Am 16.06.2001 trafen sich der frisch ins Amt gekommene US-Präsident George W. Bush und sein russischer Amtskollege Vladimir Putin erstmals zu bilateralen Gesprächen. Mit Brdo pri Kranju im Nordwesten Sloweniens wurde für das Aufeinandertreffen ein neutraler Ort gewählt. Laut Aussagen beider Delegationen kamen die beiden Staatschefs besser miteinander zurecht als erwartet. Dabei war die Stimmung zu Beginn des Gipfels in Slowenien alles andere als gut. Doch Präsident Bush ging sehr gut vorbereitet in das Treffen. Der Republikaner brach das sprichwörtliche Eis, indem er Putin auf dessen in Jerusalem gesegnete Kreuzkette ansprach, die dieser einst von seiner Mutter geschenkt bekam. Eine Information, die Präsident Bush durch die CIA erhielt. Putin ließ daraufhin von seinen vorbereiteten Sprechkarten ab und entspannte sich.
Am Ende des Gipfeltreffens sprach ein Journalist Präsident Bush darauf an, ob er Putin nun vertrauen würde. Der 43. US-Präsident antwortet legendär: „Ich schaute in seine [Putins; Anm. d. Verf.] Augen und ich sah eine Seele“. In der Nachbetrachtung erklärte Präsident Bush, dass er mit dieser Strategie eine persönliche Beziehung zum damals erst knapp zwei Jahre amtierenden Machthaber im Kreml aufbauen wollte. Die beste Diplomatie, so Präsident Bush, sei eben persönliche Diplomatie. Eine Weisheit, die ihm offenbar sein Vater George H. W. Bush mitgab, der durch seine persönlichen Beziehungen auch die Deutsche Wiedervereinigung ermöglichte.
Bush revidierte seine anfängliche Einschätzung über Putin
Noch im gleichen Jahr erfolgte ein weiteres Treffen zwischen Präsident Bush und Putin. Im November empfing der US-Präsident seinen russischen Amtskollegen auf seiner Ranch im texanischen Crawford. Auch dieses Treffen verlief positiv. Zwei Monate nach den islamistischen Terroranschlägen von New York City, Washington D.C. und Pennsylvania teilten die beiden Staatschefs doch das gemeinsame Ziel der Bekämpfung des Terrorismus. Freilich definierte Putin die Terrorismusbekämpfung bereits damals anders als sein US-amerikanischer Amtskollege. Die Russische Föderation führte zu diesem Zeitpunkt den Zweiten Tschetschenienkrieg, um nach eigener Lesart die islamistischen Aufständischen in der abtrünnigen Teilrepublik niederzuschlagen. Mehr als 80.000 Personen fielen den Kämpfen zum Opfer, massive Menschenrechtsverletzungen wurden dokumentiert.
Präsident Bush wollte der Ukraine und Georgien einen Weg in die NATO aufzeigen, um „die jungen Demokratien auf ihrem Weg zu unterstützen“. Doch das Ansinnen scheiterte im Jahr 2008 am Veto Deutschlands und Frankreichs.
Im Verlauf der Amtszeit von Präsident Bush verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation wieder. Putins Rückbau der Gewaltenteilung im Inland, dessen Infragestellung der monopolaren Weltordnung auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sowie der Kaukasuskrieg 2008 machten den russischen Herrscher schon im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zu einem herausfordernden Gesprächspartner. Am Ende der achtjährigen Amtszeit von Präsident Bush war der Republikaner der Meinung, dass sich Putins Seele „durch Macht, Geld und Sex“ verdunkelt habe. Über Putins Zielsetzung, das Russische Reich in den Grenzen des alten Zarenreichs wieder zu errichten, war Bush folgerichtig nicht überrascht. Mit dem chaotischen Abzug aus Afghanistan im Jahr 2021 hätten, so Bush, die USA und ihre Verbündeten Schwäche gezeigt und damit Putin ermutigt, seine Ziele noch intensiver zu verfolgen.
