Ende August 1966 gaben sich Joe Biden und Neilia Hunter das Ja-Wort. Aus der Ehe sollten Joseph R. „Beau“ Biden III, Robert Hunter und Naomi Christina hervorgehen. Nur sechs Jahre nach dem glücklichsten Tag in ihrem Leben schied der Tod das Paar. Ehefrau Neilia kam bei einem Autounfall ebenso ums Leben wie Tochter Naomi. Ein unvergleichlicher Schicksalsschlag für Joe und die beiden jungen Söhne.
Ebenso im Jahr 1966, nämlich im Dezember, veröffentlichte die deutsche Fußballlegende Franz Beckenbauer sein Lied „Gute Freunde kann niemand trennen“. Es handelt, wie der Titel schon andeutet, von einer unzertrennlichen Freundschaft, in der füreinander eingestanden wird. Der Refrain ist bis heute unvergessen, ein wahrer Evergreen.
In der Ära Donald Trump wurde Beckenbauers Lied in Bezug auf die transatlantische Partnerschaft schon fast ad absurdum geführt, wurden die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und zahlreichen Ländern, insbesondere in Westeuropa, doch arg auf die Probe gestellt. Mit dem Einzug in das Weiße Haus im Jahr 2021 versuchte sodann der neugewählte US-Präsident Biden die belastenden Beziehungen zu vielen befreundeten Staaten wieder zu verbessern.
Im vierten Jahr seiner Amtszeit ist festzustellen, dass dies Präsident Biden auch weitestgehend gelungen ist. Doch gerade in den Beziehungen zu befreundeten Staaten, die einer existenziellen Bedrohung von Außen ausgesetzt sind, wird Beckenbauers musikalische Aussage, dass „gute Freunde niemand trennen kann“, erneut herausgefordert. Vor diesem Hintergrund wird in einer zweiteiligen Serie die US-Politik gegenüber der Ukraine und Israel in Kriegszeiten mit einem kritischen Blick betrachtet.
Teil 1: Der „einarmige“ Kampf der Ukraine
Die Ausgangslage
Am 24.02.2022 begann die Russische Föderation ihre vollumfängliche Invasion der Ukraine. Im größten Angriffskrieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begehen russische Soldaten fortlaufend Kriegsverbrechen an der ukrainischen Bevölkerung. Zivilisten, auch Frauen und Kinder, werden von Russen gefoltert, vergewaltigt, massakriert. Grauenvolle Bilder aus Butscha und Mariupol, um nur zwei Städte zu nennen, gingen um die Welt. Zivile Gebäude werden von Russland fortlaufend angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht, die Energieinfrastruktur zerstört. Nach 26 Kriegsmonaten besetzt Russland ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes.
Das Ziel der Russischen Föderation
Die Verantwortlichen des Kreml, vorneweg Präsident Vladimir Putin und Dmitri Medwedw, seines Zeichens stellvertretender Leiter des Sicherheitsrats der Russischen Föderation und formal Vorsitzender der Partei Einiges Russland, machten ihre Kriegsziele mehrmals öffentlich deutlich: Die Vernichtung der ukrainischen Nation, Sprache, Kultur und Geschichte.
In den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten geht folglich eine ethnische Säuberung vonstatten: Ukrainer werden um- und Russen angesiedelt. Tausende ukrainische Kinder wurden in Umerziehungslager nach Russland und Belarus deportiert. Katholische Gotteshäuser wurden geschlossen und/oder zerstört und deren Priester verhaftet, so dass sich die Russisch-Orthodoxe-Kirche, welche den Angriffskrieg befürwortet, „frei“ entfalten kann.
Geht der Verteidigungskampf für die Ukraine verloren, ist der Weg für weitere russische Kriege mittelfristig geebnet. Das Ziel der Herrscher im Kreml: Die Wiederherstellung des Groß-Russischen Reiches. In unmittelbarer Bedrohung liegen hierbei die baltischen Staaten sowie die Republik Moldau. The Institute for the Study of War hat diesbezüglich schon solch ein, realistisches wie erschreckendes, Szenario durchgespielt:
Die Reaktion der Ukraine
Die unmittelbar nach Kriegsbeginn getätigte Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Volodymir Zelensky im Land zu bleiben und den Widerstand gegen die russischen Invasoren anzuführen, motivierte das ukrainische Volk dem gleichzutun. Seitdem wehrt sich David (Ukraine) gegen Goliath (Russland) den Umständen entsprechend erfolgreich. Doch der Blutzoll ist hoch, zu Beginn des Jahres 2024 zu hoch, um dauerhaft der russischen Übermacht erfolgreich Gegenwehr bieten zu können.
