Vor drei Jahren begann die Russische Föderation ihre vollumfängliche Invasion der Ukraine. Der größte Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs deutete sich schon Jahre zuvor an. Kurz vor seinem Tod warnte der einstige US-Präsident Richard Nixon beispielsweise schon im Jahr 1994 vor dem russischen Imperialismus und vor einem erneuten großen Krieg in Europa (Klick hier). Auch in den 2000er Jahren sprachen unter anderem George W. Bush, Mitt Romney oder John McCain das weiterhin aggressiv auftretende Russland als eine Gefahr für den Frieden in Europa an (Klick hier).
Europäer im Schlafwagen der Geschichte
Doch die meisten politisch Verantwortlichen des alten Kontinents, insbesondere in Deutschland, befanden sich trotz zahlreicher Warnungen von genannten US-Politikern, aber auch von Politikwissenschaftlern, Sicherheitsexperten und Historikern im Schlafwagen der Geschichte wieder. Selbst der schrittweise Rückzug der einzig verbliebenen Supermacht USA von Europa, seit der Ära des demokratischen Präsidenten Barack Obama wird die größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts parteiübergreifend im Indo-Pazifik gesehen, ließ die Länder der Europäischen Union ebenso wenig in Bezug auf die Sicherheitspolitik „Erwachsen werden“ wie die erste Amtszeit des unberechenbaren Donald Trump.
Mit der vollumfänglichen russischen Invasion der Ukraine am 24.02.2022 wurde in Deutschland zwar eine sicherheitspolitische Zeitenwende ausgerufen. Doch auch das Auflegen eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden € brachte keine signifikante Verbesserung der eigenen Verteidigungsbereitschaft mit sich.
Wenn die Gesellschaft die Notwendigkeit von Verteidigung nicht versteht und unterstützt, kann sich ein Land nicht lange verteidigen.
Dr. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Gastbeitrag für Table.Briefings.
Politik und Medien verpackten, wie schon während der Coronavirus-Pandemie, zudem die Bevölkerung in eine staatlich subventionierte Wohlfühloase, so dass, anders als im Baltikum und in Polen, kaum ein Bewusstsein für eine real existierende Kriegsgefahr über die Ukraine hinaus in Mitteleuropa entstehen konnte.
Besonnene Unterstützung der Ukraine stärkte mittelfristig den russischen Aggressor
Schließlich waren es einmal mehr die US-Amerikaner, die in Europa ein Bollwerk gegen den russischen Imperialismus aufbauten. Nachdem der ukrainische Präsident Volodymir Zelensky ein Evakuierungsangebot von Seiten der US-Amerikaner ablehnte übernahm der damalige US-Präsident Joe Biden die Führung, baute eine Allianz der Demokratien gegen die Autokratien auf. Die Ukraine wird seitdem von mehr als 45 Nationen mit militärischer Ausstattung, monetären Mitteln und humanitärer Hilfe in ihrem Überlebenskampf unterstützt. Laut dem US-Außenministerium unterstützten alleine die USA in den drei Kriegsjahren die Ukraine mit militärischer Ausstattung im Wert von $ 65,9 Milliarden, was letztendlich auch ein Konjunkturprogramm für die eigene Rüstungsindustrie darstellte.
Doch hinter den hohen finanziellen Anstrengungen verbarg sich bei der Lieferung von schwereren Waffen eine Zurückhaltung von Seiten Präsident Bidens. Für den 46. US-Präsidenten lag die Priorität seiner Entscheidungen zwar einerseits in der Erhaltung eines souveränen, unabhängigen ukrainischen Staates. Andererseits sollte gleichzeitig eine Ausweitung der russischen Aggression auf das Territorium der NATO verhindert werden. Mit dieser Strategie, die mit Ronald Reagans erfolgreichem Konzepts eines „Friedens durch Stärke“ nichts gemein hatte, konnte die Ukraine die russischen Invasionstruppen zwar von den Außenbezirken der Hauptstadt Kyiv ebenso zurückdrängen wie von den Oblasten Kharkiv und Kherson. Doch ein vollumfänglicher Sieg war und ist so nicht möglich.
