Im Jahr 1870 gründeten ehemalige Republikaner als Opposition zum damaligen Präsidenten Ulysses S. Grant die Liberal Republican Party. Bei der Präsidentschaftswahl 1872 erzielte die Partei mit ihrem Kandidaten Horace Greeley auf Anhieb 43,8% der landesweit abgegebenen Stimmen, verlor im entscheidenden Wahlmännergremium jedoch klar mit 66 zu 286 Delegierten. Doch vor der Zusammenkunft des Wahlmännerkollegiums verstarb Greeley im Alter von 61 Jahren. Ein bis heute einmaliges Ereignis in der Geschichte der USA.
Doch was passierte nach Greeleys Ableben mit dessen gewonnen Wahlleuten? Und überhaupt, wie würde das Prozedere aussehen, wenn ein Präsidentschaftskandidat zwischen Entscheidung der innerparteilichen Vorwahlen und einer – möglichen – Amtseinführung nicht mehr fähig wäre seine Position auszuführen? Wie groß ist der Einfluss der jeweiligen Partei auf solch eine historische Demission?
Der nachfolgende Beitrag soll über diese und weitere Fragen, die in diesem Jahr keinesfalls lediglich theoretischer Natur sind, Aufschluss geben. Schließlich findet der Präsidentschaftswahlkampf 2024 zwischen den ältesten jemals gegenüberstehenden Kandidaten statt. War in den 1980er Jahren noch Ronald Reagan der älteste amtierende Präsident in der US-Geschichte, löste ihn in dieser Statistik 2017 Donald Trump ab. Nur vier Jahre später wurde dieser Rekord von Joe Biden eingestellt. In diesem Jahr treten Biden und Trump in ihrem Methusalem-Duell – erneut – gegeneinander an.
Zeitraum | Ereignis |
---|---|
Februar – Juni | Innerparteiliche Vorwahlen |
Juli/ August | Nominierungsparteitage |
Dienstag nach dem ersten Montag im November | Präsidentschaftswahl |
Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember | Votum des Wahlmännergremiums |
06. Januar | Auszählung des Votums des Wahlmännergremiums |
20. Januar | Amtseinführung des Präsidenten |
Szenario 1: Sieger der Vorwahlen verzichtet auf Nominierung
Präsident Biden und Trump konnten frühzeitig in ihren jeweiligen innerparteilichen Vorwahlen die nötige Mehrheit an Delegierten gewinnen, um bei den Parteitagen im Sommer offiziell als Präsidentschaftskandidaten nominiert zu werden. Einer erneuten Kandidatur stehen somit nur noch der eigene Rücktritt, zum Beispiel aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen, oder das eigene Ableben entgegen.
In der Theorie könnte ein Rücktritt wie folgt ablaufen: Nach Beendigung aller Vorwahlen im Juni und einem damit einhergehenden Vorwahlsieg nimmt der Gewinner die darauffolgende Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten nicht an. Im expliziten Fall von Präsident Biden könnte dieser solch eine Entscheidung damit begründen, dass er ursprünglich ohnehin nur eine Brücke zur neuen Generation demokratischer Politiker bilden wollte. Seine Würde wäre damit gewahrt.
Die an Präsident Biden zugesprochenen Delegierten würden damit am Nominierungsparteitag frei in ihrer Wahlentscheidung werden. Die Folge: Alle Delegierten am Parteitag müssten einen Präsidentschaftskandidaten aus einem komplett neuen Bewerberfeld nominieren. Der Kampf um die Nominierung würde epische Ausmaße tragen, könnte die nächste offene Vorwahl doch erst im Jahr 2032 stattfinden. Ein harter Kampf zwischen womöglich zahlreichen hochkarätigen Kandidaten wäre vorprogrammiert.
Jüngere, gut vernetzte Demokraten wie Vizepräsidentin Kamala Harris, Gouverneur Gavin Newsom, Gouverneur J.B. Pritzker oder Gouverneurin Gretchen Whitmer würden aggressiv um ihre Gunst werben. Präsident Biden könnte indes als Königsmacher agieren, suchte dessen Team doch einst seine Delegierten nach Loyalität zum 46. Präsidenten aus. Eine politisch unerfahrene Michelle Obama, deren Personalie von Medien oftmals ins Spiel gebracht wird, hätte in solch einem Rennen weder große Chancen noch, nach aktuellem Stand, Ambitionen.
Die Wahrscheinlichkeit für solch ein Szenario, vorausgesetzt keiner signifikanten gesundheitlichen Verschlechterungen des Präsidenten, ist allerdings gering. Präsident Biden ist seit mehr als 50 Jahren in gewählten Ämtern tätig. Mehrmals wurde dem Demokraten der Weg in das Weiße Haus verwehrt, erstmals in den 1980er Jahren. Dass Präsident Biden vor diesen Hintergründen nun die gewonnene exekutive Macht freiwillig und ohne Abwahl abgibt, gilt zum jetzigen Zeitpunkt als unwahrscheinlich.
Ähnliches gilt für Trump, ist doch einerseits dessen Ego zu groß, um von seiner dritten Präsidentschaftskandidatur in Folge zu lassen. Andererseits sind die Delegierten bei den republikanischen Vorwahlen, im Gegensatz zu den demokratischen Vorwahlen, in einem ersten Wahlgang an den jeweiligen Kandidaten gebunden. Heißt: Selbst wenn Trump bis zum Nominierungsparteitag im Juli in einem seiner zahlreichen Verfahren verurteilt werden würde, könnte ihn niemand in der Partei dazu drängen, seine Kandidatur aufzugeben.
