Der 03. Oktober ist ein wahrlich historisches Datum. Im Jahr 1990 feierte Deutschland seine Wiedervereinigung. Zwei Jahre später heiratete der spätere US-Präsident Barack Obama seine Michelle Robinson. Und im Jahr 2023 wurde mit Kevin McCarthy erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ein amtierender Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses abgewählt. Ein geschichtsträchtiges Ereignis, welches einige Fragen aufwirft, die der nachfolgende Beitrag beantworten will.
Die Bedeutung eines Sprechers des U.S. Repräsentantenhauses
Nach dem Präsidenten und der Vizepräsidentin nimmt der Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses das dritthöchste Amt in den Vereinigten Staaten ein. Können der Präsident und die Vizepräsidentin ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen, zum Beispiel durch Tod, wird der Speaker automatisch zum Präsidenten vereidigt.
Legt man die deutschen Termini zugrunde, so ist der Sprecher des Repräsentantenhauses quasi Parlamentspräsident und Vorsitzender der Mehrheitsfraktion in einer Person.
„Das politische System der USA. Eine Einführung.“ (Emil Hübner), S. 114.
Der Sprecher hat „neben seinen Aufgaben als Parlamentspräsident“ auch noch weitere Kompetenzen inne. Darunter fallen beispielsweise „die Ernennung der Mitglieder der joint comittees und des Rules committee.“
Darum wurde Kevin McCarthy als Sprecher abgewählt
Das neue Haushaltsjahr beginnt in den USA am 01. Oktober. Bis zu diesem Zeitpunkt muss der U.S. Kongress einen neuen Haushaltsplan verabschiedet haben, ansonsten kommt es zum Stillstand der Regierungsgeschäfte. Tritt dies ein, dürfen nur noch, sofern noch verfügbar, monetäre Mittel aus dem alten Haushalt verwendet werden – bis diese aufgebraucht sind.
Nachdem sich Demokraten und Republikaner nicht rechtzeitig auf einen neuen Haushalt verständigen konnten, wurde mit einer überwältigende Mehrheit durch die Stimmen beider Parteien ein 45-tägiger Übergangshaushalt beschlossen. Acht extremen Republikanern um Matt Gaetz sagte dem nicht zu, so dass diese eine Abwahl gegen ihren Parteikollegen Speaker McCarthy einleiteten. Genannte acht (von 222) republikanische Abgeordnete stimmten dem ebenso zu wie die gesamte Fraktion der Demokratischen Partei (213 Abgeordnete).
Was ein Speaker pro tempore bedeutet
Nach den Erfahrungen von 9/11, bei dem ein über Pennsylvania abgestürztes Flugzeug eigentlich in den U.S. Kongress fliegen sollte, wurde die Position eines Sprechers pro tempore geschaffen. Dies bedeutet in der Praxis, dass ein gewählter Sprecher eine Liste mit Nachfolgern erstellt, die ihn beerben würden, sofern er das Amt nicht mehr ausüben könnte. Der auf der Liste erstgenannte Nachfolger übernimmt sodann übergangsweise die Sprecherfunktion. Er hat theoretisch alle Befugnisse eines gewählten Sprechers inne.
Nachdem es diesen Fall bis zum Oktober 2023 noch nicht gab, müssen die Details über die Rechte und Pflichten des Speaker pro tempore in der Praxis ausgearbeitet werden. Beispiel: Entscheidet der Speaker pro tempore, dass über ein Gesetz abgestimmt werden soll, hat schon ein Mitglied des U.S. Repräsentantenhauses die Möglichkeit dies zu hinterfragen. Es würde sodann zu einer Abstimmung unter allen Abgeordneten kommen, wie fortgefahren werden soll. Eine einfache Mehrheit entscheidet über das weitere Fortgehen. Infolgedessen gilt es als wahrscheinlich, dass der Speaker pro tempore – zunächst – nur die Wahl eines neues Sprechers organisiert.
Wer das U.S. Repräsentantenhaus interimsweise anführt
Seit dem 03.10.2023 hat Patrick McHenry das Amt des Sprechers kommissarisch inne. Der aus North Carolina stammende Republikaner vertritt seinen Wahlbezirk seit dem Jahr 2005 im U.S. Repräsentantenhaus. Seit dem Jahr 2023 ist McHenry, der fiskalkonservative Positionen vertritt, Vorsitzender des Finanzausschusses.
Wer zum Sprecher gewählt werden kann
Die Wahl eines Sprechers des U.S. Repräsentantenhauses hat die Verfassung nicht weiter präzisiert:
The House of Representatives shall [choose] their Speaker and other Officers.
