Am 03.11.2009 wurde Dr. Angela Merkel eine besondere Ehre zu teil. Als erst zweite Bundeskanzlerin nach Konrad Adenauer durfte sie nämlich eine Rede vor dem U.S. Kongress halten. Dass ausländische Gäste dazu eingeladen werden eine gemeinsame Sitzung des U.S. Senats und des U.S. Repräsentantenhauses zu adressieren, ist, nicht nur für deutsche Regierungschefs, eine Seltenheit (eine Übersicht dieser Reden gibt es auf der Seite des U.S. Kongresses, Klick hier).
Dass seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991 bislang drei Präsidenten der Ukraine eine Rede vor dem U.S. Kongress hielten, gilt schon als eine Ausnahme. Geschuldet ist dies den besonderen politischen Umständen des Landes. Ein Jahr nach seiner offenbar von Russland verschuldeten Dioxinvergiftung machte Viktor Yushchenko 2005 dem U.S. Kongress seine Aufwartung, Petro Poroshoenko 2014 nachdem Russland die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektierte.
Reden von ausländischen Gästen vor dem Kongress sind die Ausnahme
Im Dezember 2022 folgte schlussendlich Volodymir Zelensky – zehn Monate zuvor begann Russland seine vollumfängliche Invasion der Ukraine. Seitdem wurde die sicherheitspolitische Partnerschaft zwischen den USA und der Ukraine deutlich ausgebaut. Ein weiterer US-Besuch von Präsident Zelensky, der zunächst an der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York City teilnahm, in Amerikas Hauptstadt folgte im September 2023.
Hinter verschlossenen Türen informierte Präsident Zelensky am Capitol Hill U.S. Senatoren sowie die in den zuständigen Ausschüssen tätigen Abgeordneten des U.S. Repräsentantenhauses über den Verlauf des Krieges. Dass dem ukrainischen Präsidenten nur neun Monate nach seiner letzten Rede vor dem U.S. Kongress nicht erneut diese Ehre zuteil wurde, ist mitnichten ein von der Republikanischen Partei orchestrierter Skandal wie es Teile der deutschsprachigen Medienlandschaft verbreiteten. Die Rede eines ausländischen Gastes stellt nämlich, wie oben angeführt, eine Ausnahme dar.
Deutsche Medien mangelt es an Differenzierung
Generell mangelt es der deutschsprachigen Berichterstattung über US-Politik oftmals an der nötigen Differenzierung und an Hintergrundwissen. Die Meldungen über den jüngsten US-Besuch des ukrainischen Präsidenten unterstrichen dies erneut. Dass der Republikaner Kevin McCarthy, Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses, Präsident Zelensky wie oben ausgeführt nicht zu einer erneuten Rede vor dem U.S. Kongress einlud, ist nur ein explizites Beispiel.
Als weitere Exemplifizierung dient die ausschließlich positive Darstellung der sicherheitspolitischen Entscheidungen des demokratischen Präsidenten Joe Biden, geschehen in der Tagesschau (aber auch auf n-tv oder T-Online) vom 22.09.2023:
Auf Bidens „Unterstützung kann er [Zelenskey; Anm. d. Verf.] sich sicher sein.“
Zweifelsfrei gelten die USA unter Führung von Präsident Biden als der größte Unterstützer für die Ukraine in ihrem Freiheitskampf gegen die russischen Invasoren. Doch seit Beginn des Angriffskrieges handelt Präsident Biden zu zögerlich wie die monatelangen und teils sogar noch anhaltenden Diskussionen um die Entsendung von Kampfpanzern des Typs Abrams, Kampfjets des Typs F-16 oder um ballistische Kurzstreckenracketen des Typs ATACMS gezeigt haben und weiterhin zeigen. Die Rolle von Präsident Biden ist folglich nicht so „rosarot“ wie von der Tagesschau dargestellt. Zahlreiche sicherheitspolitische Experten bestätigen dies:
Struktur von US-Parteien sind Medien nicht bekannt
Die mangelnde Ausgewogenheit macht sich bei vielen deutschsprachigen Medien auch bei der Betrachtung US-amerikanischer Parteien bemerkbar. Viel zu häufig herrscht die, zumindest so dargestellte, Vorstellung vor, dass es in den USA wie in Deutschland eine Regierungsfraktion und eine Opposition gebe. Dies ist schon alleine auf Grund eines anderen politischen Systems, Stichwort präsidentielle versus parlamentarische Demokratie, so nicht haltbar. Zum anderen herrscht in den USA gegenwärtig ein divided government vor, heißt: Die Partei des Präsidenten hat eine Mehrheit in nur einer Kongresskammer, in diesem Fall im U.S. Senat, inne.
