Rede zur Lage des Wahlkampfs

Im Sommer des Jahres 2020 erreichte die Coronavirus-Pandemie ihre Hochphase. Die Fallzahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika stiegen in den Sommermonaten auf ihren vorläufigen Höchststand. Ein Impfstoff war noch nicht entwickelt, je nach Bundesstaat wurde ein mehr oder minder strikter Lockdown verhängt.

An einen gewöhnlichen Präsidentschaftswahlkampf mit zahlreichen Massenveranstaltungen war nicht zu denken. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden führte einen denkwürdigen Wahlkampf primär aus dem Keller seines Hauses in Wilmington, Delaware. Mit der Wählerschaft trat der Demokrat vorwiegend virtuell in Kontakt – oftmals zudem wenig professionell.

Nach vier turbulenten Jahren unter Präsident Donald Trump sehnte sich die Mehrheit der US-Amerikaner nach medialer Ruhe. Biden gab ihnen dies nicht nur durch sein altersbedingtes zurückhaltendes Auftreten. Auch und insbesondere kam dem einstigen Vizepräsidenten unter Präsident Barack Obama der durch die Pandemie auferlegte ruhigere Wahlkampf zugute.

2024 wird ein grundlegend anderer Wahlkampf als 2020

Doch was 2020 erfolgversprechend war, ist es definitiv im Jahr 2024 nicht. Denn die Umstände haben sich grundlegend geändert. Die Coronavirus-Pandemie erreichte dank eines schnell entwickelten und massenweise verabreichten Impfstoffes eine neue Phase. Die Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 gehören in allen 50 US-Bundesstaaten der Vergangenheit an.

Im Weißen Haus residiert Biden nun selbst. Die Umfragewerte des 46. US-Präsidenten ähneln sich zudem denen seines Vorgängers. Zuletzt kam Biden bei den auf Real Clear Politics veröffentlichten Durchschnittswerten der wichtigsten Umfrageinstitute auf einen Zustimmungswert von 44,0 Prozent, 52,3 Prozent der US-Amerikaner lehnen ihn ab. Zum gleichen Zeitpunkt seiner Präsidentschaft kam Trump auf die exakt gleichen Werte.

Biden ist schon im Wahlkampfmodus

Als Politprofi ist sich Präsident Biden den grundlegend anderen Voraussetzungen bewusst. Als Reaktion hierauf begab sich Präsident Biden in den Tagen vor seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation vermehrt auf Reisen durch das Land, um das von ihm durchgesetzte überparteiliche Infrastrukturpaket zu bewerben.

Der überparteiliche Infrastructure Investment and Jobs Act stellt zusätzliche $550 Milliarden zur Modernisierung der Infrastruktur bereit. 

Auffallend ist hierbei die Tatsache, dass ihn in der Regel Vizepräsidentin Kamala Harris begleitete. Zuletzt war die Beziehung der beiden wichtigsten US-Politiker etwas abgekühlt gewesen. Dass Biden und Harris die Bewerbung von Errungenschaften bei der Modernisierung der Infrastruktur auf ihre Agenda gesetzt haben, ist nicht verwunderlich. Die Wählerschaft sieht hierin explizite regionale Errungenschaften, welche durch die Administration unterstützt wurden. Die schlechten Umfragewerte sollen verbessert werden.

Biden bereiste zunächst die Ostküste

In Baltimore, Maryland, besuchte Präsident Biden den 150 Jahre alten Baltimore and Potomac Tunnel. An diesem Ort konnte Präsident Biden, wie schon im Wahlkampf 2020, mit seiner Empathie punkten, ist er doch schon selbst mit dem Zug „tausendmal durch diesen Tunnel“ gereist, wie er bei seiner Ansprache verkündete. Durch Unterstützung des Infrastrukturpakets wird eine neue Röhre, benannt nach dem Abolitionisten Frederick Douglass, gebaut. Die Fahrzeit zwischen Baltimore und Washington D.C. soll sich hierdurch um 30 Minuten verkürzen.