Schon Obama interessierte sich nicht für Osteuropa
Im Verlauf seiner Amtszeit zeigte Präsident Bush eine gewisse Lernbereitschaft hinsichtlich seines Verhältnisses zu Putin. Im Gegensatz zu seinem Nach-Nachfolger Donald Trump erkannte er die Realitäten in Form eines imperialistischen Russlands und eines autokratischen Führers Putin an. Eine Realität, die auch Präsident Barack Obama zunächst nicht sehen wollte und sogar einen Neustart in den Beziehungen mit Russland propagierte. Die sicherheitspolitische Verantwortung während der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Krim im Jahr 2014 schob der Friedensnobelpreisträger sodann an die Verantwortlichen in der Europäischen Union und damit an eben jene Politiker, die einen naiven „Wandel durch Handel“ mit der russischen Diktatur vertraten, ab.
Im Februar 2022 folgte bekanntlich die vollumfängliche russische Invasion der Ukraine. 3,5 Jahre danach dauert der größte Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs unvermindert an. Russland verübt unentwegt Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung, entführt ukrainische Kinder und steckt diese in Umerziehungslager. Auf sicherheitspolitischer Ebene lässt derweil Moskau nicht von seinen Maximalforderungen ab. Dies liegt nicht zuletzt in der Tatsache begründet, dass der 47. US-Präsident seine Rolle als Führer der freien Welt nicht wahrnehmen will und das freie Europa auf markige Worte lediglich Scheindebatten, aber kaum explizite Taten zur Eindämmung des historisch begründeten russischen Imperialismus folgen lässt.
Ungehörte Warnungen
Die liberalen Demokratien lechzen regelrecht nach Führungspersönlichkeiten vom Schlage eines Ronald Reagan oder eines Winston Churchill. Die Vereinigten Staaten hätten in den Jahren 2008 und 2012 zumindest die Chance auf die Wahl von Präsidenten mit einem sicherheitspolitischen klaren Werteprofil gehabt. Der Veteran aus dem Vietnamkrieg John McCain warnte schon während des Präsidentschaftswahlkampfs 2008 davor, dass „Herr Putin versucht, das alte russische Reich wieder herzustellen“.
Nichts provoziert Putin mehr als Schwäche.
John McCain im Jahr 2014.
Doch sieben Jahre nach Ausrufung des Krieges gegen den Terror durch Präsident Bush waren US-Amerikaner kriegsmüde und wählten den außen- und sicherheitspolitisch unerfahrenen Obama zu ihrem 44. US-Präsidenten. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Krim prognostizierte der damalige U.S. Senator McCain zudem, dass Putin die Ostukraine vom Rest der Ukraine abtrennen wolle, um somit eine Landverbindung zur Halbinsel zu ermöglichen. Acht Jahre später trat McCains Prophezeiung ein.
Im Jahr 2012 setzte sich Präsident Obama gegen seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney durch. Im Wahlkampf bezeichnete Romney „Russland (…) ohne Frage, [als] unser[en] geopolitischen Gegner Nummer eins“ (Weitere Hintergründe: Klick hier). Präsident Obama, der Russland abwertend als „Regionalmacht“ bezeichnete, und Medien hatten für Romneys Aussage nur Spott übrig. Eine fatale Reaktion wie die weitere Geschichte zeigen sollte. Warnungen in Bezug auf russische Expansionsbestrebungen gab es alleine aus den USA zur Genüge (siehe eigenen Beitrag: Klick hier). Gab Präsident Bush zu Beginn dieses Jahrtausends Putin noch eine Chance, musste er sich doch der bitteren Erkenntnis der Wiederkehr des russischen Imperialismus beugen. Bush nahm diese herausfordernde Realität an. Ganz im Gegensatz zu vielen heutigen politisch Verantwortlichen in Washington D.C., Paris, Berlin und anderswo.

Ein Beitrag von Kai-Uwe Hülss M.A.
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