Verlag erschienenen Buch macht sich der Journalist der renommierten Wochenzeitung Die Zeit infolgedessen auf die Suche, wie „die liberale Ordnung [geschützt werden kann], wenn der Wille des Volkes gefährlich wird“.
In den westlichen Demokratien ist das Volk (…) seit der Niederlage von Hillary Clinton ins Zentrum der Politik gerückt. Man darf ihm nichts zumuten und muss es nehmen, wie es ist. Sonst wird es böse und wählt Parteien, die die Demokratie ablehnen.
Mark Schieritz: „Zu dumm für die Demokratie?“, S. 12.
Dabei geht der Autor ebenso auf die Geschichte der Demokratie im antiken Griechenland ein wie auf die (angeblichen) Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie den Grenzen des (mutmaßlichen) Volkswillens, der von der Politik mittlerweile viel zu wenig Einhalt geboten wird. Bei letzterem Punkt gelten für die Bundesrepublik Deutschland die Westbindung unter Konrad Adenauer, der NATO-Doppelbeschluss unter Helmut Schmidt sowie die Einführung des Euro unter Dr. Helmut Kohl als Gegenbeispiele, für die es in der jüngsten Vergangenheit kaum noch eine Fortsetzung gibt.
Es gibt (…) Gründe, dem Volk nicht blind zu vertrauen, vor allem vor dem Hintergrund einer zunehmend von Algorithmen und Desinformation geprägten Medienlandschaft.
Schieritz: „Zu dumm für die Demokratie“, S. 14.
Unter den oben genannten Gesichtspunkten vertritt Schieritz die These, „dass unter dem Vorwand ihrer Demokratisierung eine Entkernung der liberalen Demokratie betrieben wird (S. 17).“ Mit anderen Worten ausgedrückt: In der Zeit der Globalisierung, der Verdichtung von Raum und Zeit, in der Herausforderungen von einer immer höheren Komplexität bestimmt werden, versprechen Populisten einfache Lösungen, die es allerdings gar nicht mehr geben kann.
Die liberale Demokratie benötigt folgerichtig (weitergehende) Mechanismen zu ihrem eigenen Schutz, bei der auch auf die Wählerschaft eine (höhere) Verantwortung zukommen sollte. In seinem sehr lesenswerten Buch „Zu dumm für die Demokratie?“ regt Mark Schieritz hierfür eine dringend benötigte Debatte zum Schutz liberaler Demokratie an.
Vielen Dank an den Droemer Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars. Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).
Die offizielle Buchbeschreibung
Über die Verantwortung zur Freiheit
Die Krise der Demokratie wird oft mit einer Krise der Politik gleichgesetzt: Menschen wählen angeblich populistische oder extremistische Kräfte, weil die gemäßigten Parteien nicht auf ihre Sorgen und Ängste eingehen. Aber hat das Wahlvolk wirklich immer recht? Und wie können wir unsere Demokratie schützen, wenn sich ein Teil der Bevölkerung von ihr abwendet? Der renommierte ZEIT-Journalist Mark Schieritz fordert in seinem pointierten Debattenbuch: Nicht nur die Politiker, sondern auch die Wählerinnen und Wähler müssen Verantwortung übernehmen. Denn eine liberale Demokratie ist auf Haltung angewiesen – sonst wird sie zur Fassade.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; Droemer Verlag; eigene Grafiken.
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