Ein ähnliches Projekt besuchte Präsident Biden öffentlichkeitswirksam in der Welthauptstadt der Medien New York City. Dank bundesstaatlicher Unterstützung wird der Hudson River Tunnel, Werktags durchqueren diesen per Amtrak und New Jersey Transit cirka 200.000 Passagiere, saniert. In Philadelphia, Pennsylvania, bewarb Präsident Biden die Modernisierung von Leitungen zur Sicherstellung von sauberem Wasser.

Rede zur Lage der Nation als inoffizieller Wahlkampfbeginn

Präsident Biden hat das Thema der Infrastruktur in den vergangenen Tagen für einen wahrscheinlichen Wiederwahlkampf getestet. Dementsprechend war es wenig verwunderlich, dass er bei seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation ebenso darauf ausführlich zu sprechen kam. Gepaart mit dem Anpreisen weiterhin starker Arbeitsmarktdaten und einer „Buy American“ Wirtschaftspolitik versucht Präsident Biden aus dem Stimmungstief herauszukommen.

Wir werden sicherstellen, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt. Die Lieferkette beginnt in Amerika (…) Unter meiner Aufsicht werden amerikanische Straßen, Brücken und Autobahnen mit amerikanischen Produkten gebaut.

Präsident Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation 2023

Am Tag nach der Rede zur Lage der Nation (oder sollte man diese eher als Rede zur Lage des Biden’schen Vorwahlkampfs nennen?) knüpft Präsident Biden mit einem Besuch von Madison, Wisconsin, an seine Aussagen in seiner State Of The Union sowie an seine Inlandsreisen der vergangenen Tage an. Nach der Infrastruktur thematisiert der 46. US-Präsident nun seine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Bleibt Präsident Biden guter Gesundheit sowie von Schicksalsschlägen und Skandalen verschont, wird er 2024 eine zweite Amtszeit anstreben.

Dies ist auch dringend notwendig, sind doch laut einer repräsentativen Umfrage von Washington Post/ ABC News 62 Prozent der US-Amerikaner der Meinung, dass die Biden-Administration bislang nicht viel erreichte. Um im Jahr 2024 wiedergewählt zu werden, benötigt es zwei Jahre nach der Hochphase der Coronavirus-Pandemie mehr als virtuelle Wahlkämpfe aus Kellern.

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Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.

Die Buchbesprechung: „Gefahr. Die amerikanische Demokratie in der Krise“ (Woodward, Costa)

Die Watergate-Affäre löste in den 1970er Jahren ein politisches Erdbeben aus, an deren Ende Präsident Richard Nixon zurücktrat. Die Hintergründe der Vielzahl an Regierungsmissbräuchen der Nixon-Administration wurden durch die Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein von The Washington Post aufgedeckt. The Washington Post wurde hierfür 1973 der renommierte Pullitzer-Preis verliehen. 

Woodward stieg im jungen Alter von nur 30 Jahren durch seine Recherchen zum Star seiner Branche auf. Ein Ruhm, der auch eine Bürde mit sich brachte. In den Jahren danach wurde es nämlich sichtlich ruhiger um den mittlerweile 79 Jahre alten Journalisten. Erst mit der Präsidentschaft von Donald Trump machte Woodward wieder über die Landesgrenzen hinaus auf sich aufmerksam. 

Mit „Furcht: Trump im Weißen Haus“,  „Wut“ und „Gefahr. Die amerikanische Demokratie in der Krise“ verfasste Woodward nämlich gleich drei Bücher über den 45. US-Präsidenten. Woodward scheinen skandalträchtige Präsidenten zu liegen. Letztgenanntes Buch verfasste er mit dem 36 Jahre alten Chefkorrespondenten für Wahlen und Kampagnen von CBS News, Robert Costa. Ein Alter, in der Woodward selbst schon zu weltweiter Bekanntheit gelang.

Entstanden ist ein in der deutschsprachigen Fassung im Carl Hanser Verlag erschienenes 560 Seiten starkes Buch über die herausforderndsten Wochen der jüngeren Demokratiegeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Woodward und Costa ist ein Werk gelungen, welches dank einer Vielzahl an Interviews mit Beteiligten den Leser direkt in die Geschehnisse zwischen der Präsidentschaftswahl 2020 über den Sturm auf das Kapitol, der Amtseinführung von Joe Biden und dessen ersten Wochen als Präsident mitnimmt. 

