Er kassiert erneut schwere Treffer. Rocky Balboa hängt in den Seilen des Boxrings. Ein weiterer Niederschlag. Blutüberströmt liegt Rocky, der fiktive und weltweit berühmte Boxheld aus Philadelphia, am Boden. Doch er gibt nicht auf. Begibt sich zurück auf seine wackligen Beine, kämpft weiter, schlägt zurück – und gewinnt den Kampf spektakulär.
Der Spirit des US-amerikanischen Comebacks ist so alt wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Egal ob im Sport, in der Politik, in der Wirtschaft oder im Privaten: US-Amerikaner strotzen im Vergleich zu Europäern von Optimismus, sei die Lage noch so ausweglos. Rocky Balboa lebt dies exemplarisch in den gleichnamigen Filmen vor.
Prominente Beispiele aus der realen Welt sind keine geringeren als Steve Jobs oder Alex Smith. Erstgenannter gab bei Apple nicht nur ein persönliches Comeback, sondern verwandelte die Firma zu einer der wertvollsten Marken der Welt. Smith hingegen verdient als Quarterback beim Washington Football Team seine Brötchen. Nach einer schweren Verletzung, bei der selbst sein Leben auf dem Spiel stand, kehrte Smith in der vergangenen Saison auf das Spielfeld zurück – und führte sein Team in die Playoffs.
Das Drehbuch bei der Bewältigung der gegenwärtig weltweit größten Herausforderung, der Coronavirus-Pandemie, ähnelt diesen Comeback-Geschichten stark. Die USA wurden in absoluten Zahlen am stärksten in Bezug auf Fall- und Todeszahlen von der Pandemie getroffen. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur: Starke Mobilität sowie eine ausgeprägte Einstellung zu individuellen Freiheitsrechten, Weltstädte mit Armutsvierteln, ein ausbaufähiges Gesundheitssystem sowie teils Politiker, welche die Gefahren der Pandemie herunterspielten.
Doch selbst der damalige US-Präsident Donald Trump rief mit der Operation Warp Speed ein ehrgeiziges Projekt ins Leben, welche die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von COVID-19-Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika erleichtern und beschleunigen sollte. Infolgedessen kündigte Trump im Mai 2020 an, dass es bereits Ende des Jahres mindestens einen Impfstoff geben würde und erste Impfungen vorgenommen würden. In Deutschland wurde er hierfür belächelt.
Doch diese Zielsetzung und der typische US-amerikanische Optimismus legten die Grundlagen für den Erfolg in der jetzigen Phase der Pandemie. Präsident Joe Biden knüpfte an diese Tugenden an und verkündete im Januar das Ziel, in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit 100 Millionen Impfdosen zu verabreichen.
Dabei handelte es sich nicht nur um Reden, es wurde auch dementsprechend gehandelt, frühzeitig hochqualifiziertes Personal mit den nötigen Aufgaben betraut sowie beispielsweise auch das Kriegswirtschaftsgesetz zur Herstellung nötiger medizinischer Ausstattung aktiviert. In diesen Tagen verkündete Präsident Biden, dass bis Ende Mai 2021 sogar für jeden erwachsenen US-Amerikaner Impfdosen zur Verfügung stehen werden.
Laut Our World In Data konnten die USA bei einer Einwohnerzahl von 331 Millionen bis zum
03. März 2021 schon mehr als 80 Millionen Impfdosen verabreichen. Die Europäische Union hingegen bei einer Einwohnerzahl von 445 Millionen nur 34 Millionen. Pro 100 Einwohner haben die USA bislang 23,5 Dosen verabreicht, Deutschland nur 7,9.
Mit Blick auf diese Zahlen erscheint die Aussage von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, dass Deutschland „alles Menschenmögliche getan“ habe, fragwürdig. Eine seit Monaten offensichtlich schlecht anlaufende Impfkampagne wird, teilweise sogar auf kreative Weise, auch noch verteidigt. Derweil geben sich die Verantwortlichen in den USA weiterhin nicht zufrieden mit ihrem Impffortschritt. Es solle noch schneller gehen. So arbeiten die USA wie einst Rocky Balboa an ihrem Comeback. Der alte Kontinent schaut hingegen eher wie Axel Schulz bei seinem Comebackversuch 2006 aus: Lethargisch und ängstlich. In der sechsten Runde sollte Schulz K.O. gehen.