US-Präsident Biden hat den Kongress bereits um weitere Mittel [für die Ukraine; Anm. d. Verf.] gebeten, doch bei den oppositionellen Republikanern wächst die Skepsis.
Tagesschau vom 22.09.2023.
In der Tat hat Präsident Biden im Rahmen der Haushaltsplanung für das nächste Jahr weitere $24 Milliarden an monetären Mitteln für die Ukraine beim U.S. Kongress angefragt. Eine Forderung, die von der Mehrheit der Kongressmitglieder beider Parteien auch so geteilt wird. Und dennoch konnte der U.S. Kongress die vom Weißen Haus geforderten Hilfsgelder noch nicht bewilligen.
Ukraine-Hilfen nur ein (kleiner) Streitpunkt von vielen
Der Grund liegt im Streit um die Haushaltsplanung für das kommende Jahr. Während Republikaner mehrheitlich insbesondere für die Bekämpfung der illegalen Migration mehr Gelder aufwenden wollen, sehen dies Demokraten mehrheitlich skeptisch. Auf Grund der knappen Mehrheitsverhältnisse im U.S. Kongress sowie auf Grund eines divided government und der unterschiedlichsten Interessengruppen innerhalb der Fraktionen ist es eine Herausforderung eine Einigung, zudem zeitnah, zu finden.
Laut Artikel 1 Abschnitt 9 Satz 7 der US-Verfassung darf der Staatskasse des Bundes nur auf Grund gesetzlicher Bewilligungen Geld entnommen werden. Vor diesem Hintergrund muss der U.S. Kongress die jährliche Verwendung des Bundeshaushalts rechtzeitig zu Beginn des neuen Haushaltsjahres am 01.10. in Form eines Bewilligungsgesetzes beschließen. Alternativ kann übergangsweise die bestehende Bewilligung verlängert werden.
Eine Handvoll rechtspopulistischer Republikaner, die von Donald Trump unterstützt werden, drohen zudem mit einem Veto bei den anstehenden Abstimmungen. Dass diese wenigen extremen Republikaner so viel Macht besitzen liegt an den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im U.S. Repräsentantenhaus: Republikaner haben 222, Demokraten 213 Sitze inne. Die Debatte um weitere Ukraine-Hilfen dient hierbei als Mittel für strategische Manöver diverser Gruppierungen innerhalb der Parteien.
In den USA bestehen Parteien aus den unterschiedlichsten Gruppen
Die Macht einer relativ kleinen Gruppe könnte beschnitten werden, würden moderatere Republikaner mit moderaten Demokraten zusammenarbeiten. Doch dies ist im Washington D.C. des Jahres 2023 auf Grund der steigenden gesellschaftlichen und politischen Polarisierung ein eher unrealistisches Szenario, wenngleich immer wieder im Gespräch. Hinzu kommt, dass die Parteien aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Gruppen mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen bestehen.
Für die Republikanische Partei bedeutet dies in der Sicherheitspolitik, dass klassische Republikaner, die sich schon zu Zeiten des Kalten Krieges gegen Russland einsetzten, auf Fiskal-Konservative treffen, welche eine bessere Ausgabenkontrolle fordern. Seit der Ära Trump hat die Gruppe der Isolationisten, welche US-Hilfen für andere Länder grundlegend ablehnen, zudem Zulauf bekommen. Von der einen Republikanischen Partei, von denen deutschsprachige Medien häufig sprechen, kann somit keine Rede sein.