Im Werk wird beispielsweise die Rolle des republikanischen Minderheitsführers im U.S. Senat Mitch McConnell detailliert herausgearbeitet. Der gewiefte Stratege sah frühzeitig als größtes Problem für die Wiederwahl des damaligen Präsidenten Trump dessen Persönlichkeit. Repräsentative Umfragen, die von Trumps Walkampagne in Auftrag gegeben wurden, bestätigten dies zudem wie Woodward und Costa in ihrem Buch vorlegen:

Wie wir es schon so oft gesehen haben, ist es nicht die Politik des POTUS, die das größte Problem verursacht, sondern es sind die Reaktionen der Wähler auf sein Temperament und Verhalten. (S. 110)

Biden hingegen führte eine smarte Kampagne, so McConnell. In Zeiten eines lautstarken Präsidenten zurückhaltend, zudem die Herausstellung als moderater Politiker. Mit anderen Größen in der Republikanischen Partei versuchte McConnell daraufhin Trump zu einem normaleren Verhalten zu bringen – vergeblich wie die Geschichte zeigen sollte. 

Einen zentralen Part in „Gefahr“ nimmt die Erstürmung des U.S. Kapitols vom 06. Januar 2021 durch Trumps extreme Anhänger ein. Woodward und Costa schildern gekonnt wie es zu diesen dramatischen Ereignissen, insbesondere auf Grund der unrühmlichen Rolle der Republikaner, welche Trump nicht einhegen konnten oder wollten, kam. Neben der Anstachelung der Demonstranten durch Trump unterschätzten Sicherheitskräfte die Gefahr ebenso wie die demokratische Bürgermeisterin von Washington D.C., Muriel Bowser

der District of Columbia fordert kein weiteres Personal der Bundespolizei an. (S. 298)

Woodward und Costa beschreiben in ihrem Werk neben dem Versagen der Republikanischen Partei auch die Inkonsequenz der Demokraten. Die demokratische Abgeordnete Elissa Slotkin gab dies beispielsweise im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte, Mark Milley, zu. Laut Woodward/ Costa soll sie davon gesprochen haben, dass sie im Jahr zuvor die Auflösung der teils gewalttätigen George-Floyd-Demonstrationen mit Beteiligung des Militärs noch abgelehnt habe, bei der Stürmung des Kapitols aber – verständlicherweise – den Einsatz der Nationalgarde forderte.

Im letzen Teil des Buches widmen sich die Autoren dem Beginn der Biden-Präsidentschaft. Die Entscheidungsfindung des Afghanistan-Abzuges wird hierbei ebenso detailliert dargestellt wie die Verabschiedung eines weiteren Hilfspakets zur Eindämmung der Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie.

Präsident Biden definierte daraufhin, auch auf Druck seines eigenen Teams, Überparteilichkeit neu. Diese beziehe sich von nun an auf Umfragen und Wähler, nicht mehr auf die Zusammenarbeit mit Republikanern am Capitol Hill. Geht diese Strategie nicht auf, hat Woodward im Jahr 2024 möglicherweise die Chance ein erneutes Buch über einen Skandal umwobenen Präsidenten zu verfassen.

Vielen Dank an den Carl Hanser Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.  Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).

 

Die offizielle Buchbeschreibung
Von Trump zu Biden: Wie geht es weiter in den USA? Watergate-Aufdecker Bob Woodward liefert erschütternde Blicke hinter die Kulissen. Das bleibende Buch über eine große Demokratie in der Krise

Es war einer der gefährlichsten Momente der US-amerikanischen Geschichte: der Übergang von Präsident Trump zu Präsident Biden. Die Bilder vom Sturm auf das Kapitol gingen um die Welt – sie sind das Symbol einer Demokratie in der Krise. Bob Woodward und Robert Costa erläutern ihre Hintergründe so klar wie nie zuvor. Sie haben Interviews geführt, Tagebücher, E-Mails, vertrauliche Telefonate und geheime Regierungsdokumente ausgewertet. Ihr Fazit: Was die USA bis heute durchmachen, ist mehr als eine nationale Unruhe. ,Gefahr‘ ist die erschütternde Reportage über das Ende einer Präsidentschaft und den Beginn einer neuen – das bleibende Buch über die großen Herausforderungen eines Landes, die auch den Rest der Welt noch lange in Atem halten werden.

