„I can’t breathe“. Worte, die im Juli 2014 um die Welt gingen. „Ich kann nicht atmen“. Worte, die aktueller denn je sind. Vor sechs Jahren benutzte der Afroamerikaner Eric Garner erstmals diesen Satz. Der Asthmatiker bekam beim gewaltsamen Anlegen von Handschellen durch Polizeibeamte keine Luft mehr – und verstarb. Im Mai diesen Jahres ereignete sich der jüngste Todesfall eines Afroamerikaners in Polizeigewahrsam. George Floyd benutzte die gleichen letzten Worte wie Garner.
„I can’t breathe“ steht seit dem ersten Ausspruch als Synonym für die Bewegung gegen Gewalt an und Ungleichbehandlung von Afroamerikanern. Dass Rassismus auch 66 Jahre nach der
– theoretischen – Aufhebung der Rassentrennung an US-amerikanischen Schulen durch den Obersten Gerichtshof weiterhin ein Problem darstellt, zeigte zuletzt nicht nur der Fall Floyd.
Rassismus weiterhin verbreitet
So legte die Coronavirus-Pandemie den weiterhin bestehenden strukturellen Rassismus offen. Überproportional viele Afroamerikaner infizierten sich mit und starben an Covid-19 (die Gründe hierfür wurden in folgendem Interview dargelegt, klick hier). Die Pflicht des Tragens von Mund- und Nasenschutz durch Afroamerikaner wurde zudem vereinzelt von weißen Geschäftsinhabern als Verschleierung des Gesichts und somit für einen Überfallplan gewertet.
Ohne den Fall Floyd wären diese Begebenheiten wohl nur eine mediale Randerscheinung geblieben. So demonstrierten seitdem hunderttausende Menschen in den USA und in der Welt gegen Rassismus und hauchten der Gleichberechtigungsbewegung neues Leben ein. Es ist jedoch eine Bewegung, die hauptsächlich nur „gegen“ etwas demonstriert. Gegen Rassismus. Gegen Ungleichbehandlung. Gegen Polizeigewalt.
Demonstrationen fehlt es an Nachhaltigkeit
Enorm wichtige Anliegen. Doch nur „gegen“ etwas zu sein, verbessert noch keine bestehende Situation. Konkrete Forderungen zur Bekämpfung des strukturellen Rassismus gehen bislang mit den Demonstrationen kaum einher. Die Auflösung der Polizeibehörden, wie es der linke Teil der Demonstranten fordert, ist kein ernstzunehmender Lösungsansatz. Präsident Trump wie Joe Biden gaben dem auch schon deutliche Absagen.
Der Vandalismus an Statuen, die angeblich rassistisch eingestellte historische Personen darstellen, hat zudem reinen Symbolcharakter. Am Alltag der Afroamerikaner ändert sich – ohne die dazugehörige historische Aufklärung der Bevölkerung – nichts.
Es spricht zudem für sich, dass beispielsweise eine Statue von Winston Churchill in London oder das Lincoln Memorial in Washington D.C. mit Graffiti besprüht und beide Personen als Rassisten bezeichnet wurden. Wohlgemerkt war es Churchill, der maßgeblich am Sieg über das faschistische Dritte Reich beitrug. Abraham Lincoln war der Präsident, der einen entscheidenden Anteil am Ende der Sklaverei in den USA hatte.
Wut über erneute Polizeigewalt bringt zwar die Massen auf die Straßen. Doch ohne konkrete Forderungen zur Bekämpfung des immer noch bestehenden Rassismus wird es keine nachhaltigen Verbesserungen geben. Dass des Weiteren der Adressat fehlt, an den sich die Proteste richten, zeugt zudem von einer fehlenden Tiefe.
Generation Facebook bringt Masse, keine Klasse auf die Straßen
Dass sich insbesondere weiße, jüngere Personen in den USA und weltweit den Demonstrationen anschließen ist erfreulich. Vor dem Hinblick fehlender konkreter Forderungen und Adressierung erscheint es jedoch, dass es sich hierbei oftmals um „Wohlfühldemonstranten“ handelt. Es wird auf die Straße gegangen, weil es „in“ ist.
Eine Reinwaschung des Gewissens, bei einigen Personen reicht hierfür schon das Erstellen eines komplett schwarzen Profilbildes in den sozialen Medien, geht vonstatten. Tiefgehende Überlegungen, wie Rassismus im Alltag bekämpft werden könnte, bleibt dabei in der Regel auf der Strecke.
Vorbild Generation Dr. Martin Luther King Jr.
Die Probleme, die mit den jüngsten Demonstrationen einhergehen, haben auch damit zu tun, dass die „Black Lives Matter“ Bewegung bis heute keine Führungsfigur hervorgebracht hat. Ein entscheidender Unterschied zu den 1950er und 1960er Jahren, als Dr. Martin Luther King Junior mit gewaltfreiem Protest und zielgerichteten Forderungen mehr für die afroamerikanische Gemeinschaft erreichte als jede andere Demonstration oder Afroamerikaner in politischer Verantwortung danach.
Die Generation des Dr. King demonstrierte für etwas, nicht nur gegen bestehende Ungleichheiten. Die – praktische – Aufhebung der Rassentrennung sowie das uneingeschränkte Wahlrecht für Afroamerikaner waren das Ergebnis. Für die heutige Generation der Bürgerrechtsbewegung gilt es von Dr. Martin Luther King Jr. zu lernen, damit in Zukunft die Worte „I can’t breathe“ keine Verwendung mehr finden müssen.
Filmtipp – „Selma“
„Sommer, 1965. Das formal bestehende Wahlrecht für Afroamerikaner in den USA wird in der Realität des rassistischen Südens ad absurdum geführt. Schwarze sind Bürger zweiter Klasse und täglich Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die Stadt Selma, Alabama, ist einer der Orte, in denen sich der Widerstand formt. Dr. Martin Luther King (David Oyelowo), jüngst mit dem Friedensnobelpreis geehrt, schließt sich den lokalen Aktivisten an.
Der Kampf um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit schlägt Wellen, die bald das ganze Land in Aufruhr versetzen.SELMA erzählt die Geschichte von Martin Luther Kings historischem Kampf um das Wahlrecht für die afroamerikanische US-Bevölkerung – eine gefährliche Kampagne, die in tagelangen Märschen von Selma nach Montgomery, Alabama, ihren Höhepunkt fand. Diese rüttelten die amerikanische Öffentlichkeit wach und überzeugten Präsident Johnson1965 den Voting Rights Act einzuführen. Oprah Winfrey und Brad Pitt zeichneten u.a. als Produzenten verantwortlich.“
Der Film ist unter anderem auf der Streaming-Plattform „Joyn“ zu sehen sowie auf „Amazon Prime“ zur Leihe verfügbar.
Der englischsprachige Trailer:
Der deutschsprachige Trailer: