Bidens zweite Chance

Minus 63 Sitze im U.S. Repräsentantenhaus für die Demokratische Partei. Nur zwei Jahre nach der überwältigenden Wahl von Barack Obama zum 44. US-Präsidenten wendeten sich im Jahr 2010 US-Amerikaner in Scharen von der Partei des einstigen Hoffnungsträgers ab. Ähnlich erging es seinem Nachfolger Donald Trump. Nur zwei Jahre nachdem der ehemalige Immobilienmogul das politische Establishment erfolgreich herausforderte, legte ihm die Wählerschaft legislative Ketten an. Die Demokratische Partei eroberte die Mehrheit im U.S. Repräsentantenhaus zurück, Republikaner verloren 40 Abgeordnetensitze. 

In Zwischenwahlen, dem Votum über eine vollkommen neue Zusammensetzung des U.S. Repräsentantenhauses und ein Drittel des U.S. Senats, verliert traditionell die Partei, die den Präsidenten stellt, an Zustimmung. Die US-amerikanische Wählerschaft trägt seinen Teil im System der checks and balances bei und fordert die Exekutive zur vermehrten Zusammenarbeit mit der Legislative, insbesondere mit der konkurrierenden Partei, auf.

Partei des Präsidenten verliert in der Regel die Zwischenwahlen

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs verlor die Partei des Präsidenten im Durchschnitt 26 Sitze im U.S. Repräsentantenhaus. Nur in den Jahren 1998 (Demokraten, Präsident Bill Clinton) und 2002 (Republikaner, Präsident George W. Bush) konnte die regierende Partei mit einem Gewinn von fünf beziehungsweise sechs Abgeordneten als Siegerin aus den midterms herausgehen. Bei den Senatswahlen, alle zwei Jahren stehen ein Drittel der Sitze zur Wahl, verliert die Partei des Präsidenten in der Regel ebenso, allerdings nicht ganz so dramatisch. 

Vor diesen Hintergründen ist es wenig verwunderlich, dass Präsident Joe Biden und die Demokratische Partei mit großem Respekt in die diesjährigen Zwischenwahlen gehen. Schon jetzt verfügen Demokraten in beiden Kammern des U.S. Kongresses nur über eine hauchdünne Mehrheit. Im U.S. Senat können die ausgeglichenen Mehrheitsverhältnisse, sofern alle demokratischen Abgeordneten in gleicher Weise abstimmen, ohnehin nur von der Vizepräsidentin im Sinne der Demokraten aufgelöst werden. 

Vakanz am Obersten Gerichtshof als Bidens Chance

Schlechte Umfragewerte, eine blockierte politische Agenda und Prioritäten, welche US-Amerikaner in repräsentativen Umfragen hinterfragen, setzen die Biden-Administration zudem unter Druck. Gleichwohl der Hausherr von „1600 Pennsylvania“ normalerweise in Zwischenwahljahren nicht an Zustimmung zulegen kann, eröffnet sich für Präsident Biden dennoch so etwas wie eine zweite Chance, eine Art Re-Start für seine erste Amtszeit. 

Mit Stephen Breyer geht nämlich am Ende der gegenwärtigen Sitzungsperiode, sprich im Sommer 2022, ein Richter des Obersten Gerichtshofs in den Ruhestand. Präsident Biden wird infolgedessen eine Nachfolgerin, es soll eine Afroamerikanerin sein, nominieren. Anhörungen vor dem zuständigen Ausschuss des U.S. Senats sowie eine Abstimmung über die Personalie werden folgen. Am Verhältnis der von demokratischen (3) und republikanischen (6) Präsidenten nominierten Richtern ändert sich jedoch nichts, da Breyer im Jahr 1994 erfolgreich vom demokratischen Präsidenten Clinton vorgeschlagen wurde.

Versöhnung mit enttäuschten Wählern?

Einerseits ermöglicht der Nominierungsprozess für den vakant werdenden Sitz am Supreme Court den Fokus von der gegenwärtig vom U.S. Senat blockierten Agenda des Präsidenten zu lenken. Mit einem smart durchdachten Prozess zur Findung und Installierung einer Obersten Richterin hat Präsident Biden die Chance Führungsstärke zu zeigen. Mit der Einbindung von moderaten Republikanern, wie dies schon geschieht, könnte Präsident Biden zudem bei unabhängigen Wählern punkten. 

Vertrauen zurückgewinnen könnte Präsident Biden auch bei Afroamerikanern. Seit Amtsantritt verlor Präsident Biden laut einer repräsentativen Umfrage von Morning Consult bei dieser Kohorte 23 Prozentpunkte an Zustimmung. Nur noch 63 Prozent der Afroamerikaner, eine der wichtigsten Wählergruppe des Präsidenten, sind mit Bidens Arbeit zufrieden. Dass sich Präsident Biden sofort dazu entschied, erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine Afroamerikanerin als Oberste Richterin zu nominieren, wird bei farbigen US-Amerikanern positiv bewertet: 68 Prozent unterstützen Bidens Entscheidung.

Innerhalb der Demokratischen Partei kam es zuletzt zudem vermehrt zu Spannungen zwischen den verschiedenen Faktionen. Der Nominierungsprozess einer qualifizierten, hoch angesehenen Richterin könnte die Partei für die nächsten Wochen, eventuell Monate, vereinter auftreten lassen. Im Hinblick auf die im November anstehenden Zwischenwahlen eine grundlegende Voraussetzung, um gegen die derzeit mit Rückenwind ausgestatteten oppositionellen Republikaner bestehen zu können. 

Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.

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