492 Tage war der US-amerikanische Journalist Evan Gershkovich in Russland willkürlich inhaftiert. Dem ehemaligen U.S. Marine Paul Whelan wurde von Russland gar für 2.044 Tage die Freiheit beraubt. Erst nach einem groß angelegten Geisel- und Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und fünf NATO-Staaten kamen die beiden US-Amerikaner wieder frei. Am 01.08.2024 betraten Gershkovich und Whelan erstmals nach langer Zeit wieder das „Land der Freien und [die] Heimat der Tapferen“.
Koordiniert wurde der Austausch von Präsident Joe Biden, der die letzten Details in der Stunde vor seiner Beendigung seiner Wiederwahlkampagne persönlich klärte. Noch am Abend der Freilassung dankte Präsident Biden am Luftwaffenstützpunkt Joint Base Andrews den europäischen Verbündeten, insbesondere Deutschland und Slowenien, für die Zusammenarbeit und deren Zugeständnisse. Der Austausch, so Präsident Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris, sei ein Beweis der „Macht der Diplomatie“.
Kalter Krieg prägte Biden
Gleichwohl unter anderen Umständen, erinnerte der Geisel- und Gefangenenaustausch doch auch an die Hochphase des Kalten Kriegs. Eine Periode, welche Bidens politisches Leben nachhaltig prägte. Im Jahr 1942 inmitten des Zweiten Weltkriegs geboren, wuchs Biden in Zeiten der Systemrivalität zwischen den USA und der Sowjetunion auf. Als U.S. Senator beschäftigte sich der Demokrat ab dem Jahr 1973 aktiv mit der Bedrohung aus Moskau.
In der Ära von Präsident Jimmy Carter setzte sich Biden infolgedessen unter anderem für ein Waffenkontrollabkommen ein und traf sich vor diesem Hintergrund auch mit dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko. Die geopolitische Bedeutung des Brennpunkts Europa für die Vereinigten Staaten war Biden vor dem Fall des Eisernen Vorhangs ebenso bewusst wie in der Phase danach. Unterstrichen wird diese Begebenheit durch die zahlreichen Teilnahmen Bidens an der Münchner Sicherheitskonferenz.
Dem Transatlantiker Biden wird auf jeden Fall eine dem europäischen Kontinent ferner stehende Person in das Weiße Haus nachfolgen. Eine mögliche Präsidentin Harris, eine zwei Dekaden jüngere Politikerin als Biden, konnte schon alleine auf Grund ihres Jahrgangs weniger aktiv an der Auseinandersetzung des Kalten Krieges teilhaben als es für den 46. Präsidenten möglich war. Der mangelnden historischen Verbindung zu Europa gesellt sich bei Harris ihre kalifornische Herkunft.
Als Kind der Westküste würde sie sicherlich den Herausforderungen im Pazifik eine nochmals weitaus größere Bedeutung zukommen lassen als dies ohnehin schon seit der Ära von Barack Obama der Fall ist. Ohnehin werden sich die primären sicherheitspolitischen Brennpunkte des 21. Jahrhunderts in Asien und nicht mehr in Europa abspielen. Donald Trump wiederum hat schon in seiner ersten Amtszeit unter Beweis gestellt, dass er Allianzen primär aus einem – oftmals kurzsichtigen – wirtschaftlichen Blickwinkel beurteilt.
Biden betont seine irischen Wurzeln
Mit den Wahlen von Obama im Jahr 2008 und Trump im Jahr 2016 schien die Zeit von US-Präsidenten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Europa nahe standen, zu Ende gegangen zu sein. Doch mit Biden zog nicht nur der älteste Präsident aller Zeiten im Jahr 2021 in das Weiße Haus ein. Mit ihm kehrten auch die engen Beziehungen zu Europa, zwangsweise auch auf Grund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, zurück. Begründet liegt dies einerseits in Bidens oben erwähnten Erfahrungen aus dem Kalten Krieg.
Andererseits ist Präsident Biden stolz auf seine irische Herkunft, die er bei offiziellen Anlässen regelmäßig betont. Bidens mögliche Nachfolger im Weißen Haus können eine solche mit dem alten Kontinent fest verwurzelte Familiengeschichte nicht aufweisen. Zwar geht Trumps Familiengeschichte auf Angehörige in Schottland und Deutschland zurück. Doch für den ehemaligen Immobilienmogul beginnt die Familiengeschichte erst so richtig mit seinem Vater Fred und dem Aufbau seines Unternehmens in New York City. Harris wiederum unterstreicht seit jeher ihre indische Herkunft mütterlicherseits und seit ein paar Jahren auch ihre jamaikanischen Wurzeln, der Heimat ihres Vaters.
Konklusion
Explizite politische Entscheidungen im Hinblick auf die transatlantischen Beziehungen können und müssen freilich bei einem Politiker wie Joe Biden hinterfragt und womöglich kritisiert werden. Explizit sei die Frage gestellt, ob die Kosten des eingehend genannten Geisel- und Gefangenenaustauschs zu hoch waren oder ob die Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg genügend unterstützt wird. Doch eines steht außer Frage: Dass Biden ein Transatlantiker mit Herzblut ist. Mit Bidens Auszug aus dem Weißen Haus am 20.01.2025 wird sich der Atlantik zwischen den USA und Europa im politischen Sinne wieder verbreitern. Biden ist der (vorerst) letzte Transatlantiker im Weißen Haus. Europa sollte besser darauf vorbereitet sein.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.