Szenario 2: Nominierter Kandidat kann nicht mehr an der Wahl teilnehmen
Ein zweites Szenario sieht vor, dass der Sieger der Vorwahlen auf einem Parteitag offiziell als Präsidentschaftskandidat nominiert wurde. An der Präsidentschaftswahl im November kann dieser jedoch auf Grund von Tod, Krankheit oder Rücktritt nicht mehr teilnehmen. Tritt solch ein Fall ein, wird sodann ein Treffen des Parteivorsitzenden, der Parteiführer im U.S. Kongress sowie das Gremium der Gouverneure aus der eigenen Partei einberufen. Dabei wird eine Empfehlung ob des neuen Präsidentschaftskandidaten an einen Ausschuss, bei der Demokratischen Partei besteht dieser aus 450 Mitgliedern, abgegeben. Dieser entscheidet sodann über den neuen Spitzenkandidaten.
Szenario 3: Kandidat stirbt nach der Wahl, aber vor Tagung des Wahlmännergremiums
In den Vereinigten Staaten von Amerika wird der Präsident nicht direkt gewählt. Das Wahlvolk entscheidet über Wahlmänner, die wiederum den Präsidenten wählen. Stirbt ein Präsidentschaftskandidat nach der Präsidentschaftswahl, aber vor der Einberufung des Wahlmännergremiums, bestimmt die Partei über einen Nachfolger des verstorbenen Kandidaten (siehe Szenario 2).
Beim eingangs erwähnten Fall des verstorbenen Kandidaten Greeley votierten im Wahlmännergremium 18 der 66 gewonnenen Delegierten sodann für dessen Vizepräsidentschaftskandidaten Benjamin Gratz Brown. Die restlichen 45 Wahlmänner teilten ihre Stimmen für drei Personen, die eigentlich gar nicht kandidierten, auf.
Szenario 4: Kandidat stirbt nach Einberufung des Wahlmännergremiums, aber vor Auszählung der Stimmen
Die Wahlleute treffen sich traditionell am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember in den Hauptstädten ihrer jeweiligen Bundesstaaten. Dabei geben diese in zwei ungebundenen Wahlgängen ihre Stimmen für den Präsidenten und für die Vizepräsidentin ab. In der Regel erfolgt dieses Votum nach dem vorherigen Wählerwillen der eigentlichen Präsidentschaftswahl (Details über dieses Verfahren sollen aus Gründen der Übersichtlichkeit an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden).
Eine Urkunde über das Abstimmungsergebnis wird versiegelt und unter anderem der amtierenden Vizepräsidentin, die qua Amt auch als Präsidentin des U.S. Senats agiert, übersandt. Eine Auszählung erfolgt sodann durch den U.S. Kongress am 06. Januar. Verstirbt der Sieger der Präsidentschaftswahl in diesem beschriebenem Zeitraum, hat der U.S. Kongress darüber zu entscheiden, ob das Votum des Wahlmännergremiums dennoch ausgezählt wird. Falls ja, tritt die für einen Präsidenten bestimmte Nachfolgeregelung in Kraft (siehe Szenario 6). Falls nein, entscheidet laut dem zwölften Zusatzartikel zur Verfassung das U.S. Repräsentantenhaus darüber, wer von den drei Kandidaten mit den meisten Stimmen neuer Präsident wird.
Szenario 5: Kandidat stirbt nach Einberufung des Wahlmännergremiums, aber vor der Amtseinführung
Nachdem ein Präsidentschaftskandidat im Wahlmännergremium eine Mehrheit erzielen konnte, mutiert der Präsidentschaftskandidat zum gewählten Präsidenten. Dies ist spätestens (spätestens, da in Fachkreisen über den Terminus des „gewählten Präsidenten“ debattiert wird; dieser könnte auch frühestens mit dem Votum des Wahlmännergremiums vergeben werden) mit der Stimmenauszählung durch den U.S. Kongress der Fall. Dies bedeutet, dass fortan die Nachfolgeregelung wie bei einem schon eingeschworenen Präsidenten (siehe Szenario 6) greift. Stirbt ein gewählter Präsident, folgt ihm automatisch die gewählte Vizepräsidentin nach.
Szenario 6: Präsident verstirbt
Traditionell wird ein neugewählter Präsident am 20. Januar nach der Präsidentschaftswahl zur Mittagszeit in sein Amt eingeführt. Verstirbt der Präsident nach Beginn seiner Amtszeit, übernimmt laut dem 25. Zusatzartikel zur US-Verfassung die Vizepräsidentin die Amtsgeschäfte. Ist das Amt der Vizepräsidentin vakant, wird ein kommissarischer Präsident bestimmt: Der Sprecher des U.S. Repräsentantenhauses ist hierbei erster in der Nachfolgeregelung des Präsidenten, gefolgt vom Präsident pro tempore des U.S. Senats.
Von den bisherigen 45 US-Präsidenten, Grover Cleveland amtierte als 22. und 24. Präsident, verstarben acht Hausherren des Weißen Hauses während ihrer Amtszeit. Der erste US-Präsident, der im Amt starb, war William Henry Harrison. Nur einen Monat nach seiner Inauguration erlag Präsident Harrison an den Folgen einer Lungenentzündung. Abraham Lincoln war der erste Präsident, der ermordet wurde. Letztmals schied 1963 mit John F. Kennedy, der in Dallas erschossen wurde, ein Präsident durch Tod aus seinem Amt.
![](https://blog1600penn.com/wp-content/uploads/2023/01/banner-website-1-1.png?w=728)
Bildquellen: Creative-Commons-Lizenzen (via Google); Canva.com; eigene Grafiken.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.
Ein Gedanke zu “Was passiert eigentlich, wenn ein Präsidentschaftskandidat verstirbt?”
Die Kommentarfunktion ist geschlossen.