„Ami go home!“ „Amerikaner, geh nach Hause!“ Ein Slogan, mit dem einst die politische Linke, auch durch Unterstützung der DDR, in Deutschland und Europa gegen die in der westlichen Hemisphäre stationierten US-Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg mobil machte. Während des Vietnamkriegs erlebte der Satz dank der außerparlamentarischen Opposition und der Friedensbewegung seine Hochzeit. Aus der Mottenkiste der Geschichte wurde der Slogan während des Irakkrieges 2003 erneut hervorgeholt.
Als die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump eine Truppenreduzierung planten, wurde dies auch von politischen Akteuren des gemäßigten linken Spektrums, nunmehr teils in politischer Verantwortung, freilich ebenso kritisiert. Die Beziehung zwischen den deutschen Linken und den USA ist von einer gewissen Ambivalenz gekennzeichnet.
Die radikale Linke wiederum will sich von den USA abwenden und die NATO auflösen. Für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eigentlich zu vernachlässigende Forderungen, war diese Einstellung zunächst nur außerhalb des Parlaments und seit der Wiedervereinigung in einer Kleinpartei ohne Chancen auf Regierungsbeteiligung vertreten. Doch 31 Jahre nach dem Untergang der DDR hat die Partei Die Linke, juristische Fortsetzungspartei der SED, erstmals realistische Aussichten Teil einer Bundesregierung zu werden.
SPD und Bündnis 90/ Die Grünen verweisen zwar aus wahlkampftaktischen Gründen darauf, dass mit einer Partei, die nicht für eine außenpolitische Stabilität, Kontinuität und für die Westbindung Deutschlands steht, eine Koalitionsbildung unrealistisch sei. Doch wie viel ist diese Aussage nach den Dammbrüchen auf Landesebene und auf Grund der Gemeinsamkeiten in der Sozial- und Gesellschaftspolitik wert?
Katja Kipping, ehemalige Co-Vorsitzende der Partei Die Linke, verringert jedenfalls schon vor der Wahl die außenpolitischen Hürden für ein mögliches Rot-Rot-Grünes-Bündnis. Bei der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ berief sie sich auf Joe Biden, eben jenen Präsidenten der für diese Partei eigentlich so verachteten Supermacht. Präsident Biden erklärte nämlich in seiner Rede zum Abzug aus Afghanistan den US-amerikanischen Interventionismus der vergangenen Jahrzehnte für beendet:
Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden.
Präsident Biden hat damit, nahezu unbemerkt von der hiesigen Öffentlichkeit, die US-Sicherheitspolitik der vergangenen Jahrzehnte ad acta gelegt. Es ist eine Rückkehr zu einer stärker isolationistisch orientierten Sicherheitspolitik, wie sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg von den USA praktiziert wurde. Nach dem für den Westen erfolgreichen Kalten Krieg und der bis dato nicht beendeten Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus haben die USA den Willen zur Gestaltung der Welt mit militärischen Mitteln verloren.
Was die Präsidenten Barack Obama und Trump begannen, vollendet nun Biden. Die Konzentration der USA liegt im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts primär auf der Stärkung des eigenen Landes: Infrastruktur, Migration, Wirtschaft, Klimaneutralität. Das eigene Land soll umgestaltet, besser gemacht werden, nicht ferne Nationen auf weit entfernten Kontinenten.
Eine Begebenheit, an die Kipping bei „Markus Lanz“ anknüpfte. Der NATO-Austritt Deutschlands sei keine Bedingung für den Eintritt in eine Koalition mehr. Vielmehr forderte Kipping nun eine Garantie, dass sich das nordatlantische Verteidigungsbündnis nicht mehr interventionistisch betätigen solle. Paradoxerweise eine Wortwahl ganz im Sinne des US-Präsidenten.
Lobende Worte für die neue sicherheitspolitische Ausrichtung der USA unter Präsident Biden fand auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei der ProSieben-Bundestagswahl-Show. Spielt die Linke-Basis und deren neues, extremeres Führungsduo mit, wäre die Außen- und Sicherheitspolitik auch dank Präsident Biden wohl kein unüberwindbares Hindernis für eine Rot-Rot-Grüne-Koalition auf Bundesebene mehr.
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