Gleichwohl noch nie ein Sprecher gewählt wurde, der nicht Mitglied des U.S. Repräsentantenhauses war, ist dies dennoch möglich. Infolgedessen brachte der republikanische Abgeordnete Troy Nehls den ehemaligen Präsidenten Donald Trump als Sprecher ins Spiel. Die Republikanische Partei müsste für dieses Szenario jedoch ihre eigenen Regeln ändern, da diese die Nominierung einer Person, gegen die eine Anklage mit einer möglichen Haftstraße von zwei oder mehr Jahren erhoben wurde, untersagt.
Der Zeitplan zur Findung eines Sprechers
Am 10.10.2023 organisiert die Republikanische Partei im U.S. Repräsentantenhaus ein Kandidatenforum, bei dem sich alle Bewerber um das Sprecheramt vorstellen können. Für den 11.10.2023 ist die fraktionsinterne Wahl geplant. So bald diese erfolgreich war, kommt das gesamte U.S. Repräsentantenhaus zur Wahl eines neuen Sprechers zusammen.
Die Favoriten auf den Sprecherposten
Steve Scalise gilt als bisheriger Mehrheitsführer als der natürliche Nachfolger von McCarthy. Scalise ist in der Fraktion bestens vernetzt und ist nach McCarthy der Republikaner, der bislang die meisten Wahlkampfspenden ($170 Millionen in zehn Jahren) für seine Kollegen generieren konnte. Ein weiterer Vorteil für Scalise ist, dass er aus den Südstaaten kommt, dominieren doch Südstaatler die Fraktion der Republikaner im U.S. Repräsentantenhaus.
Scalise ist im U.S. Kongress generell beliebt, was auch an seiner positiven Art liegt. Im Jahr 2017 wurde er bei einem Amoklauf schwer verletzt. Nach einer bei ihm diagnostizierten Blutkrebserkrankung unterzieht sich Scalise gegenwärtig einer Chemotheraphie. Scalise gehört zum rechten politischen Spektrum der GOP, gilt allerdings als Befürworter von US-Hilfen für die Ukraine.
| Steckbrief Steve Scalise | |
|---|---|
| Geburtsdatum | 06.10.1965 |
| Geburtsort | New Orleans, LA |
| Ausbildung | Louisiana State University (Computerwissenschaft B.Sc.) |
| Abgeordneter im U.S. Repräsentantenhaus seit | 2008 |
Ebenso seinen Hut in den Ring um den Sprecherposten hat Jim Jordan geworfen. Der Gründer des extrem konservativen/ rechten Freedom Caucus ist beliebt bei der republikanischen Basis. Jordan gilt als bester republikanischer Fragesteller in Ausschusssitzungen. Trump hat sich für einen Speaker Jordan ausgesprochen. Jordan lehnt weitere US-Hilfen für die Ukraine ab.
| Steckbrief Jim Jordan | |
|---|---|
| Geburtsdatum | 17.02.1964 |
| Geburtsort | Troy, OH |
| Ausbildung | Ohio State University (Jura) |
| Abgeordneter im U.S. Repräsentantenhaus seit | 2007 |
Erste Aufgaben
Die dringendste Aufgabe des neuen Sprechers des U.S. Repräsentantenhauses wird die Verabschiedung eines Haushalts für das schon am 01.10.2023 begonnene Fiskaljahr 2024 sein. Der Speaker steht vor der Herausforderung einerseits die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Republikanischen Partei zu einen. Andererseits gilt es ebenso die Demokratische Partei mit einzubinden, stellt diese doch im U.S. Senat die Mehrheit. Bei den Verhandlungen wird auch über weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine gesprochen werden müssen.
Update 10.10.2023: Die Republikanische Partei nominiert Steve Scalise mit 113 zu 99 Stimmen als neuen Sprecher des U.S. Repräsentantenhaus.
Update 12.10.2023: Steve Scalise hat seine Kandidatur zurückgezogen. Er hätte bei einem Votum im U.S. Repräsentantenhaus mangels Unterstützung der eigenen Partei keine eigene Mehrheit gehabt.
Update 13.10.2023: Die Republikanische Partei nominiert Jim Jordan als Sprecher des U.S. Repräsentantenhaus. Jordan setzt sich mit 124 zu 81 Stimmen gegen Austin Scott durch.
Update 24.10.2023: Nachdem Jim Jordan keine Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus auf sich vereinen konnte, nominiert die Republikanische Partei Tom Emmer für das Amt des Sprechers. Nur wenige Stunden später zieht Emmer jedoch seine Kandidatur zurück. Vorausgegangen war eine Kritik Trumps. Daraufhin wurde Mike Johnson mit 128 Stimmen als Sprecher nominiert.
Update 25.10.2023: Mike Johnson wurde mit 220 zu 209 Stimmen zum Sprecher des U.S. Repräsentantenhaus gewählt.

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