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Amerikas dunkler Tag – ein Jahr danach

Das politische System der USA setzt eine Zusammenarbeit zwischen der Exekutive und Legislative ebenso voraus wie zwischen den beiden großen Parteien. Doch in den vergangenen Jahrzehnten stieg die Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern kontinuierlich an. Konservative Demokraten und liberale Republikaner, einst ein wichtiger Bestandteil eines fruchtbaren demokratischen Prozesses, sind heutzutage die Ausnahme.

Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur. Die politische und willkürliche Ziehung der Wahlkreise, die verändernde Medienlandschaft, das Vorwahlsystem sowie die äußere Einflussnahme durch Parteispenden sind nur einige wenige Beispiele, die an dieser Stelle für die neuen Bedingungen in der US-amerikanischen Politik genannt sein sollen. 

Die Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten war wiederum die Folge dieser sich zuspitzenden politischen und gesellschaftlichen Polarisierung. Trump war die Wirkung eines schon lange andauernden Prozesses, nicht die Ursache für die Geteilten Staaten von Amerika. Trump wiederum führte die Spaltung, insbesondere durch seine Rhetorik, auf die Spitze. Der Sturm auf das U.S. Kapitol am 06. Januar 2021, welchen Trump entgegen des Rats einiger seiner Verbündeten nachweislich nicht unterbinden wollte, war das Resultat hieraus. 

Doch wie beurteilen US-Amerikaner ein Jahr nach den Ausschreitungen, fünf Todesopfern, zahlreichen Verletzten und hunderten Verurteilungen die Geschehnisse des 06. Januar 2021? Repräsentative Umfragen, wie nachfolgend genannte Erhebungen von CBS/ YouGov, geben hierüber Aufschluss.

Demnach geben 59 Prozent der US-Amerikaner dem damaligen Präsidenten Trump eine Mitschuld an der Stürmung des Kapitols. Zur Erinnerung: Trump erkennt bis heute den rechtmäßigen Wahlsieg von Joe Biden vom November 2020 nicht an und heizte in den Wochen danach seine Anhängerschaft weiter an. Ebenso viele US-Amerikaner geben den Medien eine Teilschuld an den Ereignissen. Den Hauptschuldigen sehen jedoch  zwei Drittel der Bevölkerung in den Sozialen Medien. 

Mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner beurteilen die Stürmung des U.S. Kapitols als keine Ausnahmeerscheinung, sondern als einen Vorläufer von weiteren zukünftigen gewaltsamen Protesten. Zwölf Prozent der US-Amerikaner sehen in Trump weiterhin den rechtmäßigen Präsidenten, der noch vor der nächsten Wahl um „sein“ Amt kämpfen sollte. Dies entspricht ein Fünftel aller Personen, die bei der Präsidentschaftswahl 2020 für Trump votiert haben. 

Wiederum ein Drittel dieser Gruppe spricht sich gar für einen gewaltsamen Umsturz aus. Auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet entspricht dies vier Prozent an US-Amerikanern.  Gleichwohl dies gleichbedeutend mit nur einer kleinen Minderheit, auch innerhalb der Republikanischen Partei, ist, hegen doch Millionen von US-Amerikanern antidemokratische Tendenzen. Alle Akteure der freien, demokratischen Gesellschaft müssen folglich allzeit wachsam sein. Eine nüchterne, weniger polarisierende Herangehensweise an politische Debatten und der Aufklärung der Ereignisse vom 06. Januar 2021 wären infolgedessen insbesondere für Politik und Medien angebracht. 

Derweil können sich die Vereinigten Staaten auf eine der weltweit am besten ausgearbeiteten Verfassungen, welche seit jeher die Leitlinien für die US-amerikanische Demokratie vorgibt, stützen. Das politische System der USA besitzt nämlich auch ein ausgeklügeltes System der Gewaltenteilung und -verschränkung, im Englischen unter dem Begriff „checks and balances“ bekannt. Der 06. Januar 2021 ging zwar als ein dunkler Tag in die Geschichte der USA ein, doch er zeigte auch die Stärke des US-amerikanischen politischen Systems. Die eigenen Abwehrkräfte haben auch diesen Angriff auf die Demokratie erfolgreich abgewehrt. 

Statements von Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris
zum Jahrestag der Stürmung des U.S. Kapitols

Präsident Biden wartete mit einer aggressiven Rede zum Jahrestag der Stürmung des U.S. Kapitols auf. Teilweise klang es schon nach Wahlkampf für das Jahr 2024. Kaitlan Collins stellte auf CNN treffend fest, dass Biden solch eine Rede vor einem Jahr hätte geben sollen. Vizepräsidentin Kamala Harris stellte derweil die Stürmung des U.S. Kapitols in eine Reihe mit Pearl Harbor und 9/11 – ein unpassender Vergleich.

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Goodbye 2021!

Wie das Jahr 2020 endete, so begann auch das Jahr 2021. Die Coronavirus-Pandemie hielt die Welt wie die Vereinigten Staaten von Amerika im Griff. Ebenso bestimmte jahresübergreifend die US-Präsidentschaftswahl zwischen Donald Trump und Joe Biden die Schlagzeilen. Wer dachte, dass das neue Jahr in geordneteren Bahnen verlaufen und eine Rückkehr zur Normalität von statten gehen würde, musste sich schnell von der neuen Realität eines besseren belehren lassen.

Sturm auf das Kapitol

Der republikanische Amtsinhaber Trump unterlag bei der Präsidentschaftswahl 2020 seinem demokratischen Herausforderer Biden mit mehr als sieben Millionen Wählerstimmen. Im entscheidenden Wahlmännergremium entfielen 74 Stimmen mehr auf Biden als auf Trump. Doch der 45. US-Präsident gestand seine Wahlniederlage bis heute nicht ein.

Am 06. Januar 2021 heizte der damals noch amtierende Präsident Trump seinen Anhängern auf der Mall in Washington D.C. ein. Nach der Veranstaltung marschierte ein Mob auf das U.S. Kapitol, in dem die Wahlmännerstimmen offiziell ausgezählt und bestätigt wurden. Trumps Anhänger durchbrachen die Sicherheitsschranken, stürmten das Kapitol, zerstörten Mobilar und gingen auf Jagd auf für sie ungeliebte Politiker.

Den damals noch amtierenden republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence wollte der Mob sogar aufhängen, da dieser das Wahlergebnis, wie von der Verfassung vorgesehen, bestätigte. Bei den Ausschreitungen kamen ein Polizist sowie vier Trump-Anhänger ums Leben. 56 Polizeibeamte wurden verletzt. Ein schwarzer Tag in der Geschichte der USA und der Demokratie.

Biden übernimmt Amtsgeschäfte unter schwierigsten Bedingungen

Nur zwei Wochen später wurde Biden zum 46. US-Präsidenten vereidigt. Der Amtseinführung wohnte der ausgehende Präsident Trump nicht bei und brach mit einer weiteren Tradition. Die seit Jahrzehnten ansteigende politische und gesellschaftliche Spaltung des Landes erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt. Unter diesen Umständen sowie inmitten einer weltweiten Pandemie übernahm Biden die Amtsgeschäfte.

Es folgte eine smart herausgearbeitete Impfkampagne, die schon von der ausgehenden Administration vorbereitet wurde. US-Amerikaner erhielten wohnortsnah, unbürokratisch, kostenlos und schnell ihre Immunisierung gegen das Coronavirus. Ausreichend Impfstoff wurde schon in den Monaten zuvor von der US-Regierung bestellt. Im Sommer ließ die Impfbereitschaft bei US-Amerikanern jedoch nach, so dass der teils deutliche Impfvorsprung gegenüber Deutschland und anderen Ländern der EU mittlerweile marginalisiert wurde.

Durchsetzung der innenpolitischen Agenda kommt an ihre Grenzen

Um die ökonomischen Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie abzumildern wurde zu Beginn Bidens Präsidentschaft ein $1,9 Billionen schweres Hilfspaket („American Rescue Plan“) verabschiedet. Nach langen, zähen Verhandlungen folgte im November ein $1,2 Billionen teures überparteiliches Infrastrukturpaket. Ein nötiges Maßnahmenpaket, welches schon Bidens Vorgänger durchsetzen wollten, jedoch am U.S Kongress scheiterten.

Ein Sozial- und Klimapaket, welches innenpolitische Priorität für Präsident Biden genießt, scheiterte jedoch vorerst. Der moderate demokratische Senator Joe Manchin verweigerte auf Grund inflations- und haushaltspolitischer Bedenken seine Unterstützung für das $1,75 Billionen schwere Paket. Auf Grund dessen gibt es gegenwärtig keine Mehrheit im U.S. Senat für dieses Gesetz, zumal die demokratische Senatorin Kyrsten Sinema dem ebenso skeptisch gegenübersteht. 

Desaster in Afghanistan

Licht und Schatten wechselten sich also in Bezug auf die innenpolitische Agenda von Präsident Biden in dessem ersten Amtsjahr ab. Gleiches gilt für die Außen- und Sicherheitspolitik. Mit Bidens Amtsantritt kehrte eine diplomatischere Sprache in das Weiße Haus, insbesondere gegenüber befreundeten Staaten, zurück. Dies sollte jedoch nicht über weiterhin bestehende Differenzen zwischen den USA und Deutschland in der Handels- und Sicherheitspolitik, Stichwort China, hinwegtäuschen. 

Ein epochales Desaster hatte Präsident Biden indes mit seinem wenig durchdachten Abzug aus Afghanistan zu verantworten. Nachdem die USA zunächst das militärische Personal abzogen, eroberten die radikalislamischen Taliban, motiviert von einem von Präsident Biden künstlich angesetzten Abzugsdatums, das Land innerhalb weniger Wochen.

Die Evakuierung westlichen Personals in Diplomatie und Entwicklungshilfe sowie afghanischer Helfer lief zu spät an und in der größten vorstellbaren Krisensituation ab. Tausende Personen konnten nicht gerettet werden. Bei einem Anschlag der Terrororganisation ISIS-K am Flughafen Kabul, von wo die Evakuierungsflüge starteten, kamen mindestens 170 Afghanen sowie 13 US-Soldaten ums Leben. Der Westen verlor in diesen Wochen massiv an Ansehen in der Welt und Präsident Biden Vertrauen bei Verbündeten und eigenen militärischen Angehörigen. 

Joe Biden: Tröster-in-chief

Während Biden im Jahr 2021 seine größte Schwäche in der Außen- und Sicherheitspolitik, unter anderem machte er auch dem russischen Präsidenten Vladimir Putin Zugeständnisse, zeigte, wurde auch die größte Stärke des US-Präsidenten offenbar. In Zeiten von Leid und Trauer wartete Präsident Biden mit enormer Empathie gegenüber den Schwächsten auf.

Egal ob Coronavirus-Pandemie, Amokläufen oder auch bei Naturkatastrophen: Im Kontakt mit Betroffenen mutierte der Commander-in-chief zum Tröster-in-chief wie auch das nachfolgende Bild im Katastrophengebiet von Kentucky, welches von mehreren Tornados verwüstet wurde, zeigt. Gesten, mit denen Präsident Biden auch im Jahr 2022 versuchen wird, die US-amerikanische Gesellschaft etwas näher einander zu bringen. Dieser innenpolitische Heilungsprozess ist sogleich Bidens primäres Anliegen seiner Präsidentschaft.

