Die Buchbesprechung: „Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ (René Pfister)

Lionel Messi, Joe Biden, Jennifer Lawrence. Im Gegensatz zu Profisportlern, Politikern oder Schauspielern sind Biologen der Allgemeinheit eher kein Begriff. Ausnahmen bestätigen die Regel, die Doktorandin der Biologie Marie-Luise Vollbrecht gehört dazu. Deutschlandweit bekannt wurde sie durch einen geplanten Vortrag zum Thema Geschlecht und Gender, welcher von der Humboldt Universität zu Berlin abgesagt wurde. Vorausgegangenen waren Protestankündigungen gegenüber Vollbrechts Auftritt im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften. 

Vollbrechts „Vergehen“ war schon im Titel ihres Vortrages angelegt: „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt.“ Die Tatsachenbeschreibung, dass zwei biologische Geschlechter existieren, sollte zu einem lautstarken – und erfolgreichen – Aufschrei von progressiven Aktivisten führen. Vollbrecht teilt sich damit ein ähnliches Schicksal wie einst Christine Lagarde (damals IWF-Chefin), Robert Zoellick (Weltbank) oder Condelezza Rice (ehemalige US-Außenministerin) an Universitäten in den USA. 

Es sind Beispiele für eine neue linke Identitätspolitik, die in den Vereinigten Staaten von Amerika ihren Anfang nahm und zunehmend auch in Mitteleuropa an Einfluss gewinnt. Mit diesem brisanten und hochaktuellen Thema hat sich René Pfister in seinem Buch „Ein falsches Wort. Wie eine neue Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ auseinandergesetzt. Als Büroleiter des Hauptstadtbüros USA des im linken politischen Spektrum zu verortenden SPIEGEL ist Pfister für solch ein sensibles Thema „unverdächtig“. 

Pfister verweist sodann in seinem 256 Seiten starken und in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen Werk auch darauf, dass zwar die liberale Demokratie zweifelsohne von Rechts, wie beispielsweise bei der Stürmung des U.S. Kapitols am 06. Januar 2021, bedroht werde. Doch westliche Freiheitswerte werden, so Pfister, eben auch von Links herausgefordert. Mit dieser Thematik setzt sich der Journalist schlussendlich in seinem Buch explizit auseinander. 

Es geht um „den Kern der liberalen Demokratie (…). Sie wird nicht nur angegriffen von einer populistischen Rechten. Sondern auch von einer doktrinären Linken, die im Namen von Antirassismus, Gleichberechtigung und des Schutzes von Minderheiten versucht, Prinzipien zu untergraben, die essenziell sind: die Rede- und Meinungsfreiheit; die Idee, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist; den Grundsatz, dass niemand wegen seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts benachteiligt werden sollte.“ (René Pfister: Ein falsches Wort, S. 16f.)

In 13 Kapiteln beschreibt Pfister anschaulich anhand diverser Beispiele diese neue Ideologie, die laut des Autors einen Absolutheitsanspruch besitzt. Pfister stellt vor diesem Hintergrund einen Chefredakteur vor, der seinen Arbeitsplatz verliert, weil ein von ihm genehmigter Meinungsbeitrag einen Shitstorm in den Sozialen Medien auslöste. Der Autor macht auf Professoren und Referenten aufmerksam, die suspendiert beziehungsweise ausgeladen wurden, da diese Meinungen vertraten, „die als unsensibel, rückständig oder verletzend gegenüber Minderheiten gelten (S. 38).“

Unter diese Kategorie fallen so ziemlich alle Äußerungen und Taten, sofern diese von einer Person mit dem aus Sicht der Aktivisten falschen Geschlecht, Ethnie oder Minderheit ausgesprochen werden. Öffentliche Buße wird erwartet, eine Absolution wird dennoch nicht erteilt. Pfister sieht hierbei parallelen zum US-amerikanischen Protestantismus:

Zur protestantischen Tradition gehöre es, die eigenen Verfehlungen öffentlich zu bereuen und die Reinheit des Glaubens zu beteuern.“ (S. 33)

Mit der Critical Race Theory, welche Politik wie Unternehmen in den USA und mittlerweile auch in Deutschland durchdringt, setzt sich Pfister infolgedessen ebenso kritisch wie differenziert auseinander. Eine Theorie, welche „eine neue Parteilichkeit, um die alten Sünden zu heilen“ fordert (S. 50). Eine Ideologie, die laut Pfister Zugehörigkeiten zu einer Minderheit vor Eignung, Leistung und Befähigung setzt.