Trump will Frieden um jeden Preis – solange er sich als Sieger verkaufen kann
Nach drei Jahren russischem Vernichtungskrieg kontrollieren die Invasoren ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes. Der Frontverlauf änderte sich in den vergangenen Monaten marginal. Russen warten, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass sich die Ukraine wegen westlicher Auflagen nur eingeschränkt verteidigen kann, jedoch mit Vorteilen auf. Der neue Hausherr in der 1600 Pennsylvania Avenue brach nun mit der Biden-Doktrin, dass es westliche Unterstützung so lange geben werde wie es nötig sei. Präsident Trump will vielmehr die kriegerische Auseinandersetzung schnellstmöglich beenden, um sich danach der eigentlichen Herausforderung China vollumfänglich zuwenden zu können.
Dabei scheint es der Trump-Administration jedoch nicht in erster Linie um einen gerechten, nachhaltigen Frieden in Osteuropa zu gehen. Vielmehr ist Präsident Trump an einem kurzfristigen eigenen Erfolg, Stichwort „Friedensstifter“, sowie an ökonomischen Vorteilen, Stichworte Mineralienhandel mit der Ukraine sowie Aufhebung der Sanktionen zu und wirtschaftlichem Handel mit Russland, interessiert. Dass Präsident Trump hierbei über den Köpfen der Europäer hinweg entscheiden will, macht die ohnehin schon bestehende große sicherheitspolitische Herausforderung ebenso wenig geringer wie die Nicht-Bestrafung eines Aggressors bei der gewaltsamen Verschiebung von international anerkannten Grenzen.
Die USA unter Trump sind kein verlässlicher Partner
Die America First Politik der zweiten Administration von Präsident Trump, die sich schon jetzt grundlegend von seiner ersten Amtszeit unterscheidet, unterstreicht, dass sich das freie Europa nicht mehr auf die USA verlassen kann und darf. Ken Wenstein vom konservativen Hudson Institute äußerte gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung die Auffassung, dass die „Europäer (…) begreifen müssen, dass ihre Ferien von der Geschichte zu Ende sind“. Jahrelange Warnungen ohne dementsprechendes Handeln wird den territorialen Hunger des historisch geprägten russischen Imperialismus, der auch nach der Präsidentschaft von Vladimir Putin wohl kaum sein Ende finden würde, nicht stoppen können.
Drei Jahre nach dem Ausbruch des größten Angriffskriegs auf europäischem Boden seit 1945 ist der russische Diktator seinem übergeordneten Ziel einer neuen Weltordnung näher denn je. Niemand geringeres als der amtierende US-Präsident, welcher der wertebasierten Weltordnung sowie dem Globalismus den Kampf angesagt hat, könnte dem Herrscher im Kreml diesen Sieg bescheren. „Unsere gemeinsame Wertegrundlage ist nicht mehr so gemeinsam“ stellte Christoph Heusgen bei seiner letzten Münchner Sicherheitskonferenz als Vorsitzender nach der Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance (siehe unten) fest. Der Auftritt von Trumps Stellvertreter sowie das mit den Verbündeten unabgesprochene Telefont mit dem russischen Diktator Putin zuvor und den Aussagen des Verteidigungsministers Pete Hegseth (Infragestellung der Beistandspflicht) leiteten eine wahre Zeitenwende ein.
Chance in der Krise
Ihre jahrelange, insbesondere im Westens des Kontinents bestehende, Lethargie kommt Europa nun auf vielfältige Weise teuer zu stehen. Doch die größte sicherheitspolitische Herausforderung in der Geschichte der liberalen Demokratien sollte auch als Chance gesehen werden, militärisch eigenständiger zu werden und sich von Drittstaaten auch ökonomisch und energiepolitisch unabhängiger zu machen. Ergreift das freie Europa diese Chance nicht, könnten schon in wenigen Jahren auch in Städten der Europäischen Union statt der jahrelangen Warnrufe Sirenen erklingen. So wie in Kyiv seit mittlerweile drei Jahren.

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