Bidens Schwäche

Jedem seiner Konkurrenten verpasste Donald Trump einen Spitznamen. Im republikanischen Vorwahlkampf 2016 nannte er beispielsweise Senator Marco Rubio „Little Marco“ („kleiner Marco“) und Gouverneur Jeb Bush „Low Energy Jeb“ („energiearmer Jeb“). Im Hauptwahlkampf wurde Hillary Clinton mit „Crooked“ („betrügerisch“) beschrieben. Einmal in die Welt gesetzt, konnten sich die jeweiligen Kandidaten von diesen negativ konnotierten Spitznamen nicht mehr befreien.

Vier Jahre und unzählige Spitznamen später forderte „Sleepy JoeBiden den 45. US-Präsidenten heraus – und gewann. Nach aufregenden Trump-Jahren, in denen eine Eilmeldung der nächsten folgte, präferierten US-Amerikaner einen ruhigeren Stil im Weißen Haus. Der „schläfrige Joe“ wurde somit zu Bidens positivem Merkmal.

Im Oval Office angekommen, war Präsident Biden gar nicht mehr so schläfrig, wie dies im Wahlkampf noch wahrgenommen wurde. Gleichwohl er auf einen unspektakulären Regierungsstil setzt, US-amerikanische Medien sprechen gar von „langweilig“, versucht Präsident Biden im Schnelltempo innenpolitische Reformen durchzusetzen.

Wenig Interesse am Nahen Osten

Diese rege Aktivität bildet sich jedoch nicht auf den außenpolitischen Kurs der Biden-Administration ab. Als die radikalislamische Hamas den Nahostkonflikt erneut eskalieren ließ und tausende Raketen auf Israel schoß, wartete Präsident Biden zunächst mit einem dröhnenden Schweigen auf. Später unterstrich der US-Präsident zwar das Selbstverteidigungsrecht Israels, doch die traditionell starke Allianz zwischen den USA und Israel wurde da schon hinterfragt. Insbesondere die Diskussion innerhalb seiner eigenen Demokratischen Partei entglitt dem Präsidenten.

So ist es nicht verwunderlich, dass bei den Verhandlungen eines Waffenstillstandes die USA nur eine Nebenrolle einnahmen. Die Reise von US-Außenminister Antony Blinken in den Nahen Osten in dieser Woche unterstrich zudem, dass die USA kein Interesse an vermittelnden Gesprächen zwischen den Konfliktparteien hegen. Die USA unter Präsident Biden wollen sich
– zunächst – so weit wie möglich aus dem Nahostkonflikt heraushalten.

Eine Passivität, die auch den neuesten Ausbruch der Gewalt begünstigte. Die Palästinensische Autonomiebehörde verschob nämlich im Mai kurzfristig die erstmals seit 2006 angesetzte Parlamentswahl. Die Biden-Administration hätte vor diesem Hintergrund Druck auf Mahmud Abbas ausüben und auf die Abhaltung der Wahl bestehen sollen. Als wichtiger Geldgeber hätten die USA ein wichtiges Druckmittel in der Hand gehabt.

Neben der demokratischen Einbindung der palästinensischen Bevölkerung wäre es zudem wahrscheinlich gewesen, dass bei den Wahlen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen geschwächt worden wäre. Doch die Wahlen wurden verschoben, ein Machtvakuum entstand, wie übrigens auch in Israel auf Grund gescheiterter Regierungsbildungen. Die radikalislamische Hamas sah dies als eine passende Gelegenheit  zur Profilierung.

Schwäche gegenüber Russland

Währenddessen testen Autokraten in Osteuropa ihre Grenzen aus. Der belarusische Diktator Alexander Lukashenko erhöht seit Monaten unbeeindruckt von westlichen Sanktionen die Repressionen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Circa 40.000 Belarusen wurden seit August 2020 willkürlich gefangen genommen, zahlreiche Oppositionelle wurden des Landes verwiesen oder flohen, unabhängige Medien wurden flächendeckend blockiert.

Die Umleitung einer Ryanair-Passagiermaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius, um einen Oppositionellen in Minsk zu entführen, war hierbei der vorläufige Höhepunkt der Gräueltaten Lukashenkos. Unterstützt wird der belarusische Präsident von seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin, der sich als dessen Finanzier geriert.

Mittelfristiges Ziel des Kreml ist ein weiter steigender Einfluss auf Belarus oder sogar dessen Annexion, wie es nicht nur der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis sieht. Auch schon die Trump-Administration erkannte diese Herausforderung und entsandte mit dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton das ranghöchste Regierungsmitglied seit dem Besuch von Präsident Bill Clinton im Jahr 1994 nach Minsk.

Die Flugzeugentführung führte Lukashenko sicherlich nicht ohne das Wissen des Kreml aus. Es ist gut vorstellbar, dass Russland das Nachbarland benutzte, um vorzufühlen, wie die Reaktion des Westens sein würde. Schon in den Wochen zuvor ließ Putin russische Truppen an der Grenze zur Ukraine, Lukashenko tat ähnliches, aufmarschieren, um ein Bedrohungsszenario darzustellen. Der Westen reagierte mit scharfen Worten. Präsident Biden bezeichnete seinen russischen Amtskollegen schon zuvor gar als „Mörder“.

Taten folgten, aber nur zur Zufriedenheit des Kreml. US-Präsident Biden ließ nämlich verlautbaren, dass er von weiteren Sanktionen gegenüber der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 absehen werde. Zwar sei er, so Präsident Biden, von Anfang an gegen das Projekt gewesen. Doch wegen dem fortgeschrittenem Baustadiums seien weitere Sanktionen „kontraproduktiv“. Putin dürfte dies mit Freude vernommen haben. Am Tag nach der Flugzeugentführung wurde zudem bekannt, dass sich Präsident Biden mit Putin treffen würde – ohne Vorleistung.

Die Welt ist in Aufruhr. Doch die Ordnungsmacht USA zeigt insbesondere gegenüber Europa und dem Nahen Osten wenig Interesse. Antidemokraten und Extremisten stoßen in dieses Machtvakuum, welches schon unter den Präsidenten Obama und Trump zum Vorschein kam, immer weiter vor. Bei seinem Treffen mit Putin am 16. Juni 2021 sollte Präsident Biden seine außenpolitische Schläfrigkeit ablegen. Ansonsten bestimmte Trump, zumindest im Bereich der Außenpolitik, mit einem weiteren Spitznamen die politische Zukunft eines Konkurrenten.

Weiterführende Leseempfehlung: „Is Biden Going Soft on Putin?“ (The Bulwark)

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