„Als an seiner [Dorian Abbot, Professor für Geophysik; Anm. d. Verf.] Fakultät eine Stelle frei geworden sei, habe es in der Ausschreibung geheißen, Kriterien wie Hautfarbe oder Geschlecht spielten keine Rolle. >>Dann sagte uns der Dekan: >Sucht jemanden aus! Jeder kann sich bewerben. Aber wenn ihr mir einen Bewerber präsentiert, werde ich nur Frauen akzeptieren oder Minderheiten.< <<“ (S.70)

Laut des mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichneten Journalisten unterstütze ein Großteil des Universitätspersonals und der Medien linke Identitätspolitik, da insbesondere erstgenannter Berufszweig Personen mit einer linken Einstellung anziehe. Für Pfister ist auch die
[D]emokratische Partei in den vergangenen Jahren zweifellos nach links gerückt“ (S.138).

Die Arbeiterschaft, traditionell eigentlich Stammwähler der Demokraten, habe die Partei so vergessen, ja im Wahlkampf 2016 gar als „Korb der Bedauernswerten“ (Hillary Clinton) bezeichnet. An deren Stelle trat linke Identitätspolitik und die Belange elitärer Bürger in den liberalen Großstädten an den Küsten. Bekanntlich erkannte Donald Trump diese Schwäche der Demokraten im Jahr 2016, der Wahlausgang ist bekannt.

Zur Verteidigung der liberalen Demokratie hat sich René Pfister in seinem Werk „Ein falsches Wort“ mit einem bedeutenden und polarisierenden Thema der Gegenwart beschäftigt und damit Mut bewiesen. Ein Buch, welches mit einer Vielzahl an lesenswerten, interessanten Hintergründen ebenso aufwartet wie mit smarten Schlussfolgerungen:

Meine Theorie ist: Linke Identitätspolitik schadet vor allem der politischen Mitte und dem aufgeklärten Lager. (S. 216)

Die Antwort auf alte Diskriminierung kann nicht neue sein. (S. 229f.)

Es wäre nicht verwunderlich, wenn demnächst auch die Lesung eines SPIEGEL-Journalisten abgesagt werden würde. Seine Bekanntheit würde René Pfister damit wohl nochmals vergrößern.

Vielen Dank an die Deutsche Verlags-Anstalt für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.  Weiterführende Informationen des Verlags (Klick hier).

Die offizielle Buchbeschreibung
Eine linke Revolution hat Amerika erfasst: Im Namen von Gerechtigkeit und Antirassismus greift dort eine Ideologie um sich, die neue Intoleranz erzeugt – in liberalen Medien kann ein falsches Wort Karrieren beenden, an den Universitäten herrscht ein Klima der Angst, Unternehmen feuern Mitarbeiter, die sich dem neuen Zeitgeist widersetzen. In vielen Porträts und Geschichten beschreibt René Pfister, Büroleiter des SPIEGEL in Washington, diese neue politische Religion – und zeigt auf, warum die amerikanische Demokratie nicht nur von rechts unter Druck kommt. Er erklärt, wie Dogmatismus, Freund-Feind-Denken und Mob-Mentalität in Internet die Meinungsfreiheit in den USA schon gefährlich eingeschränkt haben. Eindrücklich warnt er vor diesem Fundamentalismus, dem wir uns widersetzen müssen, um auch in Deutschland die offene Gesellschaft zu verteidigen.

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen; Canva.com; DVA; eigene Grafiken

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