Die Reaktion der USA
Der ukrainische Verteidigungskampf konnte in den ersten beiden Jahren auch deshalb so erfolgreich sein, da die Ukraine neben einer hohen Moral ihrer Soldaten und Zivilbevölkerung sowie smarten strategischen Entscheidungen der Armeeführung die Unterstützung von westlichen Ländern unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika erfuhr. Seit mehr als zwei Jahren rüsten westliche Länder die Ukraine kontinuierlich mit militärischem Gerät aus. Finanzielle und humanitäre Hilfen werden ebenso vom Westen geleistet.
Allerdings ist Präsident Biden bei seinen Entscheidungen, mit welchem Gerät die Ukraine explizit ausgerüstet werden soll, zögerlich, zaghaft, zurückhaltend. Die Lieferung von Abrams-Kampfpanzern erfolgte beispielsweise erst nach großem Druck aus Europa, namentlich aus Deutschland. Die Entsendung von Kampfflugzeugen ist bis heute nicht geschehen. Der Lieferung von Raketen mit längeren Reichweiten steht Präsident Biden skeptisch gegenüber. Laut eigener Aussage will Präsident Biden nicht an der Eskalationsspirale drehen, obwohl es doch die Russische Föderation ist, die dies tagtäglich vollzieht.
Wenn in Deutschland über die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Entsendung von schwereren Waffen, Stichwort Kampfpanzer oder Taurus-Marschflugkörper, diskutiert wird – bei der Einstellung von Präsident Biden liegt die Entscheidung des deutschen Regierungschefs begründet. Die bisherigen Waffenlieferungen tragen zum Überleben der ukrainischen Nation bei, Siegen kann es mit der bisher gelieferten Ausstattung jedoch nicht.
Die Kontroverse
Um den Abwehrkampf am Boden und die Verteidigung gegen russische Luftangriffe zu unterstützen, versucht die Ukraine auch russische Militärdepots sowie dessen Energieträger anzugreifen. Die Intention dahinter ist offensichtlich: Hat Russland weniger Nachschub zur Verfügung, desto weniger militärisches Gerät kann der Aggressor an der Front verwenden.
Doch genau diese Strategie kritisierte die Biden-Administration in den vergangenen Monaten mehrmals stark. Bei einem Treffen im Februar forderte US-Vizepräsidentin Kamala Harris den ukrainischen Präsidenten Zelensky dazu auf, die Angriffe gegenüber russischen Erdölraffinerien einzustellen. Es drohe, so Harris, die Gefahr einer weltweiten Steigerung des Erdölpreises. Im März wiederholte Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Biden, in Kyiv diese Aufforderung.
Präsident Biden selbst forderte die Ukraine öffentlich zur Einstellung solcher Verteidigungsangriffe auf. Präsident Zelensky und dessen Berater zeigten sich ob dem Drucks aus Washington D.C. irritiert. Auch vor dem Hintergrund fehlender Patriotsysteme zur Verteidigung gegen russische Luftangriffe fragte das Online-Magazin POLITICO den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, ob die US-Administration die Ukraine mit „einem Arm auf dem Rücken gebunden kämpfen“ lassen würde. Kuleba bejahte dies.
Fazit zu Bidens Ukrainepolitik
Präsident Biden setzt sich zweifelsohne für eine eigenständige, unabhängige Ukraine ein. Seine zurückhaltenden Entscheidungen in Bezug auf die Lieferung schwererer Waffen hat die Ukraine nach zwei Jahren Krieg allerdings ebenso in die Defensive gebracht wie die schwindende Unterstützung des gesamten Westens. Hat der Kalte Krieg gezeigt, dass Frieden durch eigene Stärke herbeigeführt werden kann, scheint das Weiße Haus unter Präsident Biden diese erfolgreiche Strategie nicht mehr beherzigen zu wollen.
Dass das Weiße Haus bis heute betont, dass dies lediglich „Putins Krieg“ sei, zeugt zudem davon, die Realitäten weiterhin nicht anerkennen zu wollen oder zu können. Die überwältigende Mehrheit der Russen unterstützt nämlich, historisch und kulturell bedingt, die imperialistischen Bestrebungen des Kreml.
Auf Grund des Präsidentschaftswahlkampfes sind Präsident Biden zudem niedrige Benzinpreise im Inland wichtig. Um seine eigenen Wiederwahlchancen zu maximieren, versucht er infolgedessen die Verteidigungsmöglichkeiten der Ukraine einzuschränken. Sicherheitspolitisch ein sehr riskantes Spiel des 46. US-Präsidenten. Die Ukraine dürfte somit in Bezug auf das Verhältnis zu den befreundeten USA Beckenbauers Refrain mit einem Fragezeichen versehen:
Gute Freunde kann niemand trennen
Gute Freunde sind nie allein
Weil sie eines im Leben können
Füreinander da zu sein.
Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.
Ein Gedanke zu “Gute Freunde kann niemand trennen? (I)”
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