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Die Buchbesprechung: 77 Tage. Amerika am Abgrund (Michael Wolff)

Eine jede US-Präsidentschaftswahl wird alle vier Jahre am Dienstag nach dem ersten Montag im November abgehalten. Wenige Wochen später treffen sich die Wahlmänner in ihren jeweiligen Bundesstaaten, um anhand des Wahlergebnisses ihre Stimmen abzugeben. Anfang Januar werden diese vom U.S. Kongress ausgezählt und das Ergebnis vom Vizepräsidenten offiziell verkündet. Am 20. Januar wird sodann der gewählte Präsident in das Amt eingeführt. 

Ein Vorgang, der zwischen der Wahl und der Inauguration ein traditionell unaufgeregter, ja regelrechter langweiliger Prozess ist. Lediglich politische Insider interessieren sich hierfür tiefergehend. Doch die Präsidentschaftswahl 2020 sollte mit dieser Regel brechen. Der Abschied von Donald Trump aus dem Weißen Haus war verbunden mit der dunkelsten Periode in der Demokratiegeschichte des Landes. 

77 Tage hielten die USA und die Welt den Atem an. Doch die US-Demokratie erwies sich trotz Wahlanfechtungen, mangelndem Eingeständnis des Wahlverlierers und Sturm auf das Kapitol als standfest. Der renommierte US-amerikanische Journalist Michael Wolff nimmt seine Leserschaft in seinem gleichnamigen Werk „77 Tage. Amerika am Abgrund: Das Ende von Trumps Amtszeit“ auf einen rasanten Ritt durch die letzten Tage der Präsidentschaft Trumps. 

Durch zahlreiche Interviews mit Mitarbeitern des Weißen Hauses, Trumps Wahlkampfteam sowie dem 45. Präsidenten selbst, erarbeitete sich Wolff ein starkes Insiderwissen, so dass er die Ereignisse detailliert aufarbeiten konnte. Das in der deutschsprachigen Ausgabe im Rowohlt Verlag erschienene Werk liest sich nahezu wie ein Roman, so surreal ist der Plot, so gut lässt Wolff die Akteure aufleben.

Insbesondere die Rolle von Trumps Anwalt Rudy Giuliani, der die Wahlanfechtung bis zuletzt vorantrieb, lässt die Leserschaft fassungslos zurück. Wolff arbeitet zudem die Spaltung im Weißen Haus zwischen Realisten, die ihre Zeit nach Trumps Präsidentschaft vorbereiteten, und Trumpisten, welche sich mit der Wahlniederlage nicht zufrieden geben wollten, gekonnt heraus.

Für ein Sachbuch als negativen Aspekt muss jedoch die Tatsache gewertet werden, dass Wolff oftmals den nötigen Abstand zu den Akteuren vermissen lässt. Wolffs Abneigung gegenüber Trump und Giuliani wird überdeutlich preisgegeben, so dass eine möglichst objektive Aufarbeitung der, freilich für die US-Geschichte sehr emotionalen, Ereignisse nicht vorhanden ist.

Insgesamt gibt das 416 Seiten starke Buch einen guten Einblick in die Geschehnisse des Machttransfers von Präsident Trump zu Joe Biden. Um sich jedoch eine vollumfängliche Meinung bilden zu können, sollten noch weitere Werke zum Thema herangezogen werden. 

Vielen Dank an den Rowohlt Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.  Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).

Die offizielle Buchbeschreibung
Michael Wolff beschrieb in seinem Bestseller «Feuer und Zorn» die ersten fiebrigen Monate der Trump-Regierung. Nun haben sich ihm wieder hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses anvertraut: Wolff liefert eine aktuelle Darstellung der letzten Wochen von Trumps Präsidentschaft und der Versuche des Präsidenten und seines Umfelds, das Wahlergebnis vom November 2020 auf jedem nur denkbaren Weg zu korrigieren. Er schreibt über den Wahn eines Verlierers, den Kampf der Anwälte um Rudy Giuliani, den Angriff aufs Kapitol und über das endgültige Ende einer denkwürdigen und gefährlichen Regierungszeit – und interviewt schließlich Trump selbst in Mar-a-Lago. Michael Wolffs Buch schildert von Tag zu Tag, aus erster Hand, jene dramatische Zeit, in der die amerikanische Demokratie auf der Kippe stand.

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