Republikaner, die mehr Waffen für die Ukraine fordern
Die US-Hilfen für die Ukraine sind vor diesem Hintergrund ein sehr gutes Beispiel für die Diversität der Republikanischen Partei, die übrigens bei den Demokraten – in anderen Politikbereichen – noch stärker ausgeprägt ist. Die größte republikanische Gruppe im U.S. Kongress unterstützt die bisherigen sowie weitere Hilfen für die Ukraine. Folglich votierten bislang auch mehr als zwei Drittel der republikanischen Abgeordneten für die Ukraine-Hilfen.
63% der US-Amerikaner unterstützen weitere Militärhilfen für die Ukraine im Budget für das nächste Jahr.
Repräsentative Umfrage von Razom und Change Research.
Eine weitere Kohorte spricht sich sogar für eine deutliche Ausweitung von Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Als Exempel dient an dieser Stelle das Verfassen eines offenen Briefes an Präsident Biden durch U.S. Senatoren um Tom Cotton vor dem Besuch des ukrainischen Präsidenten. Darin forderten namhafte Republikaner, darunter auch U.S. Senator Lindsey Graham, Präsident Biden dazu auf der Ukraine „die Waffen zur Verfügung zu stellen, die sie für einen Sieg benötigt“.
Explizit wurden in dem Brief ballistische Kurzstreckenwaffen des Typs ATACMS gefordert. Präsident Biden kam dem, nach längerem Zögern und erst nach dem Besuch von Präsident Zelensky, nach. Der republikanische Abgeordnete Michael McCaul, seines Zeichens Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, plädierte nach dem Briefing durch Präsident Zelensky ebenso für die Genehmigung weiterer, schwererer Waffen:
Politische Ränder sehen Ukraine-Hilfen skeptisch
Auf der anderen Seite gibt es in der Republikanischen Partei eine von Trump unterstützte Gruppierung, welche einen isolationistischen Kurs propagiert. Auch diese zwei Dutzend Republikaner fassende starke Faktion um U.S. Senator J.D. Vance verfasste einen offenen Brief an Präsident Biden. Darin wurden Fragen gestellt wie „Wohin geht unser Geld? Wie kommt die Gegenoffensive voran? Was ist unsere Exit-Strategie?“ Eine Gruppierung, die mitnichten die Mehrheit im U.S. Kongress darstellt, jedoch auf Grund der Mehrheitsverhältnisse (siehe oben) ein gewisses Machtpotential genießt.
Zu einer vollständigen differenzierten und tiefgehenden Betrachtung gehört die Feststellung, dass sich auch schon progressive Demokraten gegen weitere Ukraine-Hilfen aussprachen. Bereits im Oktober 2022 riefen 30 linke Demokraten um Pramila Jayapal den US-Präsidenten dazu auf, mehr Diplomatie zu wagen, den Krieg zu beenden und nicht weiter zu eskalieren. Eine Wortwahl, welche in Deutschland an die russlandfreundliche Kommunistin Sarah Wagenknecht erinnert. Eine Gruppierung, von der in deutschsprachigen Medien oftmals positiv berichtet wird.
Die politischen Ränder sind sich somit in der Frage um weitere Hilfsmaßnahmen für die Ukraine wenig erstaunlich einig – in Deutschland wie in den USA. Um den Feinden der Freiheit den Wind aus den Segeln zu nehmen, gehört auch eine tiefgehende, unaufgeregte Berichterstattung. Doch im Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts schreiben mittlerweile zu viele, eigentlich seriöse, Medien voneinander ab ohne bestimmte Begebenheiten zu hinterfragen.
Es liegt die Vermutung nahe, dass berichtet wird, was der eigenen politischen Einstellung gefällt. Doch in Zeiten des größten Angriffskrieges auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkrieges sollten sich Medien nicht die Freiheit einer mangelnden Differenzierung herausnehmen – auch wenn dies vor dem Hintergrund komplexer US-amerikanischer politischer Verhältnisse eine Herausforderung darstellen mag.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.





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